Warum soll es Alexander Pereira (68) in Mailand anders halten als in Zürich – und zum Teil auch in Salzburg? Er liebt die alten Männer. Und so kommen sie natürlich auch in der nächsten, eben vorgestellten Saison neuerlich an die Scala: Peter Stein (78) mit seinem „Don Carlo“ aus Salzburg und Feruccio Furlanetto (67) als König Philipp, Nello Santi (84) dirigiert ein Revival der 27 Jahre alten, eigentlich 2013 zugunsten der Tcherniakov-Produktion abgesetzten „La Traviata“ Liliana Cavanis, für das die reife Anna Netrebko entgegen ihrer Ankündigung noch einmal ins Kurtisanenkostüm steigt. Und natürlich gibt der Pereira-Buddy Leo Nucci (74) den Vater Germont. Harry Kupfer (80) inszeniert zum mindestens vierten Mal die „Meistersinger“.
Aber in einer aus Bordeaux ausgeliehenen „Anna Bolena“, die die vor allem als Witwe von Luc Bondy qualifizierte Marie-Louise Bischofberger verantwortet, wird die erst 26-jährige Knuspersopranistin Federica Lombardi in einer Titelpartie aufgeboten, die in ihrer Mischung aus Koloraturfähigkeit und Dramatik zu den gefürchteten des Repertoires gehört. Der Filmregisseur Gabriele Salvatores (65) inszeniert mit Rossinis „La gazza ladra“ unter Stabführung Riccardo Chaillys eine der wenigen interessanteren Produktionen. Der neue Musikchef dirigiert auch die Inaugurazione am 7. Dezember, wo er in seinem Puccini-Zyklus „Madama Butterfly“ folgen lässt, immerhin in der raren Urfassung; wenngleich schon wieder mit Alvis Hermanis am Regiepult.
Thomas Hampson (60) singt einen Don Giovanni mit grauen Schläfen, außerdem darf sich Jürgen Flimm (74) an einer Salvatore-Sciarrino-Novität versuchen. Und natürlich darf Superstar-Baritenore Plácido Domingo (irgendwas über 75) nicht fehlen. Für ihn wird eigens Händels „Tamerlano“ neuinszeniert, den er bereits in Madrid, London, Los Angeles und Salzburg gesungen hat. Lediglich Edita Gruberova (69) vermisst man, aber die hat ja immer schon Spanien Italien vorgezogen.
Pereiras Ziehkind Sven-Eric Bechtolf (frisch verheiratete 58) wird in Mailand mit „Hänsel und Gretel“ versorgt (mit jungem Vokalgemüse, aber wohlmöglich Mara Zampieri (65) als Hexe? Könnte sie ja schon von der Wiener Volksoper), und der gefallene Ex-Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann darf den „Freischütz“ machen.
Dem gegenwärtigen Retro-Regietrend (Berghaus, Grüber und Müller in Lyon, Schneider-Siemssen bei den Salzburger Osterfestspielen) folgend, gibt es selbstredend den Scala-Klassiker „La Bohème“ von 1963 des jetzt 93-jährigen Franco Zeffirelli. Zusätzlich exhumiert man noch einmal die legendäre Salzburger Schattenriss-„Entführung“ des 20 Jahre toten Giorgio Strehlers von 1965. So umgeht man geschickt jegliche Aktualisierung für den heiklen Orientstoff. Immerhin erfreut sich der damalige, jetzt zurückkehrende Dirigent noch bester Gesundheit: Zubin Mehta (80), der auch gleich noch den Salzburger „Falstaff“ leitet, welcher praktischerweise gleich in der Casa Verdi spielt, dem vom Komponisten gestifteten Altersheim an der Piazza Michelangelo.
Jetzt muss die Scala nur noch darauf achten, dass ihre vorwiegend auch nicht eben jungen Abonnenten weiterhin in den Piermarini-Bau kommen – und nicht diesen mit der Sozialeinrichtung an der Piazza Michelangelo verwechseln, wo es ja auch ab und an Hauskonzerte mit Zittervibrato gibt. Aber vielleicht gibt es in der Casa Verdi ja für die vielen singenden Scala-Senioren Zimmerrabatte für betreutes Wohnen? Geriatrischer könnte sich die offenbar schon sehr sterbensmüde Kunstform Oper in der Pereira-Verpackung jedenfalls kaum geben.
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