Stuck, Stuck, Stuck. Und Fresken. Der Blick mag sich gar nicht abwenden von diesen Decken und Wänden, Kuppel und Raumschalen, die fantasievoll prunken, aber eigentlich demütig auf Gottes Werk lenken sollen. Unter dem kunstsinnigen Abt Placidus Much entstand die prunkvolle Barockausstattung des hoch über dem Kamptal im als eine Art Escorial im Waldviertel thronenden Kloster Altenburg. Vor allem dem Maler Paul Troger gelangen in Kirche, Bibliothek, Weißem Saal und Kaisertreppenhaus farbig lebenskräftige Bilderwelten, die unwillkürlich das Auge nach oben lenken. Doch hier, 90 Kilometer von Wien entfernt, schaut man in diesem versteckten Juwel in der prachtvollen Bibliothek auf einen blau gemalten Bühnenrahmen, der die andere Hälfte des langestreckten Saales verbirgt: Bernd R. Bienert ist wieder mit seinem Teatro Barocco zu Gast.
Nun schon zum fünften Mal lässt der Choreograf und Regisseur in diesem so originalen wie originellen Ambiente frühklassizistische Stücke spielen. Werke, die zu klein oder zu speziell sind, um in normalen Theatern ihre Wirkung zu entfalten, die aber hier leben und zu leuchten begonnen. Mini ist das Orchester, doch es reicht aus. Denn auch der böhmischen Kapellmeisters Anton Benda (1722–1795) beschränkt sich in seinen Melodramen oftmals nur auf unterstützende, kommentierende Akkorde zum gesprochenen Wort. Damals war das eine sehr modische Gattung, selbst der ihn bewundernde Mozart eiferte Benda nach.
Hochpathetisch sind sie, so wie sein berühmtestes, die Finalszene der „Medea“, die es im letzten Jahr gab. Die Musik, ist schlicht und direkt, gemahnt oft an Gluck. Das barocke Umfeld relativiert das, und die tänzerisch exakte, wortdeutliche Umsetzung durch Kira von Zierotin. In Reifrock und Allongeperücke steht sie da wie eine der berühmten Schauspielerinnen der Comédie Francaise wie sie ein Hyacinthe Rigaud gemalt hat. Sie schwingt den Dolch und hebt die Arme zum Himmel, ist Verzweiflung, Wut, Weinen und Verfluchung. Eine Megäre in feinster Robe.
Hier ist nicht nur die akustische, sondern auch die optische Komponente der Aufführungspraxis der Entstehungszeit verpflichtet. Versucht wird, ihr durch akribische Recherche bei Gestik, Kostümen und Bühnenbild so nah wie möglich zu kommen. Das ist so fremd wie faszinierend. Bis Medea nach vollzogenem Kindsmord – nur das leere Kissen klagt noch an – im Pappwagen gen gemalten Himmel entfleucht. Bernd R. Bienert, Wiener Choreograf, Musiktheaterregisseur, Kurator, Ausstatter, Unternehmer und Organisator, sagt über das vor ihm akribisch untersuchte Gestenrepertoire dieser Zeit. „Das war viel größer, komplexer und übertriebener als wir das heute gewohnt sind. Es war aber wie eine Sprache, die alle verstanden. Und es ist erstaunlich, wie normal diese im korrekten Umfeld wirkt, vor allem wenn die Akteure die richtigen Kleider tragen.“
Der 1962 geborene Bienert war als Tänzer an der Staatsoper Wien und am Nederlands Dans Theater engagiert. Am Opernhaus Zürich wirkte er von 1991-96 als Ballettchef, wo er vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Stararchitekten wie Mario Botta, Renzo Piano, Jean Nouvel oder Zaha Hadid Furore machte. 1999 bis 2001 schloss sich ein Engagement in Saarbrücken an. Bienert hat sich bereits damals aber auch für die Rekonstruktion tanzhistorisch bedeutender Choreographien verdient gemacht. Nur konsequent also, dass er seit 2011 selbst nach dem Vorbild der Kupferstiche von J. F. Götz auch historische Darstellungs- bzw. Inszenierungspraxis im Bereich der Oper wieder belebt. Jüngst hat er auch im Schlosstheater Laxenburg, einem der wenigen noch erhaltenen Theater aus der Mozart-Zeit, einer historisch korrekten „Hochzeit des Figaro“ gespielt.
Er tut das, mit einem durchaus theatralischen Sinn für die Magie eines Ortes, mit seinem hochgelobten Truppe Teatro Barocco. Und er weiß als kluger Theatermann. Nach Drama und hohem Gefühl braucht es die komische Entladung: Die brachte 2015 witzig und spielerisch tänzelnd eine hübsche Intermezzo-Buffa: „Lo Speziale“ – „der Apotheker“ von Joseph Haydn, wo wieder mal ein reiches Mündel vor ihre alten, amourösen Vormund bei einem jungen Kerl Zuflucht sucht. Das war so quirlig gespielt wie fein gesungen. Und machte Lust auf mehr.
Was schnell erfüllt werden kann, denn ab heute ist im Stift Altenburg bei Horn wieder das Teatro Barocco zu Gast. Diesen Sommer, jeweils Samstags bis zum 30. Juli (und am 20. Juli als Gastspiel in Bad Aussee) mit „Piramus und Tisbe“, einem „intermezzo tragico“ von Johann Adolph Hasse.
www.teatrobarocco.at
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