Wiedersehen mit der schönen, einfachen und ehrlichen „Elektra“-Inszenierung von Patrice Chéreau, entstanden 2013 für Aix-en-Provence, kurz vor seinem Tod. Wie schon beim „Totenhaus“ davor war die Umtopfaktion der internationalen Koproduktion beschlossene Sache. Nach Mailand und vor dem Aufschlag in Berlin im Oktober macht sie gerade an der Met Station. Doch in der riesigen Golddose wirken die Palasthofwände von Richard Peduzzi irgendwie verloren, trotz ihrer Größe puppenstubenklein, die stumme Anfangsaktionen des Personals muss man aus Reihe R wie mit der Lupe suchen.
Und auch der Klang wirkt wie mit Wattebäuschen gedämpft, dabei sitze ich beinahe in der Mitte des Parketts. Wieder dirigiert der formidabel fokussierte Esa-Pekka Salonen (den die „New York Times“ allen Ernstes als Levine-Nachfolger sähe – ein Musikdirektor an diesem Haus, der noch nie Mozart, Verdi, Puccini unterm Staberl hatte, von Wagner einzig „Tristan“ gemacht hat und hier gerade wieder mal seine erste Strauss-Oper schlägt!), aber mit dem im Kern weichen Met Orchestra wird ein Fortefortissimo nie ein solches. Manchmal schneidet die Klangsäule immerhin durch das Riesenrund.
Die Produktion scheint sich erst ab der Orest-Szene mit dem strunzlangweiligen, statischen Eric Owens wie unter einem Vergrößerungsglas zu justieren. Jetzt gewinnen die Figuren an Kontur und Format. Vorher war es schwer, sich zu konzentrieren. Selbst auf die lyrisch klare Adrienne Pieczonca (schon in Aix dabei) als ziemlich herbes spätes Chrysothemis-Mädchen. Auch Nina Stemme, ich habe ihr gelungenes Wiener Rollendebüt vor einem Jahr gehört, fand ich problematisch. Das Vibrato wabert stark, sie tönt hohl, kämpft mit den Höhen. Selbst sie wirkt erst im letzten Drittel (mit immerhin noch dem Met-Debüt von Burkhard Ulrich als ätzendem Aegisth) bei sich und Chéreau angekommen. So fehlt der Inszenierung der bannende Mittelpunkt, den sie in Aix mit der wie Schwefelsäure durchdringenden, nicht immer schön klingenden Evelyn Herlitzius (singt wieder in Berlin) hatte.
Für 25 starke Minuten, war das freilich anders: Auftritt Waltraud Meier, Chéreau-Muse und bereits Aix-erfahren als Königin der Straussopernnacht. Ihre Klytemnästra, sie hat das immer wieder betont, ist nicht hässlich, als angemalte alte Vettel überzeichnet, keine Geisterbahn-Oma, keine Horror-Queen, sondern eine zerrissene, depressive, kalte, emotional ausgezehrte Frau in dunkler Robe. Aber eine natürliche Herrscherin in jeder kleinen Geste. Ruhig, autoritär und doch verletzlich. Und wieder genauso bannend wie am Premierenabend in der Provence. Doch was hier noch viel toller ist: die Meier ist mit Abstand die leiseste Sängerin des Flüstertüten-Abends, aber die, die alle beherrscht – auch ihr Publikum. Denn bei ihr trägt jedes Wort, hat jeder Moment Bedeutung und trotzdem hat ihre Szene den natürlich unaufgeregten Fluss, den Chéreau gerade in diesem Stück der Extreme wollte. Bei Waltraud Meier wenigstens ist er noch zu erspüren.
Der Beitrag Metropolitan Opera I: Eine Flüster-„Elektra“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.