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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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„Pique Dame“ in Salzburg: Große Modenschau und melodischer Tschaikowsky-Totentanz

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Brüste! Große, schlackernde Brüste! Nein, hier ist nicht Federico Fellini am Werk, aber ein anderes, bisweilen das Üppige liebende Fetischisten-Duo, das seine Leidenschaften elegant-brillant selbst bei den Salzburger Festspielen konsumfreundlich auszustellen vermag. Hans Neuenfels, der vor Ort nach der grausam misslungenen und noch grausamer ausgebuhten „Fledermaus“-Pleite von 2001 noch eine Rechnung offen hat, und sein Lieblingsausstatter Reinhard von der Thannen haben im großen Festspielhaus Peter Tschaikowskys nach dem „Eugen Onegin“ zweitbeliebteste Oper serviert, die „Pique Dame“. Als gigantisches, opulentes Kostümfest vor allem. Denn von der Thannen, der schon mal 1999 in Stuttgart mit Johannes Schaaf an dem gleichen Stück geübt hat, ist diesmal nur für die rattenscharf eleganten Bekleidungen zuständig. Keine Angst aber, es gibt keine Bayreuther „Lohengrin“-Nagetiere. Nur drei, possierliche, völlig überflüssige, aber in der mozärtlichen Ball-Pantomime entzückend strickende Schäflein. Das gefällt dem Salzburger Galapremierenpublikum. Auch wenn hier eigentlich ein böser, zynischer Totentanz gefeiert wird, und alle vor der Pause einem Zarinnen-Popanz huldigen, der sich als Grinseskelett mit einer Krone aus mindestens zehn Kilo Sponsorenglitzersteinen erweist.

Hauptsache schön! Das ist es diesmal. Obwohl das Beste gleich zu Anfang und in der Mitte kommt. Dann nämlich, wenn Neuenfels und von der Thannen in Christian Schmidts einfallslos graugepolstertem, lediglich – und das nicht einmal konsequent – als Raumhülle dienendem Einheitssalon den ersten Akt zerlegen: die Ammen (die mit den Brüsten und den Reifröcken) wie Kindermädchen im Petersburger Sommergarten stellen sich links und rechts in die Breitwandbühne, und auf Laufbändern fahren in Käfigen ihre Gören hinein, die gleich nach Kriegsspielen brüllen und in Geschirren gehalten werden. Dann folgen Hermann (in roter, oben offener Pagenuniform mit haarig nackter Brust) und seine Militärkumpels (die aussehen wie drei pelzverfilzten Mussorgsky-Oligarchen) auf und um einem Billardtisch; schließlich der Rest der Spaziergänger in altmodischer Badekluft und mit stilisierten Schwimmbewegungen. Das Quintett, wo alle Hauptpersonen vor dem Gewittersturm auf der Bühne und im Herzen verharren, ereignet sich in einer von hinten hereinfahrenden Zimmerzentrifuge.

Fotos: Ruth Waltz

Wunderbar ironiekomisch die schöne, aber eben auch ein wenig retardierende Arie des Fürsten Jeletzki (balsamisch baritonflüssig gesungen von Igor Golovatenko), den die mittelose Lisa heiraten soll: Ihre langweiligen Ehe kann sie sich an einem Tischtableau ausmalen, an dem ihr gleich vier Kinder aufgezwungen werden. Ansonsten wird hier – nicht unerwartbar – die so edle wie auch harmlose Elegie einer untergehenden Gesellschaft inszeniert, die freilich optisch immer bella figura macht.

Nur dieser Hermann fällt heraus. Hermann. Ohne Nachnamen, „eine regelrechte Romanfigur mit dem Profil Napoleons und der Seele des Mephistopheles“. Deutsch-russischer, nicht reicher Offizier mit Leidenschaft für Spiel und Liebe. Beides treibt ihn in den Ruin. Der Hang zu den Karten lässt ihn die alte Gräfin zu Tode erschrecken, die angeblich das Geheimnis immerwährenden Gewinnens kennt. Und deren Nichte Lisa geht ins Wasser, weil Hermann die Karten ihr vorzieht. Als dann statt Ass am Ende die dämonische „Pique Dame“ gewinnt, bleibt für den Ruinierten nur die Kugel.

Was bei Alexander Puschkin 1834 als ins Ätzbad der Satire getauchte Mischung aus pathologischem Fall, Gespenstergeschichte und zeitgenössischem Sittenbild der besseren St. Petersburger Gesellschaft angelegt ist, das wurde fast 56 Jahre später als Oper „Pique Dame“ der Gebrüder Peter Iljitsch und Modest Tschaikowsky eine fatale Liebesaffäre mit doppelt letalem Ausgang, sentimental und melancholiesatt. Lange stand das ebenso opulente wie intime Werk im Schatten des „Eugen Onegin“, und wie dort haben die Tschaikowskys Puschkins realistisch banal gezeichnete Figuren in ein mild-versöhnliches Licht getaucht. Ihre Existenzen als Verlierer und Lebenslügner wirken nicht mehr so prosaisch, die Libretti mildern ab, die Musik schmeichelt und erhöht.

Im Fall der „Pique Dame“ kommt noch ein Kunstgriff hinzu, der lange verkannt, durch Kürzungen um seine Wirkung gebracht wurde. Die Verlegung der Handlung aus dem Biedermeier in die Rokokozeit Katharinas der Großen (mit ihrem effektvoll stummen Auftritt am Ende des Festes) ermöglicht dem lebenslangen Mozartianer Tschaikowsky ein die amourösen Verstrickungen spiegelndes Schäferintermezzo als wunderfein freizügige Stilkopie. Lange hat man in „Pique Dame“ nur das Ausstattungsstück gesehen, diesen Hang dazu bedient jetzt freilich Salzburg wieder.

Denn Neuenfels verfolg zwar konsequent des Abstieg des haltlosen Hermann in den Wahnsinn. Und der amerikanische Tenor Brandon Jovanovich hat sich diese schwierigste Rolle des russischen Repertoires respektgebietend einverleibt. Er, der hier schon letztes Jahr  in Schostakowitschs „Lady Macbeth“ glänzte, hat die Stentortöne und den langen Atem für diese pathologische Studie eines Verlorenen, der eigentlich nie von der Bühne kommt, bis er am Ende tot mitten im Spieltisch versinkt. Schön ist auch zu sehen, wie in ihren beiden großen Begegnungen die beiden Liebenden eigentlich aneinander vorbeisingen, auch wenn sie sich beständig vor einem Sternenhimmel ein- und umkreisen. Die sopransatte Lisa von Evgenia Muraveva steht dann meist steif in einem schwarzweißen Kleid wie aus der A-Linien-Kollektion von Dior herum und vermag mit ihren weiten Legatowellen zu begeistern, aber nicht zu rühren. Wenn Sie desillusioniert ins Wasser der Newa geht, dann zieht sie hier einfach ihr Schattenabbild von der Rückwand.

Aber ansonsten schwelgt der längst zahnloser gewordene, diesmal auch auf ein paar Videospielereien setzende Neuenfels stetig in Ausstattung und immer neuen, von Ernst Raffelsberger vokal makellos auf den Rollbändern hereingeschaufelten Chormassen. Die Damen tragen mal Baskenmütze und Hosen um die Klavierfreundin Polina (mezzosamtig: Oksana Volkova), mal schwarze Federn und raupenähnliche Culs de Paris; die Herren wirkten wie in einem Harness, später haben sie im Finale maskenähnlich Netze vor den Gesichtern. Und die alterslos sonore Hanna Schwarz als greise Gräfin, die privat in einem kahlen Krankenzimmer haust, sieht aufgetakelt aus wie ein freches Flapper Girl in Grün aus den Twenties und ohne ihre rote Gisela-May-Perücke wie die Eva ohne Adele des gleichnamigen Gesamtkunstwerkpaares. Ihr Ende ist auch eine Art Liebestod, wenn sie sich notgeil und zärtlich zugleich ihrem Möder in die Arme wirft.

Doch auf besonders schöne Weise wird hier diese vielfältig-klangfeinen Partitur gehuldigt, und zu Recht wird der so selten Oper dirigierende Mariss Jansons (der das Werk vor zwei Jahren schon in einer freilich vielschichtigeren Stefan-Herheim-Inszenierung in Amsterdam betreut hat) am meisten gefeiert. Vom ersten Wiener-Philharmoniker-Takt an herrscht großflächig weiche Eleganz, Holzbläser-Zartheit und Akkuratesse. Im weiteren Verlauf werden zuhörens die sinister abgründigen, fatalistischen Farben dieser eigentlich so bunten Partitur betont. Immer lauter rumort der Mahlstrom des Schicksals. Es regiert massives Moll, scharfes Schwarzweiß. Im dritten Teil, wo Tschaikowsky ganz modern mit von Ferne tönenden Begräbnisgesängen, Kasernensignalen, den rollenden Wassermassen der Newa als Atmosphäre anheizende Stimmungsträger arbeitet, verdichtet sich das sogartig zur akustischen Außenseiter-Fallstudie.

Was als Streicher-Elegie beginnt und sich mit dunklen Holzbläserfarben bedrohlich verdüstert, zerfasert schließlich, wird reiner, expressiver Ausdrucksklang. Bis der Komponist sein typisches Tschaikowsky-Finale setzt, ein unbegleiteter Männertotensang, aus dem sich – ein letztes Mal – das violinenleuchtende Liebesthema keusch und üppig zugleich erhebt. Schöne, ergreifende Musik, von Jansons und den Wiener Philharmonikern meisterlich stilsicher, dramatisch-zupackend wie sensibel gespielt.

Jansons hat ein untrügliches Gespür, die an Stimmungswechseln reiche, mit vielfältigsten Formen arbeitende Partitur quasi vorauszuahnen. Die Kontraste sind wunderbar platziert und vorbereitet. Besser, sinniger und auch sinnlicher kann man diesen pompösen, aber auch intimen, grotesken wie zärtlichen, dabei dramaturgisch und farbenreich so gekonnten Fünfakter klanglich nicht verlebendigen.

Der Beitrag „Pique Dame“ in Salzburg: Große Modenschau und melodischer Tschaikowsky-Totentanz erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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