Doch, sie sind in Basel ein starkes Team geworden, der vom Schauspiel kommende Andreas Beck, der erstmals ein Dreispartenhaus übernommen hat, und die Amerikanerin Laura Berman, als seine Operndirektorin, nachdem ihren Job seit dem Abgang von Dietmar Schwarz an die Deutsche Oper Berlin der inzwischen in Hamburg amtierende Georges Delnon mitgemacht hatte. Man hätte es nicht unbedingt gedacht: Laura Berman, die gern und viel lacht, kann eine schräge Hummel sein, kommt sie doch aus dem Perfomativen und der Avantgarde, war meist an einem wirklichen Miteinander der Künste interessiert als an strenger Spartentrennung, hatte freilich auch feste Jobs am Theater Freiburg und den Bregenzer Festspielen. Aber nun das nicht ganz unproblematische, theateraffine, aber auch spröde Basel, wo die Zuschauer gern wegbleiben, wenn die ihnen angerichtete Mischung nicht mundet? Es hat besser funktioniert als erwartet: Im ersten Jahr hatte man am Ende der Saison mit Stockhausens endlich aus den Fängen der Family-Deutung entrissenen „Donnerstag aus Licht“ einen echten Skandal wie Hit. Man wurde auf der Bestenliste „Opernhaus des Jahres“ zweiter. Und schon mit der nächsten Spielzeit, die eben zu Ende gegangen ist, war Laura Berman wirklich zufrieden: „Wir haben keine Kompromisse gemacht und es ist eigentlich alles aufgegangen“, sagt sie bei einer Tasse Kaffee in ihrem Kabuffbüro.
Diese Spielzeit, das waren „Don Giovanni“ und „Die Macht des Schicksals“, Carousel“, „Alcina“ „Oresteia“ von Xenakis, „Ariane et Barbe-Bleu“ und Philip Glass’ „Satyagraha“. Mit Regisseuren wie Richard Jones, Sebastian Baumgarten, Lydia Steier, Calixto Bieito und Sidi Larbi Cherkaoui. Und gleich zur Eröffnung stemmten der Theater-Shootingstar Simon Stone (der Basel Ende der Saison nach zwei Jahren als Hausregisseur wieder verlassen hat) mit dem ebenfalls gut angekommenen und angenommenen GMD Erik Nielsen Korngolds „Die tote Stadt“; eine so erfolgreiche Produktion, dass sie jetzt sogar die sonst ach so feine Bayerische Staatsoper für München aufgekauft hat. Kein Wunder, dass Laura Berman, Basel nach weiteren zwei Spielzeiten schon wieder verlässt: Die 57-Jährige konnte einfach nicht nein sagen, als man ihr die Intendant der Staatsoper Hannover ab Sommer 2019 förmlich angeboten hat.
In den letzten Spielzeittagen waren jetzt noch einmal zwei sehr gegensätzliche, gelichermaßen eindrucksvolle Produktionen parallel zu sehen: „Satyagraha“, Phil Glass’ minimalistisch-abstrakte, obwohl vom Libretto durchaus konkret bezeichnete Reflektionen über die afrikanischen Formungsjahren Mahatma Gandhis in der ritualhaft durchchoreografieren, dabei so strengen wie lockeren Inszenierung des weltweit gefragten Tanz-Gurus Sidi Larbi Cherkaoui, die nächste Spielzeit an die Komische Oper Berlin und dann nach Antwerpen/Gent wandert. Und Lydia Steiers konzentrierte, poetische, aber auch durchaus humorvolle Sichtweise auf die Liebesnöte der morgenländischen Zauberin Alcina mit Kreuzritter Ruggero, wie sie Händel nach Ariost komponiert hat.
Aus der wüsten Insel der amourös verstrahlten Magierin, die ihre abgelegten Liebhaber in Tiere zu verwandeln pflegt, wurde eine Menagerie seltsamer Bestiarien im Baströckchen, hinten entfaltet sich ein Fächer, Glühbirnen strahlen als Sterne, aber wenn die Gefühle mal wieder auf dem Tiefpunkt sind, dann dräuen da aber auch nur kahle Felsen. Die Alcina der raumfüllend orgelnden Nicole Heaston ist eine aufgetakelte Wuchtbrumme, die aber auch ihr Herz berührend schlicht bloßlegt, ihre Schwester Morgana (mit kecker Koloratur: Bryony Dwyer) trägt sehr possierlich den Nixenschwanz am Bändel. Diese gar nicht so unschuldige Wildnis und wuchernde Glasperlen-Buntheit der verhexten Emotionen verwandeln freilich die christlichen Ritter in ein triste Schreibtischhalle der Bürohengste, wo jederlei Individualität ausgetrieben werden soll. Man versteht schnell, warum es den hinreißend schüchternen Ruggero des sich klanglich herrlich schön Pfauenspreizenden Valer Sabadus nicht so unbedingt pfeilschnell in die Arme seiner zunächst als Mann verkleideten Geliebten Bradamante zurücktreibt. Obwohl auch der Katarina Bradic viel dominatrixstrengen Mezzosopranliebreiz angedeihen lässt.
Da steppt der Bär bzw. Alcinas Militärattachée Oronte (Nathan Haller) als Indianer, und es wird fleißig mit Bananen gewedelt: Carmen Miranda lässt die Barockoper schön grüßen. Dass die zwischen überbordender Vokalverzierung und zierlich nach innen schauender Seelenbespiegelung fein ausbalanciert zu ihrem Klangrecht kommt, dafür sorgt mit Akkuratesse und Finesse Andrea Marcon am Pult des La Cetra Orchesters. Eine rundum gefallende Variante eines durchaus vielgespielten Stückes.
Das kann man von dem Gandhi-Musikdrama in Sanskrit nun wirklich nicht sagen. Das ist eine Seltenheit, obwohl gerade auch anderswo aus der Repertoirekiste gezogen. Aber auch hier glückt Sidi Larbi Cherkaoui in seiner erst zweiten Operninszenierung, die eigentlich eine Choreografie ist, ein spannender, nie einlullender Musiktheaterabend; dabei geht es auf der Bühne eigentlich nie konkret biographisch zug. Die Patterns und modulatorischen Endlosschleifen von Glass’ zweitem Musiktheaterstück aus dem Jahr 1980 kommen präzise aus dem Graben. Gewaltfreier Widerstand gegenüber jeglicher Sägezahn-Neuen-Musik ist hier immer zu spüren, ebenso wie auf der Bühne als Philosophie der Hauptfigur.
Gandhi singt Rolf Romei mit tenoral messiashaftem Sendungsbewusstsein, als Teil der Masse, aus der er ritualhaft hervortritt und wieder darin verschwindet bescheiden, aber doch immer im Mittelpunkt gehalten von Henning Ahrs kühlem, kantigem Bühnenkonstrukt, das ohne jeden Exotismusverdacht nur ein Podest an Seilen im schwarzen Raum vorstellt. Das stellt sich zur Schräge oder schwebt mit Protagonisten drauf auf halber Höhe, andere kriechen darunter herum – vor allem die elf faszinierenden Tänzer von Cherkaouis Eastman Company, die autark wie als Chorunterstützung agieren. Hier bewegen sich alle mehr oder weniger gemeinsam, auch die engagierten übrigen Gesangsolisten; der treibende Fluss der Musik findet seinen Widerhall in der Bühnenoptik, die sich auch mit dezent farbigen Kostümen zurückhält.
Keine Chronik soll hier abgespult werden. Das Prinzip Gandhi wird in der Partitur eher wie ein Mantra in kreiselnden Wiederholungen einfachster Dreiklänge und Tonskalen für Streicher und Holz gepredigt. Was Jonathan Stockhammer mit seinem Orchester aus Streichern und Holz ziemlich souverän vollbringt. Der Chor gefällt sich gelassen in seinen Repetitionen, zumal er ja auch noch mittanzen muss. Das freilich wird im Herbst bei den Chorsolisten der Komischen Oper weit besser funktionieren. Und wenn am Ende buddhagleich ein einsamer Gandhi über allem schwebt, dann reibt man sich nach dreieinhalb Stunden gelassen die Augen: Der transzendierende Moment dieser Musik, der den Zuhörer entrückt, besonders im weitgehend abstrakten dritten Akt wie im Flow schwerlos werden lässt, er hat funktioniert.
Ob bei Händel oder Glass, die Opernsparte des Theater Basel ist leistungsstark und fantasievoll zugleich wie lange nicht. Und das scheint sich – auf dem Papier der Spielzeit Vorschau – auch für die Saison 2017/18 fortzusetzen.
Der Beitrag Sanskrit im Trance, tierische Barockbegierde: Das Theater Basel legt mit „Satyagraha“ und „Alcina“ ein starkes Saisonfinale hin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.