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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Valery Gergiev: Der Weltklasse-Zahnstocher

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GergievEs geht also los. Unüberseh- und auch bald unüberhörbar: Valery Gergiev erobert München. Dort hat man das so gewollt. Die lokalen Philharmoniker haben sich den global präsenten Übermaestro mit einem selbst den Zaren erblassen lassenden Musiktheaterimperium zu Hause in St. Petersburg samt Satellitenfestivals und -Opernhaus in Moskau und an der Ostsee eingefangen, um ein wenig (immerhin 45 Konzerte) von seiner Zeit und von seinem Glanz zu bekommen. Der ist umstritten. Und streitbar. Auch wenn Gergiev gegenwärtig auf verbale Befriedigung setzt, den wölfischen Hardliner mit Kreide koloriert hat. Heute startet er seine Zeit in München – mit Mahlers Zweiter, der „Auferstehungssinfonie“. Der Russe als Heilsbringer, der ein doch arg in der dritten Reihe verschwundenes Orchester für großes Geld wieder wachküssen soll.

Und alle fressen sie Valey Gergiev (oder Walerij Gergijew, mal sehen, welche Schreibweise sich letztlich durchsetzen wird) aus der Hand. Im „Spiegel“-Interview darf er sich seitenweise für Putin und die Krim-Annexion, dessen Ukraine-Konflikt und das groteske Homosexuellengesetz („habe ich gar nicht wahrgenommen“) rechtfertigen. Er nimmt nichts zurück, erklärt kaum etwas, bleibt wie stets seltsam blass und diffus in seiner Argumentation. Nachgefragt wird nicht richtig, nur Themen werden abgehakt. „Ich bin nicht gefährlich“, sagt er. Hatten wir auch nicht erwartet. Er macht ja hauptsächlich Musik. Wenn er pünktlich ist. Sogar gute, wenn er ausgeschlafen hat. Und in der „Süddeutschen Zeitung“, wo man erst so böse Kampagnen gegen Gergiev geritten und dann gleich wieder zurückgenommen hat, da besäuft man sich schier an zu erwartendem Glanz und Größe. Gleich sechsmal, von der Titelseite bis ins Lokale und mit Grabplatte als Kulturaufmacher, geht es um nichts anders, es wird vornehmlich gestreichelt und getätschelt. Und dauernd ist vor allem der „Weltklasse-Zahnstocher“ ein Thema, mit dem der Maestro bisweilen wedelt.

Ein wenig geht es auch um Musik, die Valery Gergiev in München bisher nicht spielen wird, die aber besonders spannend wäre. Denn natürlich darf und soll man heute die sowjetrussischen Stalin-Huldigungen von Prokofiew und Schostakowitsch aufführen. Es sind zeitgeistige, teilweise hochspannende Partituren, man muss sie nur in den entsprechenden Kontext stellen. In München freilich da geht es ab heute erst einmal handzahm mit deutsch-österreichischer Spätromantik los: Nach Mahler folgt das Violinkonzert von Brahms und Bruckners 4. Sinfonien. Nun sind gerade dessen Klangkathedralen nicht erst seit Celibidaches wunderbaren Längen ein Spezialgebiet der Münchner Philharnmoniker, aber Gergiev hat sich bei diesem Komponisten bisher eher als Ruinenbaumeister erwiesen (siehe sein letztes Münchner Konzert mit der 7. Sinfonie). Insofern wird das heikel. Trotzdem geht man mit dem Ergebnis sofort auf Tournee – was zeigt, um was es bei dieser arrangierten, bisher nicht unbedingt von echter Liebe geprägten Beziehung eigentlich geht: um die ersehnte „Weltspitze“ für die notorisch zwischen Überschätzung und Minderwertigkeitskomplex schwankenden Isar-Anrainer. Und für Gergiev um die deutlich größeren Gagen und die Präsenz mit noch einem Orchester auswärts. Also Musik-Business – wie gewöhnlich.

Der Beitrag Valery Gergiev: Der Weltklasse-Zahnstocher erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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