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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Viva la Mamma!: Ein spritziges Sommer-Sorbetto in Lyon

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Es war eine ziemlich schwergewichtige Saison 16/17 an der Opéra de Lyon – mit dem Festival „Memoires“ als Wiederentdeckung alter Regietheaterklassiker, mit Gluck und Honegger und Prokofiew. Eine gute Gelegenheit also für den Intendanten Serge Dorny, zum Finale auf ein spritziges Sommer-Sorbetto einzuladen. Sein wie immer auffallend junges Publikum dankte es ihm begeistert in der letzten Premiere mit Gaetano Donizettis „Viva la Mamma!“. Diese herrliche Farce über die Annehmlichkeiten, vor allem aber den ganz normalen Wahnsinn, der Theater heißt, erhielt ihren griffigen Titel erst Ende der Sechzigerjahre bei einer Münchner Produktion. Denn „Le Convenienze ed iconvenienze teatrali“ liest sich einfach zu sperrig; aber sonderlich oft begegnet man dem satirischen Einakter von knapp zwei Stunden Dauer nicht. 1827 für Neapel entworfen, vier Jahre später für Mailand umgearbeitet, steht er im Schatten der drei großen Donizetti-Buffas „Liebestrank“, „Regimentstochter“ und „Don Pasquale“ (der eigentlich eine bitterböse Typenkomödie ist). Und man braucht dafür zweierlei: ein spielfreudiges, dem Klamauk nicht abgeneigtes Ensemble samt einem Bass in Frauenkleidern als titelgebende Mamma Agata, die Mutter der zweiten Sängerin, welche von ihr zu ersten gepuscht werden soll – sowie einen Regisseur, der Komik kann und Klamotte ernst nimmt.

In Lyon war das alles überreich vorhanden. Und so könnte diese Koproduktion mit Genf, Turin und Barcelona, die auch aufgezeichnet werden soll (von dem Stück gibt es nur zwei Liveaufnahmen unde ein schlechte DVD), für den Regisseur Laurent Pelly eine ebensolcher Reise-Klassiker werden wie sein „Fille du Régiment“, die inzwischen sechs Opernstationen absolviert hat.

Es beginnt mit Straßenlärm und Autopiepsen. Eben noch stellt eine Frau ihren Cinquecento im Parkhaus ab, das früher mal das Stadttheater von Lodi war und leistet sich noch einen schnelle Flirt mit dem Pförtner. Dann kommt wie aus einer anderen Zeit eine schwarzbemantelte Figur hereinspaziert, zwischen den Fahrzeugen wird ein Tisch platziert, Stühle stehen plötzlich an der rechten Wand mit der einstigen Bühne, die jetzt mit einer Mauer grob verbaut ist. Menschen in Kleidern aus den Fünfzigern haben sich ihren alten Lebensraum zurückerobert. Eine Operntruppe startet mit der Probe der Römer-Seria „Romulus und Ersilia“, lässt das Schnöde Jetzt dieses Ortes vergessen. Und je länger selbst diese lächerliche, aber in Momente eben wahrhaftige Parodie dauert, die Schatten der Vergangenheit werden immer lebendiger: mit ihren Leidenschaften, aber auch mit ihrer Eifersucht und Eitelkeit, ihrem Streit und ihrer Kunst, Noten in Töne zu verwandeln. Sie erobern sich ihren alten Ort zurück.

Ein Sieg der Kunst über die übrige Zeit. Da rauscht der Countertenor (forsch-frech: Katherine Aitken), früher wäre er ein Musico, also ein Kastrat gewesen, empört ab ,weil er keine adäquate Arie hat. Dito der natürlich sehr aufgeblasene, zudem mit seinem deutschen Akzent belachte Tenor, den Enea Scala viel schöner und höhenprächtiger singt, als man es hier erwarten würde. Der Maestro (Pietro d Bianco) sinkt stoisch immer tiefer in seine Partiturseiten, der Dichter (Enric Martinez-Castignani) rauft sich seine wenig verbliebenen, akkurat quergekämmten Resthaare. Für den Tenor springt der Ehemann der Primadonna ein, der zugkräftig vokalisierende Charles Rice zeichnet ihn präzise als Mischung aus Kofferträger und timidem Heros.

Und auch das Duell der beiden Diven ist eigentlich ein Zweikampf unsicherer, auf Erfolg getrimmter Egos. Die erste Dame Doria wird von Patrizia Ciofi mit blonder Lockenpracht, Hut und Federkrone und noch mehr Allüre auf die so gar nicht bedeutenden Bretter gewuchtet und mit ihren gaumigen Signaturrouladen gepolstert. Doch, egal, ob sie jetzt Duette mit kleineren Rollen singen mag oder nicht, wenn die Stimme weg ist, dann könnte auch sie schnell wieder Kuchenverkäuferin auf der Straße sein. Der Abgrund gähnt, das wird auch der seconda donna deutlich (Clara Meloni singt sie mit lyrischer Aureole), die zweifelt, ob der Moment im Rampenschein so viel Mühe und Entbehrung, Druck und Lampenfieber wert sein wird.

Auf dem Lyoneser Theaterplakat wirbt Maria Callas für das weithin unbekannte Donizetti-Werk. Doch nicht einmal eine lächerliche Diva wie Bianca Castafiore tritt hier an, nur – Aufmarsch aus dem ersten Rang, mit viel Gezeter und Hallo – eine plumpe Blondine, mit Blumenkohllöcken und Kittelschürze, ecco: Mamma Agata! Laurent Naouri spielt diese singende Mrs. Doughtfire, die schließlich den Kontratenor in der Titelrolle ersetzen soll, auch mit Nylonstrümpfen und Lippenstift so klar und sängerisch schlank wie sonst seine Väter- und Schurkenrollen, modern, ohne Schmiere, mit liebevollem Augenzwinkern. Er tobt und keift, schrillt und gurgelt, doch er ist auch die große Liebende einer eigentlich unmöglichen Kunstform. Wenn er in seiner Romanze, die Donizetti als gustiöse Parodie auf Rossinis Desdemona-Arie aus „Otello“ komponiert hat, nicht nur von frittierten Fischen und ängstlichem Gemüse fabuliert in Tempo, Rhythmus, Tonhöhe, Harmonie und überhaupt allem versagt und sich doch immer wieder aufrafft bis zum verschluckt-verkreischten Schlusston, dann ist das ganz große Kunst der Komödie. Also das Schwierigste überhaupt. Weil diese Figur keinen Moment lang der nur schadenfrohen Lächerlichkeit ausgeliefert wird.

Der junge, begabte Lorenzo Viotti im Graben und der alte Regiehaudegen Laurent Pelly ziehen da an einem Strang. Das Soufflee wird ernst genommen, deshalb fällt es nicht zusammen, sondern geht federleicht auf. Diese Musik ist nichts Besonderes, aber Viotti dirigiert sie mir flexibler Akkuratesse und blubberndem Brio, lässt die Kantilenen leuchten und scheucht den Chor, der nix kapiert, aber wunderbar als Lanzenträger um Ciofis großen Auftritt arrangiert ist.

Längst wurde nach der Pause aus dem alten Theater wieder ein Opernfeenschloss, mit Lüster, Vorhang, roten Sitzen und goldenem Ornat. Das Parkhaus ist vergessen, die Kraft der Imagination hat das möglich gemacht. Bis – und da ist Pelly sehr nahe bei Fellini – die pleite gegangene Truppe auseinanderstobert, um die Flucht vor den Gläubigern anzutreten, und wie im Film „Orchesterprobe“ Bauarbeiter hereinbrechen, um dem talmihaften Bühnenspuk ein Ende bereiten. Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein…und in Lyon geht man vergnügt in die wohlverdiente Sommerpause.

Noch bis zum 8. Juli.

Der Beitrag Viva la Mamma!: Ein spritziges Sommer-Sorbetto in Lyon erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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