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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Von Aix nach Dijon: „Kalîla wa Dimna“, eine Entdeckung am Wegesrand

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Weil in Paris an einem Samstag musikalisch nichts Interessantes zu finden war, kam auf dem Weg nach Lyon endlich mal die Opéra de Dijon zu ihrem Recht, die Stadt der Burgunderherzöge (der Mittelalterteil des Museums mit deren Gräbern ist frisch renoviert) und des Senfs ist touristisch sowieso jeden Stopp wert. Man ist hier eine frisch ernannts „Théatre lyrique d’intérêt national“, quasi eine komplex evaluierte Qualitätsstufe unter den Opéras nationales, aber über den nur städtischen Theatern, trotzdem steuert etwa 60 Prozent des Budgets von etwas über 10 Millionen Euro die Stadt zu. 57 Euro kostet der teuerste Platz. Man hat zwar kein festes Stadttheaterensemble zu bieten, aber ein pralles Angebot klingender französischer, aber auch internationaler Namen, wie sie sich in kaum einer 140.000 Einwohner-Stadt in Deutschland würden finden lassen.

Der seit zehn Jahren amtierende Intendant Laurent Joyeux, der hier ein Haus vorgefunden hat, wo man gerade mal von „Le Nozze di Figaro“ bis „Werther“ das Repertoire abdeckte, stellt jede Saison unter ein Motto. Dieses Jahr war es „Im Land der Träume“, die folgende Spielzeit dreht sich um (spanisch grundierte) Metamorphosen und bemüht dafür attraktive Fotocollagen leicht bekleideter Menschen. Joyeux bespielt das klassizistische Grand Théâtre mit seinem Säulenportikus ud 700 Plätzen neben dem Herzogsplast und das am Altstadtrand gelegene, vor 20 Jahren im damaligen Futurismusstil gebaute Auditorium mit über 1600 Plätzen; hier residiert auch die Mannschaft von über 100 Angestellten, darunter der Chor und die eigenen Ateliers. Als assoziiertes Orchester verfügt man über das unabhängige Orchestre Dijon Bourgogne.

Zehn Opern werden für 2016/17 ausgewiesen, szenisch sind es sieben. Mit manchen gastiert man auch im mauernumstandenen Besançon, der ehemaligen Hauptstadt der Franche-Comté. Drei Barockopern von Gluck und Monteverdi sind dabei, weil man mit Emmanuelle Haïm und ihrem Le Concert d’Astrée kooperiert, so wie auch mit dem Argentinier Leonardo García Alarcón und seiner Cappella Mediterrano, der einen „Nabucco“ von Michelangelo Falvetti konzertant beisteuert. Der ebenfalls feste Partner Christophe Rousset dirigiert mit seinem Ensemble Les talents lyriques seine erste „Zauberflöte“.

Einiges ist reduziert („Giannni Schichi“) oder mit Studenten konzipiert („La Clemenza di Tito“). Kommt etwas Koproduziertes, stehen schon mal Julian Prégardien, Rolando Villazon und Magdalena Kozena auf der Besetzungsliste. Das Festival von Aix-en-Provence ist ein bewährter Partner, im qualitätsvoll von Barock bis Jazz und Weltmusik reichenden Konzertbereich, der weit größer ist als das Opernangebot, kooperiert Joyeux mit Jos van Immerseel und seiner Anima Eterna sowie mit Les Dissonaces unter David Grimal und Andreas Steier. Vieles gibt es zudem für Kinder und als Education-Programme, angefangen mit der Oper für alle „Little Nemo“. Namhaft ist auch das Angebot eingeladener Tanzkompanien.

In der nächsten Saison ist beispielsweise Sasha Waltz mit ihrem neuen, im Juni in Berlin erstmals gezeigten Stück dabei. Und in der Oper zeigt man gleich nach dem Sommer Philippe Boesmans’ in Aix uraufgeführten „Pinocchio“, das von Sebastian Daucé rekonstruierte „Ballet Royal de la Nuit“, eine der großen Extravaganzen Ludwig XIV. oder Verdis „Simon Boccanegra“. Emmanuelle Haïm kommt zwei Balletten des hier geborenen Rameau und von Mondonville, García Alcarón mit „Il prometeo“ von Antonio Draghi.

Fotos: Patrick Berger/artcomat

Jetzt aber gastierte für drei Vorstellung die koproduzierte im letzten Aix-Sommer uraufgeführte Oper „Kalîla wa Dimna“ des palästinensischen Komponisten Moneim Adwan. Das ist mit seiner uralten Tierfabeln und seiner parabelhaften, aber sehr deutlichen, dabei einfachen Geschichte mehr Singspiel, auch mal lauthals fröhliches Musical. Dimna, armer Leute Sohn, klettert die politische Karriereleiter hoch, indem er sich beim König Gut Freund macht. Eifersüchtig intrigiert er gegen den beliebten Dichter Chatraba, der vom Könug getötet wird; am Ende aber wird der Verleumder doch scheitern. Die Königinmutter sowie Dimnas Schwester Kalîla, die die Geschichte als Rückblende erzählt, warnen vergeblich.

Adwan ist der Aixer Musikakademie entsprossen, in eine einfache Form hat er viel Bedeutung eingepasst, musikalisch feiert (der selbst Dimna spielt und singt) die Improvisationen der arabischen Klänge. Nur fünf Musiker spielen frei und selbstbewusst Geige, Cello, Klarinette, Schlagwerk und die Zither „qanûn“. Olivier Letellier hat das zwischen erhöhten Bänken und Sitzen überschaubar und eindringlich stilisiert arrangiert, Zied Zouari dirigiert mit Verve von der Violine aus. Gesungen wird in Arabisch, gesprochen in Französisch. Und gemeint sind natürlich wir alle. Beim begeisterten Publikum in Dijon ist die Botschaft angekommen.

www.opera-dijon.fr

Der Beitrag Von Aix nach Dijon: „Kalîla wa Dimna“, eine Entdeckung am Wegesrand erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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