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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Der Neue am Berliner Staatsballett: Russisch? Amerikanisch? Deutsch? Daniil Simkin hat von allem etwas

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Foto: NYCityDanceProject

Wer ist der berühmteste Balletttänzer im ganzen Land? Bisher war das ganz klar in Berlin Polina Semionova, eben wieder, allerdings mit erbärmlich wenigen Stimmen zur „Tänzerin des Jahres“ gekürt. Viel Weltkarriere läuft da allerdings nicht mehr, sie ist, auch wegen ihres zweijährigen Sohnes, nach Berlin zum am Staatsballett tanzenden Mann zurückgekehrt, unterrichtet und tanzt für gutes Geld bei ihrer alten Kompagnie ein paar Gastauftritte. Da, wo man sie auch noch zur Berliner Kammertänzerin befördert hat, obwohl der Publikumsliebling längst im Streit ausgeschieden war. Am Mittwoch tanze sie mal wieder die Hauptrolle in „Schwanensee“, kraftvoll und stählern lyrisch. Der Liebreiz von früher ist ein wenig dahin, aber noch strahlt und funkelt alles. Hier, man hatte im vollen Haus zwei Tickets zum Preis von einem verkauft, ihr erstmals zur Seite als Prinz gestellt: der Kubaner Alejandro Virelles, den es aus Tamara Rojos ins Gerede gekommenem English National Ballet ins etwas entspanntere Berlin gezogen hat. Denn viel Furore haben dort die Männer unter Nacho Duato nicht machen können. Zeit für Blutauffrischung also. Virelles dreht und springt korrekt, er ist ein ordentlicher Solist, ob er herausragend sein wird, muss sich noch zeigen. Und heute geht der zweite männliche Zuwachs an den Start: Daniil Simkin, Russe, ein wenig deutsch erzogen, amerikanisch gepolt.

Foto: Daniel Jackson

Der kommt jetzt mit Anfang 30 vom American Ballet Theatre in New York zurück nach Deutschland, um vermutlich die letzte Etappe seiner Karriere als frisches Gesicht beim darbenden Berliner Staatsballett einzuläuten. Kluge Politik, denn in New York spielte er eine herausragende, aber nie die allererste Rolle. Er, der perfekt Deutsch spricht, wurde von seinen russischen Eltern in Wiesbaden erzogen, einzig von ihnen unterrichtet und gecoacht. Gezielt gewann er Wettbewerbe. Nach ersten Soloversuchen im Ballett der Wiener Staatsoper konnte er sich mit Anfang Zwanzig in den USA etablieren. Dort hat er die taffen Regeln der Selbstvermarktung kennengelernt, er ist fleißig auf den sozialen Medien unterwegs, lässt beständig von sich hören, zeigt sich auf Youtube, liefert den Fans Futter, ohne allzu viel über sich preiszugeben..

Fotos: Ken Browar

Für seinen deutschen Einstieg hat er sich professioneller Pressebetreuung versichert. Was wunderbar aufging. Er ist, noch bevor er seinen ersten Schritt heute Abend in der Staatsoper als Lenski in John Crankos „Eugen Onegin“ tut, das bekannteste Gesicht des unter Johannes Öhman einmal mehr neu startenden Staatsballetts. Denn alle Medien erzählen halt gerne ein Geschichte. Und die hat der alerte, clevere, sympathische Simkin seit Monaten schon zu bieten. Als Lenski ist Simkin nun freilich der elegische Zweite, der schön dreht, die Beine rückwärts hoch hebt, langsam springt. Der mit Ausdruck und Tiefe punkten muss und kann. Und der bald erschossen wird. Eine kluge Wahl, denn der prototypische Ballerino ist Simkin mitnichten. Er ist der klein gewachsene, grazile Techniker mit Ausstrahlung, diesen Typ gibt es aber vor Ort bereits mit Dinu Tamazlacaru und Marian Walter gleich zweimal. Er aber dürfte mehr Ausstrahlung, eine selbstsichere Grandezza haben. Mal sehen, wer sich aus dem Trio wie behaupten wird. Seinen flüssig russischen, aber eben nicht kraftprotzenden Stil mochte in New York besonders Alexei Ratmansky, der Simkin zuletzt in seinem Strauss-Süßigkeitenballett „Schlagobers“ ordentlich zu tun gab. In Berlin wird er bald eine „Bajadere“-Neufassung zeigen, und man kann schon mal wetten, wer die Premiere tanzen wird.

Foto: Rosalie O’Connor

Und wenn Simkin nun überall erzählt, wie sehr er doch Europa und Deutschland vermisst habe, dann ist da auch Kalkül dabei. Beim ABT werden die in der Mehrzahl nur als Gäste verpflichteten Solisten regelmäßig ausgetauscht, das Publikum giert nach frischem Fleisch, da hatte er wohl den Kreis des Möglichen ausgereizt. Zumal in Europa auch die spannenderen Choreografen zu erleben sind. Möglichst versatil sein, nicht nur klassisch tanzen, das verlängert in der Regel auch eine Tänzerlaufbahn. Simkin betont, wie viel er dem langjährigen ABT-Chef Kevin McKenzie verdankt und dass er ihm weiter als Gast treu bleiben wolle. Die Verbindung in die USA hat er also nicht gekappt, sich nur eine neue Brücke gebaut.

Berlin als Knotenpunkt zwischen Ost- und West, die größte Kompanie, die durch Öhman und die nächstes Jahr dazu stoßende Sasha Waltz wieder mit Aufmerksamkeit bedacht wird, das passte nun genau für Daniil Simkin, der sich hier sicher gut einfügen wird. Ob es als Publikumsliebling zum nächsten Oliver Matz oder Vladimir Malakhov langen wird? Der jungenhafte Simkin mit der scharfen, auf der Bühne gelungen ausdrucksvollen Nase, bläst seine Haare aus dem Gesicht und sieht sturr nach vorn. Wenn es nicht so toll läuft, dann wird er mit seinem Nimbus in dieser Breiten auch anderswo reüssieren. Aber zunächst ist Berlin für ihn sicher mal kein schlechter Tanzboden.

Der Beitrag Der Neue am Berliner Staatsballett: Russisch? Amerikanisch? Deutsch? Daniil Simkin hat von allem etwas erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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