Auch wenn man es ihm körperlich nicht ansieht, Christian Thielemann ist „a good sport“. Was natürlich nicht einen Sportler meint, sondern einen guten Verlierer, einen, der kein Spielverderber ist. Zumindest nicht bei den Berliner Philharmonikern. Mit denen möchte er sich natürlich die Partnerschaft erhalten, auch wenn sie ihn letztes Jahr nicht zu ihrem neuen Chefdirigenten und Simon-Rattle-Nachfolger gewählt haben. Januar, das ist inzwischen eine gute Tradition, sind jetzt meist Thielemann-Wochen bei dem Eliteklangkörper, meist mit zwei unmittelbar aufeinander folgenden Programmen, bei denen eines aus für ihn neuem oder ausgefallenem Repertoire und das andere aus Thielemann-Standards besteht.
Und so auch 2016, im ersten Zusammentreffen nach der Wahl, wo alles ohne Klagen mehr als nur professionell seinen gewohnt philharmonischen Gang ging. Zumal auch in der Mehrzahl seine Adoranten und Parteigänger auf dem Podium saßen, für BPO-Musiker eine ziemlich offenherzige Zuschaustellung ihrer Präferenzen. Im zweiten Programm folgen Werke von Schumann, Chopin, Reimann und Strauss, auch der vertraute Partner Maurizio Pollini ist dabei; die ersten drei Konzerte waren hingegen auch für das Orchester raren französischen Kostbarkeiten vorbehalten, mehrheitlich vokal grundiert. Den Opernmann und versierten Sängerbegleiter will Christian Thielemann eben auch in diesem Rahmen nicht vergessen lassen.
Erkenntniserweiternd in der neutralen Programmheftchronik wieder einmal, dass die Philharmoniker so bedeutende Werke von Komponisten aus der zweiten Reihe, wie eben Ernest Chaussons 1893 uraufgeführtes „Poème de l’amour et de la mer“ erst 1988 oder selbst Gabriel Faurés durchlässig-kompaktes Requiem von 1900 nur zwei Jahre zuvor erstmals gespielt haben. Natürlich wissen sie, wie man diese Musik stilistisch anfasst, aber man spielte auf der Stuhlkante, ein wenig distanziert, es ist nicht wirklich Fleisch und Musikerblut, eben kein Kernrepertoire.
Auch nicht für Christian Thielemann, der das „Poème“ wie Salome das Haupt des Jochanaan in einer Silberschüssel servierte. Das klang zwar zu wenig zärtlich verwehend, eher nach Wagnerschen Winterstürmen oder Straussschem Frühlingsrauschen, atmete so eine allzu gesund teutonische Morbidität, wo mehr Flirren, Flackern, Seufzen vonnöten gewesen wäre. Ein wenig kompensierte das, auch als souverän die Worte auskostende Muttersprachlerin, Sophie Koch – einmal nicht mit ihren jüngst auftretenden Intonationsproblemen. Die herbe, leichte, doch profunde Stimme der französischen Mezzosopranistin korrespondierte so fein mit dem prägnant ausgeformten, plastisch flutenden Orchestersatz.
Die dann folgenden Debussy-Tänze für Harfe und Streichorchester werden gefühlt alle zehn Jahre für die hauseigene französische Solistin Marie-Pierre Langlamet im Wechsel mit Mozarts Konzert für Flöte und Harfe angesetzt. Und die fingerflinke Solistin beanspruchte mit ihrem konzentrierte Ton und dem sie umstellenden Streicherhalbrund von der ersten Note an alle Arpeggio-Aufmerksamkeit. Thielemann zog sich auf die Begleitfunktion zurück, dienend, ordnend, animierend, was dem stimmungsvoll duftigen Plingpling sehr gut bekam.
Fast etwas zu diesseitig, ohne jedes Parfüm von französischem Weihrauch-Sfumato präsentierte Christian Thielemann dann das Requiem von Gabriel Fauré, ein nie über Mezzoforte hinausreichendes, nichts von läuternden Jenseits-Schrecken wissen wollendes, fast zärtliches Abschiednehmen, wo man im finalen „In Paradisum“ getröstet sein will. Gänzlich uneitel ließen alle Beteiligten diese Musik fließen und sanft aufstrahlen: neben dem schön ausbalancierten Orchester der von seinem neuen Chef Gijs Leenaars eindrücklich studierte Rundfunkchor, der nie forcierte, mit lichter Sorgfalt artikulierte; und die beiden, ebenfalls mit Thielemann vertrauten Solisten – die klarstimmig innige Christiane Karg im leider viel zu kurzen, keuschen, doch dabei nicht unsinnlichen „Pie Jesu“ und der kluge, mit wenig Stimme zurückhaltend viel ausdrückende Adrian Eröd in den beiden Bariton-Einwürfen.
Christian Thielemann, entspannt fürsorglich, ohne großmeisterliche Gestik mal von einer anderen, klangfarblichen, weitgehend zartbesaiteten Seite. Gerne mehr davon!
bald ediert in der Digital Concert Hall der Philharmonker abrufbar
Der Beitrag Christian Thielemann: Französisches in einer Silberschüssel erschien zuerst auf Brugs Klassiker.