Denn einzigen Überraschungsmoment setzte das Cembalo: Das zwitscherte zwischen die „Don Giovanni“-Rezitative plötzlich Frank Sinatras“ It was a very good year“. Und auf der Bühne der Dresdner Semperoper sitzt der Don und lässt es sich noch einmal, auf dem Höhepunkt seiner virilen Verführungskraft, so richtig gut sein. Denn von nun an, gleich beginnt das fatale Fest, geht’s bergab. Nicht aber hörbar für den kreativen, als Tastenschmeichler wie Dirigent eingesetzten Omer Meir Wellber. Der hat mit dieser, jetzt abgeschlossen und ziemlich ambitionierten Mozart/da Ponte-Trias innerhalb von drei Spielzeiten die gern bequemen Sächsische Staatskapelle stilistisch ziemlich auf Vordermann gebracht.
Und das unter den gestrengen Augen von Christian Thielemann, gegenwärtig mit der Restkapelle in Wien und Baden-Baden unterwegs, der den jungen Israeli hier zielsicher gewähren lässt: Nach „Daphne“ 2010, am Anfang seiner Elbkarriere, folgten „Ariadne auf Naxos“ und „Guntram“; den Strauss-Schwerpunkt setzt Meir Wellber nächste Spielzeit mit einer neuen „Salome“ fort. Wer 2014 die ersten „Così“-Vorstellungen hörte, die noch einem Stoß-mich-Zieh-Dich-Wechselspiel glichen, ist jetzt höchst erfreut über den organischen Musizierfluss schon in der „Don Giovanni“-Ouvertüre. Denn Meir Weller hat eine klare Vorstellung von Klangmischungen und Tempi. Er bleibt dramatisch ganz dicht dran, übertreibt nicht, weiß einen Mittelweg zwischen Alter-Musik-Ruppigkeit und Klangredekultur, präziser Transparenz und sinnlichem Schwelgen.
Könnte man so was doch auch von Andreas Kriegenburgs dürftiger Deutung behaupten. Der ist, anders als im Schauspiel, in der nie Oper nie originell oder überraschend. Brav und plan wird da durchgestellt und abgewickelt. Sein Giovanni (Lucas Meachem) firmiert als Modelagentur-Besitzer in einem schick-sterilen Hochhaus. Die Neuen, die zu „2064 donne“, so der Firmenname, wollen, sitzen im Beinchenwiegetakt auf dem weißen Sofa; aber sein wuseliger Assistent Leporello (Guido Loconsolo) hat bei dieser Casting-Challenge kein Foto für die Mädels. Deshalb wohl zerren sie ihn am bösen Ende (man spielt die Wiener Fassung, das Schlusssextett ist gestrichen) in eine rotdampfende Fashionista-Hölle.
In der freilich als Oberteufelin Heidi Klum schmerzlich vermisst wurde. Dafür gab es den schon längst wieder verschwundenen Komtur (Luxus-Einspringer: Georg Zeppenfeld), der erst willentlich von Giovanni als knöchrig störender Vater willentlich erdolcht wurde, dann in einer Umzugskiste kopfwackelnd zwischengeparkt ist und schließlich als Weißer Wanderer wiederkehrt. Wenigstens er sorgt für Kontinuität, denn das durchaus faszinierende Modethema verliert die Regie schon nach 10 Minuten bis zum zweiten Finale wieder aus den Augen.
In Harald Thors jeweils zur Aktmitte sich in den Keller bemühendem Betonloft mag so gar keine Atmosphäre aufkommen. Erst gibt es shabby-schicke Party zwischen Abfällen, theatralisch nutzbarem Brachwasser und verschimmelten Wänden, dann ein klein wenig Apokalypse. Und immer wieder holt man sich (das ist bei Michael Hanekes Così“ abgeschaut) was zu Trinken aus dem Kühlschrank. Nur: zu erzählen hat Kriegenburg nichts „Giovanni“-Neues. So muss es das von Meir Wellber locker, aber sicher geführte Sängerensemble wuppen.
Zerlina (Christina Bock) und Masetto (Evan Hughes) sind ordentlich und engagiert. Sonderlich bemerkenswert sind sie beide nicht. Giovanni und Leporello mangelt es leider in Stimme wie Spiel, an Charisma und Individualität. Man müht sich. Was bei diesem Opus nicht langt. So fehlt ihm das Zentrum. Toll und tragisch sind hingegen die beiden Giovanni-Gegnerinnen: Maria Bengtsson mit fokussierter Linie als Donna Anna, die trotzdem ihre Anlaufphase braucht. Und Aga Mikolaj, als Elvira furios, aber nie zur albernen Scheuche werdend, pfeffert ein furioses „Mi tradi“ hin; und bleibt trotzdem auf Linie. Sogar bei Peter Sonns durchaus heldisch grundiertem Ottavio ist an ausnahmsweise mal traurig, das ihm seine zweite Arie fehlt.
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