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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Man führt das Bewährte fort: die nächste Opernsaison in Berlin, München, Brüssel und London

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Der Frühling hat zumindest kalendarisch begonnen, und die Spielpläne der Opernhäuser für die nächste Saison schlagen weiter aus. Vier Major Player haben sich eben offenbart, die Berliner Staatsoper, die Bayerische Staatsoper, das Brüsseler Théâtre de la Monnaie, das Royal Opera House Covent Garden. Schauen wir mal rein. Besonders hoch waren die Erwartungen an der frisch renovierten Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo mit dem alert 40-jährigen Matthias Schulz passgenau auch ein neuer Intendant die arg in die Jahre gekommene Buddies-Riege um den allmächtigen Daniel Barenboim ( der mindestens bis 2021 bleibt) und den zum 1. April ausscheidenden Jürgen Flimm ein wenig durchpustet. Flimm, weiterhin mit Regien versorgt, lässt sich derweilen in Braunschweig, bei seiner ehemaligen Assistentin als „lebende Legende“ feiern und bekommt auch noch vom keine einzige Oper mehr aufzeichnenden rbb eine TV-Biographie nachgereicht. Zur Erinnerung: der 2008 von Barenboim geschasste Peter Mussbach, dessen Kariere damit ruiniert war, wurde hingegen wie ein Hund vom Hof gejagt.

Was also hat Schulz für seine erste Spielzeit im Köcher? Die unermüdlich neue Rollen fressende Sonya Yoncheva singt Cherubinis „Medée“ (Daniel Barenboim/Andrea Breth). Eineinhalb Uraufführungen gib es, „Violetter Schnee“ von Beat Furrer (Matthias Pintscher/Claus Guth) und die Neufassung von Jörg Widmanns „Babylon“ (Barenboim/Andreas Kriegenburg). Erstmals gibt es im Rahmen der neuaufgelegten Barocktage eine französische Barockoper mit Rameaus „Hippolyte et Aricie“, die Simon Rattle dirigiert, Aletta Collins inszeniert und choreografiert sowie Olafur Eliasson ausstattet. Ja, auch Magdalena Kozena singt natürlich mit. Zur weitergespielten Everding/Schinkel-„Zauberflöte“ gesellt sich eine Neuinszenierung von Yuval Sharon hinzu, die Franz Welser-Möst musikalisch leitet. Zu den Festtagen machen das Tandem Barenboim/Dmitry Tcherniakov weiter mit Russischen, Prokofiews ein wenig spröder „Verlobung im Kloster“, obwohl doch einmal auch „Krieg und Frieden“ geplant war. Zum Saisonende gibt es einen neuen „Rigoletto“ mit dem Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada am Pult, bei dem der Broadway-Routinier Bartlett Sher Regie führt und den man sich seltsamerweise mit der New Yorker Met teilt, wo deren Las Vegas-„Rigoletto“ doch noch vergleichsweise frisch ist.

Als „Linden 21“ bringt Schulz das Experimentelle wahlweise in den Alten Orchesterprobensaal oder ins Große Haus. Familie Flöz und die Musikbanda Franui basteln aus Schubert, Schumann, Mahler, Webern ein „Maskenmusiktheater“ namens „Himmelerde“. Von Claude Vivier gibt es die Opéra rituel de mort „Kopernikus“. Neuerlich wurde Debussys „The Fall of the House of Usher“ vervollständigt, diesmal von Annelies van Parys. Philippe Quesne macht daraus ein visuelles Gesamtkunstwerk. Insgesamt ein ansprechendes Menü, wenn auch noch eines mit dem Geschmack des Übergangs.

In München findet sich – wie schön – neben Dresden und Leipzig ebenfalls eine Neuproduktion von Smetanas melancholisch feiner „Verkaufter Braut“. David Bösch als Regisseur wird mit seiner verspielten Ästhetik sicher an seinen dortigen „Liebenstrank“-Klassiker anknüpfen können. Mit Christiane Karg, Pavol Breslik, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke und Günther Groissböck hat Pål Christian Moe traumhaft gecastet. Auf Wunsch von Dirigent Tomáš Hanus wird Deutsch gesungen, was bei diesem Stück durchaus Tradition hat. Und am Prager Nationaltheater gibt es übrigens nächste Saison gleich zwei Smetana-Nationalheiligtümer neu: „Libussa“ und „Dalibor“.

In München wird die kartenmäßig besonders heiß umkämpfte Premiere sicher ein dringend nötiger neuer „Otello“ unter Kirill Petrenko sein. Jonas Kaufmann traut sich zum zweiten Mal an die ihm gerade so passende Rolle, bewährt steht ihm Anja Harteros zur Seite; Gerald Finley dürfte ein eher sanfter Jago sein. Neuerlich darf die mit ihrer „Favorite“ nicht eben sonderlich erfolgreiche Amélie Niermeyer ans Verdi-Regiepult. Zu den Opernfestspielen 2019 leitet Petrenko zudem zusammen mit dem polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski Richard Strauss’ „Salome“, worin Marlis Petersen ihr Rollendebüt gibt. Interessante, weil äußerst selten gespielte Novität: Ernst Kreneks geschichtsschwere Zwölftonoper „Karl V.“ (Dirigent: Erik Nielsen, Regie: Carlus Padrissa/La Fura dels Baus) mit Bo Skovus in der Titelrolle. Zur Auffrischung des italienischen Repertoire gibt es Puccinis im neu eröffneten Haus nie gespielte „La Fanciulla del West“ (James Gaffigan, Andreas Dresen) mit Anja Kampe, John Lundgren, Brandon Jovanovich. Antonello Manacorda dirigiert mit Christoph Willibald Glucks „Alceste“ erstmals in München eine Premiere, um die sich szenisch sinnfällig der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui kümmert. Charles Castronovo, Dorothea Röschmann und Michael Nagy sind vokal aufgeboten. Zweite Festspielpremiere im Prinzregententheater wird endlich einmal wieder ein Händel sein: Für „Agrippina“ tritt einmal mehr Ivor Bolton ans Pult, Regie führt bei der römischen Orgie passgenau Barrie Kosky.

So bekommen die Münchner viel Seltenes in bewährten Handschriften serviert, das gegenwärtigen Leitungsteam mag offenbar seine letzten drei, bzw. zwei Jahre nichts mehr riskieren. Auch ok. Traurig ist freilich die kreative Situation beim Bayerischen Staatsballett. Igor Zelensky, der vermutlich den Intendantenwechsel 2021 nicht überleben dürfte, offeriert als einzige relevante Premiere George Balanchines abgehangenes Geschmeide „Jewels“.

Auch in Brüssel pflegt Intendant Peter de Caluwe seine bewährten Kollaborateure. Der allfällige Romeo Castellucci bekommt „Die Zauberflöte“ in seine installativen Hände, ohne Dialoge, wie man hört. Mozart dirigiert einmal mehr Antonello Manacorda, der hier als fester Gastdirigent einen ganzen Zyklus leiten soll. Endlich kommt die wegen der Renovierungsarbeiten am historischen Haus verschobene „Frankenstein“-Uraufführung von Mark Grey heraus. La Fura dels Baus werden das szenisch entsprechend spektakelhaft aufmischen. Aus London kommt Leoš Janáčeks „Totenhaus“ in der Warlikowski-Aktualisierung. Mirga Gražinytė-Tyla wird es musikalisch leiten.

Gleich bei drei stilistisch unterschiedlichen Premieren steht der hier gut angekommene Chefdirigent Alain Altinoglu am Pult – bei Laurent Pellys schon in Barcelona und San Francisco gezeigtem „Don Pasquale“, bei „Tristan und Isolde“, szenisch aufgeteilt – als einzige Überraschung – auf den ehemaligen Dramaturgen und Filmemacher Ralf PLeger sowie den bildenden Künstler Alexander Polzin, und bei Rimsky-Korsakows „Das Märchen vom Zaren Saltan“, womit Dmitry Tcherniakov hier ebenfalls seine russische Opernenzyklopädie fortsetzen will. Interessant sieht sich auch – zum 100. Todestag des Librettisten Arigo Boito – ein Neuversuch mit Ponchiellis „La Gioconda“ an, die Olivier Py und Paolo Carignani betreuen.

Ziemlich mau nimmt sich hingegen die neue Saison an Londons internationalem Opernhaus aus. Nur fünf „Neu“-Produktionen gibt es in Covent Garden, wobei Christof Loys „La forza del destino“ (mit Kaufmann, Netrebko, Maltman) und Stefan Herheims „Pique Dame“ aus Amsterdam kommen, die beide Antonio Pappano dirigiert. Richard Jones setzt den Janáček-Zyklus am Royal Opera House mit „Katia Kabanova“ fort, Deborah Warner führt Regie bei „Billy Budd“. Und nach zehn Jahren gibt es schon wieder ein neues „Hänsel und Gretel“ (mit dem Designer Antony McDonald als Regisseur und Sebastian Weigle am Pult), das einen Schwerpunkt „familienfreundlicher“ Produktionen einleiten soll. Das Royal Ballet offeriert immerhin fünf (nicht-abendfüllende) Uraufführungen von Alastair Marriott (mit einer neuen Musik von Dario Marianelli), Sidi Larbi Cherkaoui, Aletta Collins, Liam Scarlett für die Schule  sowie als Gastspiel beim LA Phil den ersten Teil eines Abendfüllers von Wayne McGregor und Thomas Adès.

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