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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Prosaischer „Parsifal“: Simon Rattle verabschiedet sich mit Dienst nach Opernvorschrift aus Baden-Baden

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Keine „Weihe“ und auch kein „Fest“. Also bleibt nur das „Bühnenspiel“. Was sich da im Baden-Badener Festspielhaus als „Parsifal“ szenisch dröge, ohne jeden Deutungsdrang ereignet, das ist mehr Brecht und Protestantismus als Wagner und Weltabschiedswerk. Und schon gar kein Bühnenweihfestspiel. Denn da ist nichts mystisch, wabert es nicht dunkel. Da ist alles hell und aufgeräumt, unordentlich und karg. Ja nur keinen Pomp, keinen synchronen Aufmarsch, nix Ritual oder pseudoklerikale Feierlichkeit, Erhebung, Verklärung gar, nur eine dürre, nüchterne Parabel erzählen die beiden weißhaarigen Wuschelköpfe Dieter Dorn und Simon Rattle nach. Die vom „reinen Tor“, der mittels des Kuss der Kundry „durch Mitleid wissend“, alte Verbrechen sühnt, Wunden schließt, der aber nicht wirklich als Waffe zum Erlöser taugt. Auch wenn er am Ende als eine Art Gurkengralskönig auf einem Thron Platz nimmt. Wer dafür bis zu 360 Euro Spitzenpreis gezahlt hatte, mag sich freilich am Ende buhend ein wenig um Opulenz und Transzendenz betrogen sehen auf der fast leeren, überschaubar möblierten Bühne – und mit diesen sachlichen, klargeführten, jegliches Überwältigungsgefühl aus dem Orchestergraben meidenden Klängen; die von den Berliner Philharmoniker freilich super-de-luxe mattiert werden.

Fotos: Monika Rittershaus

Der irgendwie so tröstlich scheinheilige „Parsifal“–  ohne Tempel und Gral, in der schlichten, schlechten Wirklichkeit oder nach einer baldigen Weltenkatastrophe angesiedelt, das ist einmal eine surreal revolutionäre, ja nihilistische Sichtweise gewesen. Und gerinnt fast schon zum schlechten, gegenwärtig allzu oft gepflegten Regieklischee. Selbst in Baden-Baden war das schon angekommen, profihaft 2004 in der beckettartig grauen, selbst in ihrer postapokalyptischen Ausgezehrtheit satten Designopulenz von Nikolaus Lehnhoff. Nun aber, in Dieter Dorns zeitlupenhafter, asiatisch angehauchter, minimalistisch überschaubarer Altherren-Ausdeutung, mit der für eine Schreinerei zu haltenden Dachstuhl- und Schrägen-Elementen von Magdalena Gut, Monika Staykovas hässlich graubraunen Lumpenkostümen und Tobias Löfflers einfallslosem Licht, wirkt das auf der monumentalen Szenenfläche doch sehr probenbühnenmäßig selbstgebastelt.

Wir haben schon verstanden, es soll nur angedeutet, der Fantasie viel gedanklicher Gralsgebiets-Raum gelassen werden: „Parsifal“ als geistige Übung für fortgeschritten selige Jünger im Glauben. Aber hier wird nur anfängerhaft nacherzählt. Dorns Deutungsversuch: Kundry (die solide präsente, nie überwältigend rollendebütierende Ruxandra Donose) muss als szenische Klammer herhalten, die schon im Vorspiel beim ersten Ertönen des trocken sich auffaltenden Gralsmotiv embryonal im Lichtkegel vor sich bauschenden Vorhängen liegt. Und dann, ähnlich positioniert, im zweiten Akt auf einem Podest emporfährt vor Klingsor auf seiner Burgzinne, die mit ihrer grauen, bauklötzchenhaften Quader- und Rechteckarchitektur aussieht wie ein Stelen-Überrest aus dem Nachbargarten von Björn Höcke. Verführen darf sie anschließend als Glitzereisfee in Weiß. Als Büßerin im dritten Akt kauert sie wieder unter einem Seilgeflecht, um am Ende als untoter Gralsgeist als einzige vor dem Vorhang auszuharren.

Gralswichtel gibt es übrigens auch, haufenweiße Statisten, die die Holzteile herumfahren und Bewegung simulieren. Was schwierig ist, so statisch und geradlinig wie Simon Rattle das dirigiert. Das sind Klangabschnitte und plane Motivflächeninseln zu erleben, kein wirklicher Fluss, agogisch ausbalanciert, dramatisch gegliedert. In die Gralsgänge kommt er nur in den behende davoneilenden, sich dunkel ballenden beiden Verwandlungsmusiken samt den anschließenden, kräftig-bedrohlichen, von Walter Zehs ordentlichem, nicht immer synchronen Telefonensemble Philharmonia Chor Wien intonieren Gralsrittergesängen.

Optisch sind die freilich alles andere als chevalerek: ein müder Männerhaufen schlurft herein, setzt sich in die Gauben, mit verschlissenen Tüchern und Laken verhängt wie beim Aufguss-Event in der Spaßsauna. Hereingeruckelt kommen aber nur, dafür gibt es extra ein Behindertenfahrelement, der mit schwärenden Binden verklebte Amfortas (zu lyrisch hell, aber baritonschön und intelligent: Gerald Finley) und sein Papa Titurel (singt wie ohne Gebiss: Robert Lloyd). Im Schlepptau haben sie einen angeschrabbelten Minibar-Kühlschrank, darin befindet sich der Gral – ganz altmodisch als weiße Heiligkeit verstrahlender Kelch. Und Brot wird großzügig aus gleich vier Körben verteilt wie bei der Baden-Badener Tafel.

Auf so viel szenische Action hat man freilich allzu lange warten müssen. Denn der hauptsächlich in seinem Stuhl bramarbasierende Grals-Hausmeister Gurnemanz (animierter, abwechslungsreicher als sonst: der trotzdem väterlich-joviale, nur einmal, Karfreitags- mit Johannisnachtzauber verwechselnd, übergriffig auf Kundry draufsteigende Franz-Josef Selig) kommt zuvor einfach nicht in die Gänge. Bis endlich Parsifal (tenortrompetendes Bärchen, aber wenig naiv: Stephen Gould) hereintapst, vor sich hertreibend diesmal das textlich korrekt zitierte Schwanenpaar als Flügelmensch samt Gattin. Bis zum Erlösungs-Ersatzschluss ungelöste Rätsel geben zudem an der rechten Bühnenseite diverse, zum Teil wieder verschwindende Zinkwannen auf, an denen dann Waschung und Salbung vollzogen wird. Plus ein drei Akte lag baumelndes Hanfseil, das noch nicht einmal eine Gralstauben-Erscheinung auslöst.

So ist man irgendwie beschäftigt und stellenweise abgelenkt, auch wenn sich dieser „Parsifal“ zieht wie „Das-sagt-sich-nicht-Kaugummi; paradoxerweise, denn Simon Rattle legte mit etwa 110 Minuten erster Akt flotte Boulez-Tempi vor. Es fühlt sich aber anders an, der auf der Stelle tretende Raum wird nie zur Zeit – vielleicht auch weil die (obwohl bei diesem Stück Karajan-, Barenboim- und Abbado-erfahrenen) Philharmoniker so aseptisch neutral schönspielen. Balance- und Klangprobleme etwa mit den Fernchören und Glocken kommen hinzu.

Nicht einmal im zweiten Akt will ein Hauch von Erotik aufkommen, wie den auch? Die Höllenrose lockt auf einem schwarzen Rundkissen, das Parsifal umkreiselt, mit kaum Personenregie, keinem Knistern, nach dem Knutscher allmählicher Erkenntnis. Es flirrt nix, Blumenmädchen mit Krepppapierblüten zu puderfarbenen Cocktailkleidern unter OP-Lichtbedingungen haben eben Null-Sex. Da kann der weitgehend stimmlose Evgeny Nikitin als Edelrocker Klingsor  noch so sehr in seine Kristallkugel stieren. Und auch das gern für diese Partitur beschworene impressionistische Verschwimmen mag sich nicht einstellen.

16 Jahre lang Simon Rattle jetzt mit den Philharmonikern Oper dirigiert, in Berlin, Salzburg, Aix-en-Provence und seit dem rüden, 2012 vom Orchester vorangetrieben Wechsel an die Oos auch in Baden-Baden. Doch, anders als mit seinem Education Projekten, scheint davon nicht viel Bleibendes, Exemplarisches gar übrig. Sir Simon im Graben, das hatte oft etwas von einer Pflichtübung. Und obwohl die Philharmoniker durchaus willig und programmplanerisch variabel auf die Baden-Badener zugehen, Musiktheater als zu oft regielich deplorables, zu häufig mit Rattles nicht unbedingt (mehr) optimaler Lieblingssängern besetztes Herzstück der Festspiele scheint nicht wirklich angekommen.

Leere Sessel gibt es schon bei der Premiere der nur dreimal, einzig hier gezeigten Produktion. Kommt dieser „Parsifal“ dann im April konzertant nach der Berlin, singen seltsamerweise anstelle von Gould und Donose Stuart Skelton und Nina Stemme  (die sich absurderweise zuvor in der gleichen Rolle bei Barenboim an der Staatsoper produziert). Jeglicher Festspielgedanke ist damit längst ausgehöhlt und fahl geworden. Nächstes Jahr gib es an Ostern Verdis „Otello“ mit einem andern Regiealtmeister, Robert Wilson, mit Skelton und Sonya Yoncheva und Daniele Gatti in der chefdirigentenlosen Zeit am Pult; das klingt nicht eben originell. So bleibt dann doch die einzige Überraschung dieses, wenigstens im Kurpark mit allerschönstem Vor-Karfreitagszauber aufwartenden Baden-Badener Rattle-Finales: dass nicht Gattin Magdalena Kozena als Kundry debütierte.

Der Beitrag Prosaischer „Parsifal“: Simon Rattle verabschiedet sich mit Dienst nach Opernvorschrift aus Baden-Baden erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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