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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Movimentos Festwochen: Israel Galváns spannender Anti-Flamenco

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Es mag ein Zufall sein. Aber kaum sind die um den Tanz herum zentrierten Movimentos Festwochen zum 15. Mal gestartet, diesmal aber eben ohne den avatarhaften mastermind Maria „Doc“ Schneider, da ist das kulturelle Aushängeschild der VW-Autostadt Wolfsburg ein wenig rauer, mutiger, weniger geleckt geworden. Getreu dem diesjährigen Motto „Freiheit“. Will sagen: Auch im Kraftwerk am Mittellandkanal wagt man endlich einige Grenzgänger. Da kam zwar, wie üblich zum gefälligen Auftakt, der franko-albanische Choreograf Angelin Preljocaj mit dem hauptsächlich schön anzusehenden „La fresque“, aber schon das Nederlands Dans Theater, das auch den immer schräg anzusehenden Marco Goecke dabei hat, lässt es mit einem Werk von Sharon Eyal & Gai Behar aggressiv krachen.

Und jetzt war der Spanier Israel Galván mit dem koproduzierten, ganz frischen „La Fiesta“ zu sehen. Für manche ist er ein Enfant terrible, für andere eine Ikone der Avantgarde: In jedem Fall hat Galván die traditionellen Formen des Flamencos dekonstruiert, um sie durch individuelle Elemente zu modernisieren. Und deswegen ist dieses neue Stück auch keine strahlende Selbstfeier an knallende Absätze, Machogockel, stolze Carmens im Pünktchenkleid mit ganz vielen Volants, sondern eine Hommage der abgefeimten Art. Das beginnt schon mit dem dicken, greinenden Paar, das erst Mal auf der schmucklosen, nur mit ein paar Mehrzweckpodesten ausgestalteten Bühne breit grinsend Platz nimmt. Hier wird keine optimierte Folklore für Touristen aufgetrimmt, hier horcht man eher einer jahrhundertealten Volkskunst zu, in der jeder sich einbringen kann, und deswegen kommt der Maestro himself auch auf allen vieren den Bau nach oben gekehrt die Treppe durch Publikum runter auf die Bühne.

Fotos: Chihiro Minato/Alexandra Konochenco

Flamenco als Lebensgefühl, als Daseinsform. Programmheftprosa. Hier wird er eher zu einem Anti-Fest aus Blicken, Worten, Gesängen, Tänzen. Galván hat den Flamenco schon als Kind in sich aufgesogen, beherrscht das traditionelle Vokabular – und hat gerade deshalb daraus schon früh etwas atemberaubend Neues, sehr Persönliches und diesmal gar nicht virtuos Überwältigendes, sondern verstörend Nachdenkliches gemacht. Das schmeckt nicht jedem.

Man hat Israel Galván mal den Picasso des Flamencos genannt. Und so wie der hat er verschiedene Malweisen und Perspektiven vorrätig. „La Fiesta“ ist eine Mischung aus melancholischer Blauer Periode mit einer Prise Kubismus und Surrealismus und ein wenig Handgestricktem. Der 44-jährige Bailaor, der 1998 seine erste eigene Compañia gründete macht keinen Unterschied zwischen Musikern und Tänzern, es geht ihm, man spürt das jedem Moment lang dieser sehr experimentellen Flamenco-Recherche, nicht um die gelackte Oberfläche, sondern um das Wesen, den Charakter dieses eben nicht nur schönen und strahlenden, sondern auch missmutigen, leisen und verzweifelten Tanzes.

Galván probiert riskante Situationen, absurde Momente oder widerständige Objekte aus, er lässt die Aktion zum Stillstand kommen – und dann gibt es doch wieder einen Moment lang das alte Flamenco-Feuer. Nur um mit seinen acht Mitwirkenden daran zu erinnern, um was es hier diesmal eben nicht geht. Stattdessen setzt sich einer eine Schüssel Popcorn auf, oder rennt gegen eine Tischplatte. Israel Galván, am Ende dann doch noch theatralisch und traurig zugleich in einem goldenen Umhang als Anti-Zampano, zerlegt den Flamenco, erweitert ihn um eigenwillige Elemente und setzt ihn neu zusammen. Da sieht man zudem Techniken und Bewegungsabfolgen aus dem Tanztheater und dem zeitgenössischen Tanz.

„La Fiesta“ feiert eben auf andere Art ein Lebensgefühl, und Galván feiert mit Gästen, die authentisch, intuitiv, absolut „puro“ sind. Neun tanzende Stimmen und singende Körper, neun Individuen. „Rohkost aus Blicken, Worten, Grüßen, Tänzen und Animalischem“, nennt Galván das selbst. Darauf dann doch eine Sangria!

Noch bis zum 13. Mai

 

 

Der Beitrag Movimentos Festwochen: Israel Galváns spannender Anti-Flamenco erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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