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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Manipulative Männer: Meyerbeers „Le Prophète“ in Toulouse – und in Berlin

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Giacomo Meyerbeer schafft es immer wieder, lässt eine soghafte, lohnenswerte Opernreise von weit über vier Stunden entstehen, die sich bewusst steigert, qualitätsoptimiert und sich gerade in den Anfangsakten erstaunlich frivol französisch gibt: mit pikanten Tanzrhythmen auch an uns heute unpassenden Stellen; mit ostentativen Virtuoso-Nummern; und mit aus altmodischer Primadonnentradition kommenden Triller-Glanzstücken. Bunt entfalten sich diese historischen Breitwand-Tableaux, wirken heute konsequent als bitterböse Revue, wenn dann das Ende umso brutaler und blutiger kommt, Fanatismus regiert, die Welt im Bösen zu versinken scheint, die Chöre dröhnen, die Stimmen gellen. Spektakel total. Grand Opéra, der Blockbuster des 19. Jahrhunderts. Am überzeugendsten 1836 in „Les Huguenots“ und 1849 in „Le Prophète“.

Meyerbeers Musiktheater ist eines, welches die grandiose Form, den gewaltigen Bogen, das Schaugepränge zur Entfaltung und Wirkung braucht. Man beginnt, zögerlich aber bewusst, das Spezifische an Meyerbeers Musikästhetik wieder zu verstehen und zu schätzen: auf Kontraste setzende Überwältigungsdramaturgie, präzise geplante Wirkungsmöglichkeiten szenischer Vorgänge, in die sich die innovativ gebauten Musikstücke mit ihren immensen Anforderungen an Solisten, Chor und Orchester einfügen, die überraschenden Instrumentationsfarben. Das mag man als Manko werten, gekürzter Meyerbeer wirkt irgendwie schal, Ausschnitte entfalten nur eingeschränkte Wirkung. Er war und ist, noch mehr als seine gewitzten, sicherlich kompositorisch schwergewichtigeren Adepten Wagner und Verdi, ein Theaterdiener.

Fotos: Patrice Nin

So war er auch an der Deutschen Oper Berlin zu erleben, wo man sich in den letzten Jahren zyklisch mit „Dinorah“ (konzertant), der „L’Africaine“-Originalfassung „Vasco da Gama“ und den „Hugenotten“ beschäftigt hat. Jetzt folgt am Sonntag „Der Prophet“. Anderer Häuser ziehen nach. Im Frühjahr gibt es in Frankfurt ebenfalls „Vasco da Gama“, selbst die Pariser Opéra lange Meyerbeer-resistent, realisiert 2018/19 mit Andreas Kriegenburg „Les Huguenots“. Und „Le Prophète“ war zuvor, brennend aktuell, in Karlsruhe in der Inszenierung von Tobias Kratzer zu sehen, in Essen, realisiert vom faden Vincent Boussard sowie kürzlich in Toulouse. Das relativ kleine Théâtre de Capitole stellte dort freilich unter Beweis, dass die Grand Opéra auch in einem intimen Rahmen ihre Wirkung voll entfalten kann. Und das auf allen Ebenen.

Mit dem in Deutschland völlig verschwundenen, hier regelmäßig eingeladenen Klaus-Peter Flor hatte man einen bewährten Romantik-Spezialisten am Pult. Und der dirigierte souverän, sängerfreundlich, ruhig ausschwingend, mit liebevollem Blick insbesondere für die Holzbläserdetails, sich immer wieder dramatisch verdichtend. So bekommt Meyerbeer eine epische Klangaura, ohne dass das Spektakel, etwa in dem damals revolutionären, melodisch spritzigen Schlittschuhläuferballett, in der prachtvollen Krönungsszene oder im pathetisch-düstereren Explosionsfinale vernachlässig worden wäre.

Der hierzulande völlig unbekannte Italiener Stefano Vizioli inszenierte die Geschichte vom Widertäufer Jean van Leyden, dessen Chaosrepublik im Münster blutig niedergeschlagen wurde, durchaus als Geschichte von gestern, beweglich zwischen naivem Realismus, Karikatur und Groteske. Er mischte mit wenigen, aber bildkräftigen Versatzstücken und Kulissenteilen Mittelalter und Entstehungszeit mit ihren sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen, spielte wirkungsmächtig auch mit der christlichen Ikonographie. Gräser und herabfahrende Häuserwände, der Graf Oberthal als lächerlicher Militärpopanz auf einem Papppferd, herabhängende Leichen à la Jacques Callot, eine Winterszene à la Breughel, die schnell in Schrecken umkippt, ein Riesenwappen als Symbol der neuen Verfasstheit, Teufelsfratzen und Flammen als Projektionen, hier wurde angedeutet, aber auch deutlich erzählt.

Es ist ein Theater der begrenzten Mittel, das dank der fantasievollen Kostüme von Alessandro Ciammarughi und dem beweglichen, von Alfonso Caiani studierten Chor samt Kinderchor doch maximale Wirkung entfaltete. Auch die von Pierluigi Vanelli choreografierten Tänzer hatten mal mit Rollschuhen mal als Untote wirkungsvolle Auftritte. Vor allem aber wurde die Geschichte sehr genau nacherzählt, die alte vernachlässigenswerte Lovestory trat schnell zurück zugunsten einer bösen Parabel eines von der Gesellschaft, den Mitbauern wie der verdorbenen Oberschicht Zurückgewiesenen, der sich an dieser blutig rächt, indem er sie verführt. Und selbst die eigene Mutter muss zusehen, kann nichts mehr ausrichten, als Jean alle ins Unglück stürzt.

Gesungen wurde prächtig bis herausragend. Sofia Fomina erleuchtete mit strahlender Koloratur Jeans bald nur noch peripher auftauchende Jugendliebe Berthe und legte einen faszinierenden Schlussauftritt hin. John Osborn glänzte wie auch schon Essen in der Titelrolle, mit seiner kraftvoll attackierten Höhe, der breiten virilen Mittellage und scheinbar endlosen Vokalreserven. Und auch sein Spiel machte glaubwürdig, dass die Masse hier einem charismatischen Blender verfällt. Brillant, wie er sich immer mehr mit intensiv halluzinierendem Tenorglanz in seinen Wahn hineinsteigerte.

Am Schwersten hatte es freilich Kate Aldrich in der Wahnsinnspartie der extra für den Mezzostar Pauline Viardot geschriebene Partie der Mutter Fidès. Die muss stimmlich jung sein, aber die Würde des Alters verkörpern, muss verzierungsgewandt sein, aber auch über gehöriges Volumen, brustige Tiefentöne und endlosen Atem verfügen. Alles hat kaum eine Sängerin, aber die natürlich zu junge Aldrich machte mit Geläufigkeit und schönen, schlanken Tonfluss wett, was ihr an Fülle und Stamina abgeht. Und völlig harmonisch verblendeten sich die Stimmen von Sopran und Mezzo gleich am Anfang in einem trügerisch-freundlichen Duett. Aus dem Trio der heuchlerischen Anabatisten ragte der klangvoll-sehnige Zacharie Dimitry Ivashchenkos heraus, aber auch Mathisen (Thomas Dear) und Jonas (Mikeldi Atxalandabaso) konnten sich hören lassen. Und Leonardo Estévez an der Spitze der zweiten Rollen war ein bühnenfüllend fieser Oberthal, der Berthe als Geisel nimmt.

Geschichte als Spiel mächtiger, mehrheitlich unsympathischer, manipulativer Männer, das ist plötzlich spannend und aktuell. Auch in Toulouse, wo einmal mehr klar wurde, warum die als tönend historische Breitwandspektakel angelegten Grand Opéras zur populärsten musikalischen Apotheose des 19. Jahrhunderts wurden: Hier feierte sich die Bourgeoisie.  Marc Minkowski, ein bekennender Fan, sagt, er liebe Meyerbeer genauso wie „Lawrence von Arabien“, „Ben Hur“ oder vom „Winde verweht“ – als buntglühendes, raffiniert gebautes Unterhaltungsspektakel, das er reuelos genieße. Da prallen wuchtig die Kontraste aufeinander, die orgiastisch ausartende Spaßgesellschaft, die sinnlich süße, erotisch prickelnde Aura, der demagogische Wahn. In Toulouse geriert „Le Prophète“ zum intimen, trotzdem großes Maschinen- und Menschentheater, das virtuos das Publikum bannt und begeistert, das mit Tricks gleißt, Instrumentierungskunststücke aneinanderreiht und doch packt. Meyerbeer, der große Verführer, der über kreativ dünne Stellen mit Pomp und Pracht hinwegtäuscht, sich aber auch als genauer Menschenbeobachter und Moralist erweist. Das muss man – in genau dieser Länge und Vehemenz – gesehen und gehört haben. Ab morgen dann hoffentlich so auch in Berlin, mit Enrique Mazzola am Pult, dem „Hugenotten“-erfahrenen Olivier Py als Regisseur, mit Gregory Kunde als Jean und Clémentine Margaine als Fidès.

Der Beitrag Manipulative Männer: Meyerbeers „Le Prophète“ in Toulouse – und in Berlin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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