Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Orchesterreise ins Trump-Trauma-Land: Mit den Bamberger Symphonikern in den USA. Teil II

$
0
0

Ein Lob an Frau Lux! Die gute Fee vom Bonner Reisebüro der Bamberger Symphoniker macht es möglich, das alle gerade noch rechtzeitig auf der laufenden USA-Tournee von New York nach Daytona ins sonnige Florida kommen. Und sogar länger schlafen können, nicht einchecken müssen und direkt geflogen werden! Mit einer 60.000 Euro teuren Chartermaschine. Denn der Flughafen Newark war wegen Blizzard gesperrt worden. Sicher, da klebte morgens Schnee am Hotelfenster, und es windete ein wenig bei geringer Sicht. Aber langt das wirklich im winterwettererprobten New York, um gleich vorsorglich alle Flüge zu canceln? Ein Drittel der Musiker musste in ein Flughafenhotel umziehen, weil die Zimmer im gegenwärtigen Domizil anderweitig gebraucht wurden, der Rest hatte Frei- und Übezeit – bei mittags schon wieder klarem Wetter. Bis dann überraschend doch schon um 21 Uhr und nicht erst am nächsten Tag abgehoben wurde. Der Strandvormittag war gerettet.

Ok, Daytona Beach hat ein berühmte Rennstrecke, ein Bikertreffen, die berüchtigte Spring Break hormonell enthemmter Teenager und 37 Kilometer feinen Sandstrand, auf dem sogar Autos fahren dürfen. Aber was macht ein erstklassig europäisches Orchester hier? New York, Miami und Los Angeles, das sind die ehrgeizig anvisierten Ankerpunkte dieser Tournee, aber natürlich muss auch dazwischen gearbeitet werden. In Florida ist jetzt Hauptsaison, denn die mehr oder weniger reichen Rentner sind da. Und die Bamberger „fressen“ gern neue Orte. Zuletzt waren das Monte Carlo, der Oman und Südkorea, jetzt kommen wieder ein paar dazu; auch die Elbphilharmonie ist beispielsweise für Dezember angepeilt.

Nachdem ich im bereits im Frühstückpanoramasaal auf dem Dach durchaus Ferienstimmung verbreitenden Hotel die Musiker erst einmal nicht nur in Freizeit- sondern jetzt auch ostentativ in Sommer-Outfits optisch neu sortieren muss, geht es nachmittags zum schon 1919 erbauten, 1949 erneuerten Peabody Auditorium. Und ich lerne aus den Schaukästen im Foyer, dass hier nicht nur in ihrer 65. Saison die örtliche Symphony Society eine kleiner Konzertserie veranstaltet, in deren Rahmen diesen Winter auch die Wiener Sängerknaben oder das Royal Scottish Orchestra vorbeischauen, sondern natürlich auch Elvis, Frank Sinatra, Debbie Reynolds, Liberace und Liza Minnelli eine Konzertheimstatt hatten. Das London Symphony Orchestra pflegte hier sogar von 1966 bis 2009 alle zwei Jahre eine Sonnenresidenz. Nach der Sinfonie ging es zum Surfen, die alten Fotos zeigen es.

Das ist der Ruhm von gestern. Heute ist Daytona Beach mit seiner Sixties-Anmutung samt Rummelplatz und Candy-Buden an der Strandpromenade eher ein Überwinterort für untere Mittelklasse-Senioren. Da sind viele Rollatoren, Rollstühle und Krücken unterwegs, doch alle haben sich fein gemacht. Freudige Begrüßung, hier ist es familiär. Wer genauer hinschaut, registriert schlechte Zähne, hinfällige Körper, billige Kleidung. Obamacare täte hier wohl, ich spüre massiv, wie wenig Amerika sozial- und krankenversicherungsgesichert ist. Freiwillige Ladys haben ein Verkaufstand mit schrecklichem Schmuck aufgebaut, ein Klavierduo zu vier Händen lädt zur Einführung, zwei rührende Damen der Symphony Society bedankten sich vor Konzertbeginn bei den Sponsoren und ermahnen, erst zu klatschen, when the maestro turns around“.

Irgendwie sehr süß in seiner Bemühtheit um Culture and Class. Doch es sind auch klassenweise Jugendliche da, alle hören aufmerksam staunend zu, die Akustik in der 2500-Plätze-Halle ist direkt und ehrlich. Genau richtig für die erstmals auf der Tour gespielte Eroica, die Christoph Eschenbach mit eine gute Mischung aus Pathos und Schlankheit nimmt. Da ist räumliche Tiefe im Trauermarsch, ein dunkles Verharren, aber auch viel Dur-Licht, sehnige Gespanntheit, instrumentales Muskelspiel in den Außensätzen. Das kommt gut an, bei der zugegebenen Prometheus-Ouvertüre wird sogar gelacht. Nur leider röhrt die Klimaanlage so laut, dass sie im Mendelssohn-Andante selbst den wieder staccatospitzen Ray Chen fast zu übertönen droht.

Beethoven und Mahler, Standardsinfoniker gewiss, in Amerika muss es leicht verkäuflich- und verdaulich sein – wobei schon die Fünfte für manche ein Brocken ist, dem man sich nicht bis zum Ende aussetzen mag. Aber die Eroica kämpft musikalisch wie entstehungsgeschichtlich mit einem Macht-und Übermenschen, und auch Gustav Mahler kennt immer wieder instrumentales Aufbäumen, Zusammenbruch, einen trauernd-sphärischen Solohorngesang und aggressive Trompeten, Chaos und gefasste Adagietto-Resignation. Also Musik zu richtigen Zeit auf dieser Amerika-Tournee, die dauernd von Trump-Taten und Reden über ihn durchkreuzt wird, nur virtuell zwar, aber als bedrohlicher Schatten. Könnte es sein, dass die Menschen hier froh sind, in den durchaus anspruchsvollen Eskapismus eines Sinfoniekonzerts zu entfliehen?

Erstaunlich: im politischen Swinger-State Florida geht es augenscheinlich liberal zu. Ich sehe keiner Flaggen mehr, ein paar dezent patriotische Buttons an Anzugrevers, das ist es. Selbst in der rustikalen Tiki Hut im Strand läuft im stummen Fernseher die „Saturday Night Live“-Komikerin Melissa McCarthy als Sean Spicer in der Endlosschleife. An der gut gefüllten Konzertsaal-Bar lachen in der Pause zwei weißhaarige Paare bei eindrücklichen Whiskey-Bechern darüber, dass die schlimmsten Donald-Verfügungen wohl immer Freitag abends kommen, weil die orthodoxen Juden Jared Kushner und Ivanka Trump, die am Sabbat nicht mailen und telefonieren, dann dem präsidialen Dickschädel nicht mehr gut zureden können.

Am nächsten Tag geht es mit dem Bus nach Palm Beach, Mar-a-Lago, das Winter White House mit dem anwesenden Mr. President und seinem japanischen Amtskollegen, es ist nur ein paar Meilen entfernt. Wir logieren freilich in West Palm Beach, einst angelegt als Wohnquartier für die Angestellten, die die 8000 Saison-Einwohner auf der schicken Milliardärsinsel versorgten. Denn meisten Musikern ist das gar nicht bewusst, sie müssen sich auf das nächste Konzert konzentrieren, denn nach kurzem Kofferauspacken geht es noch einmal eineinhalb Stunden im Bus weiter nach Miami.

Dort geht glühend die Sonne unter, was das zehn Jahre alte Arsht Center noch wertiger aussehen lässt: ein direkt an der Brücke nach South Beach gelegenes separates Opernhaus plus zwei Theater und einem schicken Buchladen/Café im alten Art-Deco-Turm eine ehemaligen Kaufhauses sowie eine 2.200-Plätze Konzerthalle, die von Akustik Guru Russell Johnson designt wurde. Ich registriere seine typischen Echokammern und den runden Akustikbaldachin über dem Orchester. Der Klang ist schön, satt streichergrundiert, rund ausgepegelt; ich fühlt mich wohnzimmerwohl im intimen Zuschauerraum wie auf dem Podium. Und höre wieder eine glänzende Eroica in der vollen Aureole des alten Europa, das Mr. Trump ein solcher Wirtschaftsdorn im zusammengekniffenen Auge ist.

Bemerkenswert, wie wach und ausgeglichen die Bamberger Musiker sind, Reisen ist für sie keine Affäre. Man gibt jeden Abend konstant sein Bestes. Im immerhin 5,5 Millionen Einwohner großen Miami herrscht hochkarätige Konkurrenz, nicht nur vom Cleveland Orchestra, das bei dem deutlich vermögenderen, gut latino-abgemischten Publikum schon seit Jahren eine Winter Residency mit vier Wochenenden und einer (Spenden-)Gala fährt. Ein mitreisender Kollege kommt in der Pause ganz beglückt aus dem Waschraum, wo ihm ein emotional berührter Student gestanden hat, wie toll er es fände, dass die Musiker quasi Nachfahren des Prager Ständetheater-Orchesters sind, das 1787 die auch hier zum Konzertauftakt in 16-er-Streicherbesetzung etwas filzpantoffelschwer gegebene „Don Giovanni“-Ouvertüre uraufgeführt hat. Ray Chen hat hier zum Max-Bruch-Violinkonzert gewechselt, doch der Eindruck bleibt: ein kühler Techniker, dem offenbar auch die mitreisende Mutter keine Empathie abverlangt.

Die Orchesterhistorie mit modernen Mitteln neu erzählen, das möchte auch Intendant Markus Rudolf Axt, der seinen Vertrag eben bis 2023 verlängert hat und mit Jakub Hrůša intensiv plant. Der 70. Geburtstag im letzten Jahr mit einer gut verkauften Deutsche-Grammophon-CD-Box historischer Aufnahmen und einem originellen Fotobuch waren ein erster Ansatz. Zu dieser Geschichte gehören natürlich auch die Tourneen, die die Bamberger im Laufe ihre bisher über 7000 Konzerte in 60 Länder und über 500 Städte geführt haben. Und die den Klangkörper weiterhin neben den Bayreuther Festspielen und der Münchner Staatsoper als Leuchtturm bayrischer Kulturpolitik auftragsgemäß weltweit ausstrahlen lassen sollen.

Als nächstes schon zum zweiten Mal in West Palm Beach, im gerade Silberjubiläum feiernden Kravis Center, einem eleganten, hinter einem Fontänenbecken gelegenen Multifunktionstheater, für das ebenfalls Russell Johnson klanglich verantwortlich zeichnet. Auch hier herrscht, mit viel Geld veranstaltet, vorwiegend zähnefletschendes US-Entertainment, aber es gibt eine hochkarätige Konzertreihe mit acht internationalen Spitzenorchestern, die lustigerweise „Regional Arts Concerts Series“ heißt. Und in Erinnerung an ihre Gründer auf der linken Bühnenseite des ägyptisch-art-deco-haft anmutenden Theaterraums eine rote Rose in einer angestrahlten Vase vor der amerikanischen Fahne platziert hat und auf der rechten eine weiße und eine rosafarbige – vor der deutschen Flagge.

                                  

Gelebte, klingende Einheit der Kulturen, die doch ein paar Kilometer weiter, im von einer ebenfalls schon Prä-Trump goldinfizierten Cornflakes-Erbin erbauten Protzanwesen, wo die Clubmitgliedschaft sich verdoppelt hat, damit man dem US-Präsidenten als Werbemaßname beim Dinner zusehen kann, mit den Füßen getreten wird. Keiner der Orchesterreisenden hat sich dorthin getraut, Sperrungen und Sicherheitsmaßnahmen lassen von einer Annäherung Abstand nehmen. Auch Bill Clinton hat hier am Wochenende irgendwo gefeiert und eine weitere Milliardärsparty mit Kamelen, Feuerwerk und Gwen Stefani soll einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen haben…

                                  

Im Konzertsaal aber sitzt eher die obere Mittelklasse. Und ist gerade beim Mahler weniger konzentriert. Was sich direkt auf die Musiker überträgt. Noch so schön gespielt, hängt es diesmal irgendwie durch, der Schwund im Saal ist beträchtlich, selbst vor dem leisen, intensiven Adagietto trollen sich weitere geräuschvoll. Das ist das Elend der amerikanischen Kultur: Sie hat in weiten Teilen zu fordern verlernt, 75 Minuten Mahler stoßen da schon an Aufmerksamkeitsgrenzen. Dafür johlt es im Saal, wenn Ray Chen als Zugabe Paganinis 21. Capriccio abschnurren lässt: Sportiv und spektakulär geht hier immer.

„Breathtaking and brilliant“, schwärmt dann später trotzdem die örtliche Kritik, lobt besonders die enge, jederzeit spürbare Verbindung von Eschenbach und dem Orchester. Der scherzt hinter der Bühne ebenfalls über die „Trumpocalypse“, wird aber gleich wieder ernst. Der scheidende Chef des National Symphony Orchestra erzählt, wie sie im Washingtoner Kennedy Center alle brav stillhalten. Man erhält zwar als Klangkörper ebenfalls kaum staatliche Förderung, aber das politisch durchzogene Aufsichtsgremium des Hauses wird bald neu gewählt. Allein der Schutz für Melania Trump in New York soll inzwischen mehr kosten als der ganze National Endowment for the Arts im Jahr erhält.

Die versierten, nicht aus der Ruhe zu bringenden Bamberger ziehen hingegen frohgemut und stolz auf ihren Erfolg weiter nach Kalifornien. Los Angeles, San Diego und Palm Springs stehen noch auf dem Speiseplan. Mich aber zieht es zurück nach Europa.

Der Beitrag Orchesterreise ins Trump-Trauma-Land: Mit den Bamberger Symphonikern in den USA. Teil II erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826