Nein, Musikdirektor Philippe Jordan hat nicht klaviergespielt, wie einmal angedacht, und auch Ballettdirektorin Aurélie Dupond hat nicht dazu getanzt. Aber sonst war es doch ein ziemlich glanzvoller Abend, an dem eben die Opéra de Paris ihre nächste Saison vorgestellt hat. Oder genauer gesagt: die nächsten eineinhalb Jahre. Denn das ganze 2019 über will man ein stolzes Jubiläum feiern – den 350. Geburtstag der von Ludwig XIV. gegründeten Académie Royale de musique als wohl ältester noch aktiver Musiktheaterinstitution der Welt. Natürlich ist man diverse Male abgebrannt und umgezogen, doch seit 1875 spielt man im Palais Garnier und seit 1989 auch in der nicht wirklich geliebten Opéra Bastille, die ebenfalls 2019 ihren 30. Geburtstag feiert – und dann ein jahr geschlossen werden muss: Renovierungen stehen an sowie endlich der Ausbau der bisher nur im Rohbau vorhandenen salle modulable für Experimentelles. „Modern seit 1669“, so steht es auf dem diesmal gelb gehaltenen Spielzeitheft, und das kann sich sehen lassen. Die New Yorker Metropolitan Opera mag sich zwar für das beste Musiktheater weltweit halten (was sicher für Amerika gilt), auch der Bayerischen Staatsoper wollen wir den selben Anspruch für Deutschland zugestehen. Aber Paris toppt sie doch, was die Ausstrahlung und den Anspruch angeht. intendant Stéphane Lissner hat sich in seinem Premierenausstoß von 18 Abenden in den 16 Monaten ab September 2018 (denen für ein Repertoirehaus deutscher Prägung vergleichsweise magere 17 ältere Produktionen gegenüberstehen) ästhetisch kompromisslos dem Heute verschrieben; auch das noch einmal acht Jahre ältere Ballett spielt darin mit einer Vielzahl von Vorstellungen und choreografischen Handschriften eine weit gewichtigere Rolle als überall sonst außerhalb Russlands.
Lissner, der gerade darüber verhandelt, ab gegenwärtigem Vertragsende 2021 wohlmöglich noch einmal zwei Spielzeiten auch jenseits seiner Pensionsgrenze dranzuhängen (am besten schon ab 2020/21 mit einem neuen Musikdirektor für den an die Wiener Staatsoper wechselnden Philippe Jordan), erfindet freilich die Opernregie nicht neu, er verlässt sich auf bewährte, wenngleich an der Seine durchaus umstrittenen Größen. Zwei Premieren sind aus Berliner Perspektive besonders interessant, da sie koproduziert werden: mit der Deutschen Oper teilt man sich Calixto Bieitos Sichtweise auf Verdis „Simon Boccanegra“ und mit der Lindenoper den wohl auch dort von René Jacobs dirigierten „Il primo omicidio“, ein Oratorium Alessandro Scarlattis, das Romeo Castellucci in Szene setzen wird.
Zweimal steigt man ganz groß in das hier lange vernachlässigte französische Grand-Opéra-Repertoire ein. Nachdem der ursprünglich vorgesehene Peter Konwitschny zu viel kürzen wollte, wird sich jetzt – erstmals in Frankreich – Andreas Kriegenburg Meyerbeers „Les Huguenots“ annehmen, wie in Berlin dirigiert Michele Mariotti; es singen Diana Damrau, Bryan Hymel und Ermonela Jaho. Bei „Les Troyens“, die seinen Berlioz-Zyklus fortsetzen, steht dann Philippe Jordan am Pult, Dmitri Tcherniakov stemmt regielich einen weiteren Zwölftonner. Elina Garanca gibt ihr Didon-Debüt, Stéphanie d’Oustrac ist Cassandre, neuerlich Bryan Hymel Énée. Weiterhin führen Véronique Gens und Stéphane ein weitgehend französischstämmiges Ensemble an. Auch Lissners Reihe mit Uraufführungen nach französischen Stoffen geht weiter – mit Michael Jarrells „Berenice“ nach Racine. Jordan dirigiert, Claus Guth inszeniert (der schon eine Oper gleichen Titels nach Poe von Johannes Maria Staud herausgebracht hat), Bo Skovhus, Barbara Hannigan und Florian Boesch schmücken die Sängerliste.
Der Novitäten-Rest ist Schwarzbrot, eine neue „Lady Macbeth“ mit Ingo Metzmacher und Krzysztof Warlikowski und ein neuer „Don Giovanni“ mit Jordan und Ivo van Hove. Spannender wird es dann wieder 2019/20, wenn in der ersten Spielzeithälfte eine neue „Traviata“ (Mariotti, Simon Stone), schon wieder Rameaus „Les Indes galantes“ (García Alarcón/Cogitore) und Borodins „Fürst Igor“ (Jordan, mit Barrie Kosky) über die Bühnen gehen. Und im Ballett gibt es neben der Sensation eines neuen Mats-Ek-Abends (der sich eigentlich schon zurückgezogen hatte) zu Liszts h-moll-Sonate und Ravels Bolero sowie einem Abendfüller von Cristal Pyte kürzere Novitäten von Marco Goecke und dem Fotografen Hiroshi Sugimoto. Auf das das absolutistische Erbe Ludwig XIV. (trotz eines gegenwärtigen Defizits) weiterhin blühe!
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