Angeblich soll Wagners „Tristan“ ja eine der Opern sein, für die das Bayreuther Festspielhaus ideal ist: so viel verschwimmende Chromatik, Fokussierung auf wenige Personen, Tag, Nacht, Traum, Rausch, erotischer Wahnsinn! Vor allem aber warten „Tristan und Isolde“ mit einem leisen, zurückhaltenden, sich langsam steigernden Vorspiel auf. Dessen Beginn gerade in diesem Festspielhaus meist nie (mehr) zu erleben ist. Weil man keinen mit Applaus bedachten Dirigenten hereinkommen sieht, weil viele immer später in den Zuschauerraum kommen, schwätzen, letzte Mails checken. Da ist dann schnell der berühmte erste „Tristan“-Akkord zerstört, keine Implosion mehr! Dafür Irrläufer-Paare, die im Dunkel 60 Leute in der falschen Reihe unter bisweilen halblautem Protest aufstehen lassen, um sich dann vergeblich am anderen Rand stehend wiederfinden. Andere gehen dann bereits nach zwei Minuten laut türrumpelnd wieder. Da wird gezischt und gezischelt. Mindestens drei Handys klingeln, eines extra penetrant im ersten Brangänen-Ruf im zweiten Akt. Und ein besonders blöder Rüpel hat stundenlang gewartet, um am Ende des Liebestods, wenn Petra Lang von ihrem auf einem Katafalk aufgebahrten Stephen Gould lassen muss, und König Marke sie entschlossen (alles meins) ins Dunkel zerrt, so kulturlos wie flegelhaft sein Missfallen über diesen völlig konsequenten Regieeinfall allen ins Ohr zu blöken. Und in die Radioübertragung hat er es sogar auch geschafft! Lebenslanges Hausverbot sollte die Folge sein.
Ansonsten ist dieser „Tristan“ wohl der dunkelste und trostloseste der Theatergeschichte. Auch karg und streng, von Frank Philipp Schlößmanns metallenem Schiffslabyrinth über die schimmernd scheinwerferbekrönte Folterkammer Markes bis zum völligen Dunkel des dritten Aktes, durch das auf der Suche nach seiner Isolde ein scheinbar genesender Tristan einer Vision nach der anderen nachläuft, die zusammensinkt oder herunterfällt, während seine Mannen um Grablichter herum wie auf einem Gemälde von George de la Tour zusammensitzen. Eine heillose Love Story! Das muss man mögen, auch ertragen können. Katharina Wagner aber hat ihre Regie geschärft und fokussiert, da ist, trotz der vielen, die Bühne noch ausfüllenden Gänge im ersten Akt eigentlich keine Bewegung zu viel. Auch die kleine Zweisamkeits-Flucht vor den Lichtkegeln ins improvisierte, mit LD-Sternchen behängte Zelt, sie läuft präzise ab.
Christian Thielemann hat sich weiterhin im „Tristan“-Griff, bleibt hurtig, lässt Emotion nur punktuell, dann aber wie befreit flutend ab. Man erlebt die Anatomie einer „Tristan“-Exegese, Klangkontrolle statt chromatisch sehrende Überwältigung. Hier sind alle in ein Korsett gepresst, bei dem fatalen Paar ist es dieses sich aufstellende Stahlgerippe, an dem sie sich zum gemeinsam Sterbenwollen ritzen. Was ihnen nicht einmal über den Tod hinaus vergönnt ist. Ob diese Foltermaschine einmal ähnlich ikonischen Status haben wird, wie die gegenwärtig in der Villa Wahnfried in der Wieland-Wagner-Ausstellung zu sehende phallisch durchbohrte Doppelstele? Zumindest reduziert Katharina Wagner, wo sie kann. Stephen Gould sing einen imperatorhaft frei strömenden dritten Akt, dem freilich immer noch der letzte Rest schon diesseitiger Ekstase abgeht. Er hat bis zum Schluss Reserven, ist in völlig weggetretener Harmonie mit seiner Partnerin im zweiten Akt. Petra Langs Isolde muss man mögen, mit starker, dominanter Mezzotiefe, bisweilen erkämpften Höhen, einer guttural nach innen gerichteten Tongebung, die kaum ein Wort verstehen lässt, aber mit einer überwältigenden, irrlichternden Identifikation und der in dieser Inszenierung passenden Autorität.
Die auch vor dem bösen, fiesen König Marke nicht Halt macht, der als Bayreuth-Rückkehrer erstmals in dieser Produktion von René Pape gegeben wird. Der singt mit für ihn ungewohnt wenig Balsamtönen, stoisch, strikt, meist das Gesicht im Halbschatten unter seinem breitkrempigen Hut verborgen. Sein Vorgänger Georg Zeppenfeld besaß mehr hagere Kompromisslosigkeit, bei Pape strömen die Worte von Verlust und Verrat, dem seine Quälmethoden wiedersprechen, breiter im Vokalfluss. Noch devoter, konfus alleingelassener die beiden, irgendwie in ihre Gebieter verliebten Untergebenen, Christa Mayers trotzdem klanglich starke Brangäne und Iain Patersons vergeblich auftrumpfender, schon an den Metallringen im Kerker scheiternder Kurwenal. Raimund Nolte ist ein nüchterner Melot als ausführender Mordgehilfe.
Hier gibt es kein Heil für niemanden. Deshalb wieder mal ein paar Buhs für die Reste des Regieteams.
Der Beitrag Konsequent dunkel: Bayreuths „Tristan“ in dritten Jahr erschien zuerst auf Brugs Klassiker.