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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Debussy-Gipfeltreffen der Star-Egos: „Pelléas et Mélisande“ in Antwerpen

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Am 25. März jährt sich der Todestag von Claude Debussy zum 100. Mal. Und Maurice Maeterlinck, der Textlieferant für „Pelléas et Mélisande“, war Belgier. Also hat Aviel Cahn, der so umtriebige wie wirkungsbewusste und bald nach Genf wechselnde Chef der Opera Vlaanderen, kurz vor diesem Datum eine All-Star-Cast der Super-Egos aus diversen Kunstrichtungen als Leading Team für eine Premiere des berühmten Stücks nach Antwerpen verpflichtet. Seine Rechnung ist aufgegangen: Es war ein so anregender, wie überraschender, tiefsinniger, wie nachdenkenswerter, vor allem aber ein sehr märchenhafter Musik- und Tanztheaterabend. Denn ausgerechnet Marina Abramovic gern sich streng gebenden Domina der Performancekunst hat nach Kollaborationen mit Robert Wilson für ihre erste Opernarbeit ein ungewöhnliches Bühnenbild abgeliefert. Sie siedelt die symbolistische Parabel im düsteren Schloss Allemonde, wo zwei Halbbrüder um eine unbekannte, stets undurchsichtig bleibende Frau kämpfen, in einer Sciene Fiction-Welt an, die im Inneren eines Auges spielt, aber gleichzeitig als eine Art Raumschiff durch ferne Galaxien trudelt: Allemonde ist überall und nirgends.

Außerdem hat es die Serbin mit Wohnsitz in Amsterdam mit Kristallen, uralten, nicht irdischen Materialien, die sie vergrößert und als weißlich phallische Zapfen aus dem Boden und von der Decke wachsen lässt. Sie stehen, uralte Gefäße für Energie und Wissen, Kapseln für Zeit und Erinnerung, siebenfach für die sieben handelnden Personen in Reih und Glied oder durcheinander; manchmal liegen sie auch, in einem Halbrund aus konvexen Spiegelsegmenten, auch der runde, von einem Neonrahmen umgürtete Boden glänzt. Von oben hängt eine kreisförmige Leinwand herab, auf die die Videokünstler Marco Brambilla unter Verwendung von Teleskopaufnahmen verführerisch bunte Planentenbilder als schwindelnde Fahrt durch das All projiziert; Mond und Sonne, Erde und Mars verwandeln sich dann freilich immer wieder in eine Iris. Dahinter ist über eine Art Showtreppe ein kreisrunde Öffnung erreichbar.

Dort oben steht am Anfang des zweiten Teiles (und des vierten Aktes) Mélisande in einem mittels Laserschneider fabrizierten, wellenförmigen Kleid und sieht aus wie ein Ziegfeld Girl als Mischung aus altmodischem Revuestar-Schmetterling und futuristischer Queen of Outer Space. Umgeben ist sie von sieben kraftvoll-sehnigen, kaum bekleideten Tänzern, die sie mit Schnüren ornamental einrahmen. So wie schon zu anfangs auf der dämmrigen Bühne aus dem Seilgewirr der da schwarzverhüllten Tänzer ein kleines Mädchen aufstand und entschwand, um durch Mélisande ersetzt zu werden, die von Golaud gefunden wird.

Denn neben den vor allem Mélisande als bleicher, grau wie blond gelockter Göttin huldigenden Kostümen der Modeschöpferin Iris van Herpen (die zuletzt auf der Bühne für Sasha Waltz gearbeitet hat) ist in dieser sehr besonderen, von den Theatern in Luxemburg, Straßburg, Göteborg und Genf koproduzierten Inszenierung Bewegung dominant:  geschaffen als Regisseur wie Choreograf von Sidi Larbi Cherkaoui, Chef des Ballet Vlaanderen, mit seinem bewährten Partner Damien Jalet. Beide hatten übrigens auch 2013 für ihren „Bolero“ an der Pariser Oper erstmals die Zusammenarbeit mit ihrer Freundin Marina Abramovic gesucht. Und wie so oft bei Nicht-Opernregisseuren: der Schwerpunkt dieses Abend liegt auf dem Visuellen und Strukturellen, der Ausgestaltung des Raumes, nicht so sehr auf Deutung und Anekdote.

Anfang wie Ende sind hier sehr offen. Wir wissen nicht, wo Mélisande herkommt, wo sie hingeht, ob ihre Beziehung zu Pelléas überhaupt real ist. Mari Eriksmoen singt und spielt sie jedenfalls atemraubend hoheitsvoll (einmal auch auf schwindelerregend hohen, absatzlosen Kristallschuhen zu wasserartig fließender Robe) wie eine erstaune Eiskönigin mit schattenlosem Sopran. Wenn Golaud seinen kleinen Sohn Yniold (klar und geradlinig: Anat Edri) in den Turm schauen lässt, in dem er das verbotene Liebespaar vermutet, dann sehen wir beide nur verzerrt hinter Vergrößerungsglas. Dort steht dann auch Golaud, wenn die zwei sich zumindest auf einem Ringrand balancierend zum Kuss in die Arme laufen und er seinen Halbbruder tötet. Am Ende kniet dann vor der toten Mélisande ihre Tochter, neuerlich als Mini-Replikantin. Beginnt jetzt alles von vorn? So fein, rhythmisch pulsierend und in ungewöhnlich dunklen Farben getaucht der souveräne Alejo Pérez am Pult des Sinfonieorchesters der Opera Vlaanderen diese filgran sich auffächernde, stets sinfonische Partitur dirigiert und zum Glühen bringt, so stark setzen die sieben Tänzer diese Impulse fort.

Sie fungierten zum einem als stummer Chor, als ornamental geführte Soldateska Golauds in filigranen Harnischen oder mit Haarhelmen, als Bettler mit tragisch überhöhter Gestik, als abstraktes Corps de ballet, das mit seinem oft zum Pentagramm sich fügenden Fäden das Gespinst der Töne im Raum verlängert, als visuelles Element, das die Zwischenspiele sehr dominant belebt. Zweimal auch taucht vor dem Vorhang ein einzelner, kunstvoll sich biegender Tänzer zwischen den Akten zu zusätzlichem electronic noise auf. Mit dem goldenen Ball Yniolds fügen sie sich zu einer Art Atlas-Skulptur.

Cherkaoui und Jarel scheuen, gerade angesichts der bisweilen esoterischen Anmutung Abramovics, auch den Kitsch nicht, doch meistens fügen sie diesem „Pelléas“ sinnfällig eine zusätzlich Dimension, die des Raumes, hinzu. Im Diffusen bleibt freilich die Beziehung der anderen Figuren zueinander. Der lyrisch helle Jacques Imbrallo (Pelléas) und der dunkel samtige, aber monochrome Leigh Melrose (Golaud) interagieren kaum; auch der langweilige Matthew Best (Arkel) und die farblose Susan Maclean (Geneviève), an der das raffiniert geschnittene Kleid noch das Interessanteste ist, verblassen zu Schemen.

Wo sich heute andere Regisseure (etwa jüngst Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin) für eine radikal durchleuchtete, ziemlich dysfunktionale Familienausstellung interessieren, gerade alles märchenhaft Unsagbare des Maeterlinck-Stücks negieren, da lotet das Antwerpener Team bewusst den Symbolgehalt (Krone, Haut, Haar, Ring, Ball, Brunnen, Licht, Schatten) der Vorlage aus, begnügt sich mit verführerisch bebildertem Ungefähr, mit Metaphysik und dem Unterbewusstem, Universellem und dem Universum, durch das man hier ziemlich wach Schlafzuwandeln scheint. Auch eine Möglichkeit – für dieses eben doch unauslotbare Kaleidoskop einer Oper. Yes, the artists were present!

Der Beitrag Debussy-Gipfeltreffen der Star-Egos: „Pelléas et Mélisande“ in Antwerpen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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