Klassik-Sex in der Öffentlichkeit! Tatort: die Niederländische Nationaloper. Wladimir Putin wird das gar nicht gefallen. Wird doch der angeblich heterosexuelle russische Nationalkomponist Peter Tschaikowsky als schamhaft Männerliebender vorgeführt. Küssend mit einem Militär im Plüschsessel. Noch dazu in seiner grandiosesten Oper „Pique Dame“. Für die sinfonisch anmutende Tonspur de luxe sorgt Mariss Jansons. Er dirigiert das fantastisch klingende, in den Mittelstimmen herrlich sonore Concertgebouw-Orchester. Das fließt rund und schön organisch. Was für eine akustische Freude! Die auf der Szene ihr trickreiches Äquivalent findet. Regisseur Stefan Herheim wusste schon öfter mit der Komponistenmetapher als theatralischer Klammer zwischen Werk und Schöpfer zu hantieren. Diesmal inszeniert er mit und um Tschaikowsky ein Requiem für einen schwulen Komponisten. Opulent, düster und tragisch. Philipp Fürhofer hat den labyrinthischen, effektvoll klappbaren Raum entworfen. Es ist ein klassizistisches Musikzimmer. Der Flügel wird vom Arbeitsinstrument Tschaikowskys zum Sarg für die alte Gräfin: Sie gehört zu den vielen Opfern des Soldaten Hermann, der seine Sexualität nicht wahrhaben will. Herheim legt das wahre Tschaikowsky-Leben wie ein Passepartout um die Opernhandlung. Die Zeiten, Tschaikowskys Ära und die der Puschkin-Novelle, sie mischen sich dauernd. Tschaikowsky ist gleichzeitig auch der mit Lisa verlobte Fürst Jeletzki (hingebungsvoll gesungen und als Doppelrolle gespielt von Vladimir Stoyanov). So projiziert sich der Tonschöpfer sein Leben als Glücksfarce. Misha Didyk hat für den Hermann eine starke, auftrumpfende Tenorstimme. Die lyrische, mit etwas hartem Sopran aufwartende Svetlana Aksenova ist die naive, auch abgefeimte Lisa; Larissa Diadkova die gar nicht gebrochen klingende Gräfin.
Peter Tchaikovsky: Pique Dame. Misha Didyk, Alexey Markov, Vladimir Stoyanov, Svetlana Aksenova, Larissa Diadkova Chor der Dutch National Opera, Royal Concertgebouw Orchestra, Mariss Jansons. Regie: Stefan Herheim (cMajor)
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