Mit dem Profil, im griech’schen Stil – hingegeben liegt und war sie stumm. Zumindest auf den Promofotos, die Elīna Garanča in der Alten Nationalgalerie Berlin sich vor Schinkels „Blick in Griechenlands Blüte“ aalend zeigen. Der lettische Mezzo ist Star und glamourös-strenges Plakat-Testimonial zugleich für die Gluck-Festspiele 2016, Nach dem Erfolg zum 300. Namensgeber-Geburtstag 2014 will das alle zwei Jahre in und um Nürnberg angesiedelte Komponisten-Festival auch 2016 punkten. Zum nunmehr fünften Mal.
Gluck wurde bei Berching im Almühlthal am 2. Juli 1714 geboren. Als zentraler, von der Geschichte allerdings sehr an den Rand des Repertoires gerückter Komponist hat er sich als Musiktheater-Reformator Unsterblichkeit erschrieben. Denn er ebnete den Weg von den steifen, mit Göttern und Heroen bevölkerten Barock-Arienabfolgen hin zu den psychologisch ausgefeilten bürgerlichen Buffas Mozarts.
Im Rahmen der originellen Spielplangedanken, die sich im Zwei-Jahres-Rhythmus der Dramaturg Christian Baier macht, sind außer selten gehörten Werken eine Vielzahl hübscher Theater am Gluck-Wegesrand zu bestaunen, von Fürth und Erlagen bis nach Würzburg, Amberg und Neumarkt. Bewusst dezentral ausgebreitet wird so die Suche nach dem Gluck-Glück auch zur sonnig schönen Landpartie. Man hat bei den ambitionierten Gluck-Festspielen viel unternommen, um den Namenspatron als Tanzerneuerer, als Liedkomponisten, als Gala-Galanterien-Lieferanten vorzuführen. Und stellt mit großer Geste vor allem immer wieder den Theater-Innovator vor. 2016 gilt es vor allem seinen Iphigenien, in diversen Variationen. Auch von anderen Komponisten, denn der Stoff aus der Ilias des Homer war ein beliebtes Thema der Barockoper wie ihrer Reformatoren.
Die Tochter des Agamemnon musste sich für das Kriegsglück der Griechen im Hafen Aulis opfern lassen, wurde aber von der Göttin Artemis als deren Priesterin ins ferne Tauris entführt. Dort begehrt sie König Thoas, doch ihr wegen Muttermords von den Erinnyen gejagte Bruder Orest kann sie erst befreien, als er Thoas tötet.
Von Gluck selbst führen dies diese Jahr vom 16. bis zum 30 Juli in neun Städten an elf Bühnen abgehaltenen, wieder von der Nürnberger Versicherung großzügig unterstützten Gluck-Festspiele nur die zweite seiner beiden Iphigenien auf – und zwar „Iphigenie auf Tauris“ von 1779. Das freilich – erstmalig seit der Uraufführung 1890 – in der zeittypischen Fassung von Richard Strauss, die hier als wichtiges Dokument der Gluck-Rezeption neu beleuchtet werden soll. Die litauische Sopranistin Anna Dennis, der griechische Bariton Aris Argiris und Dirigent Christoph Spering belegen eindrucksvoll das ungestüme Talent des jungen Strauss, sieben Jahre vor „Elektra“. Zudem gibt es in Ausschnitten die erste deutsche Fassung von Johann Baptist von Aixinger von 1779 zu hören.
Iphigenie taucht freilich noch öfter auf, jeweils als deutsche Erstaufführung beispielsweise in den Varianten von Niccolò Piccinni: „Iphigenie en Tauride“ (UA 1781) und Luigi Cherubini: „Ifigenia in Aulide“. Marie Antoinette, die junge Königin Frankreichs, holte Gluck 1774 nach Paris, wo er mit seinen Werken Erfolge feierte – aber auch heftigen Streit um die Zukunft der Oper auslöste. Glucks Gegner engagierten den Italiener Niccolò Piccinni, ein heute hierzulande zu Unrecht weitgehend Unbekannter, dessen in Paris herausgekommene „Iphigenie“ Gluck alt aussehen lassen sollte. Mitnichten: Die Kontrahenten schufen nach dem gleichen Sujet zwei Meisterwerke.
Noch eine Entdeckung der Festspiele 2016: Cherubini kennt man heute vor allem durch sein Meisterwerk „ Medea“. Doch auch er nahm früh Maß an seinem Vorbild Gluck und schuf 1788 seine Version des Iphigenie-Stoffs, die Glucks Gabe zur scharfen Figurenzeichnung und seinem musikalisch-dramatischen Raffinement ebenbürtig erscheint. Die Noten dieser Kostbarkeit der Musikgeschichte galten lange als verschollen. Das Werk erklingt nun erstmals wieder seit seiner Mailänder Uraufführung.
Von den Gluckschen Bühnenwerken steht zudem das Ballett „Don Juan“ von 1761 auf dem Programm, das Mozart für seinen „Don Giovanni“ beeinflusste. In Amberg präsentiert die französische Compagnie de danse L’Éventail das Opus in originalen Kostümen und Kulissen sowie dem damals üblichen Schuhwerk (Spitzenschuhe waren noch nicht in Gebrauch!).
„Il Parnaso confuso“ zeigt die Nürnberger POC in Berching. Dort steht der Himmel Kopf. Denn die trägen Musen Melpomene, Euterpe und Erato sollen, getrieben vom aufgekratzten Apollo, rasch ein musikalisches Meisterwerk vollbringen. Zur Uraufführung 1765 in Wien waren alle Rollen dieses Einakters mit Angehörigen aus dem Haus Habsburg besetzt. Die Oper „Telemaco“ hingegen dient in Nürnberg als Vorlage für die neue Jugendoper „T.M.A. – Coming of Age“; den Sound dazu liefert die innovative Elektro-Band Wrongkong. Glücks berühmtestes Werk, „Orfeo ed Euridice“, gibt es in Erlangen in der verkürzten Parma-Fassung 1769 für einen Soprankastraten – hier gesungen von Countertenorstar Valer Sabadus und gespielt von Puppen.
Eröffnet wird freilich mit einem Paukenschlag: Elīna Garanča führt im Nürnberger Galakonzert Glucks Einfluss auf die nachfolgenden Komponisten- und Sängergenerationen, seinen Anteil bei der Entwicklung der Grand Opera und seine Bedeutung für die Romantiker des 19. Jahrhunderts vor. Den Gluck lebt – nicht nur in und um Nürnberg.
www.internationale-gluck-opern-festspiele.de
Der Beitrag Neues Jahr, neues Gluck-Glück: die Festspiele 2016 erschien zuerst auf Brugs Klassiker.