Superlative verbieten sich eigentlich, schließlich ist dieser Künstler noch nicht einmal 25 Jahre alt. Und doch, was soll man da sagen, wenn man, immer überschnitten sich die Terminpläne, endlich einmal in der großen, so gut wie ausverkauften Berliner Philharmonie dem Pianisten Daniil Trifonov livehaftig im Konzert ansichtig wird? Ja, es ist Magie, pure Magie, etwas Einzigartiges um ihn, eine äußerst rare Mischung aus Können und Intuition, manueller Leichtigkeit wie Kraft und Neugierde.
Da scheint einer für den Flügel geboren, aber durchaus auch für das Konzertsaal-Erleben. Zielstrebig marschiert er herein, im engen Anzug, mit schmaler Krawatte, legt nüchtern los – aber wie! –, lockert sich zusehends, hat Spaß an der Entäußerung wie an der instrumentalen Mitteilung. Gibt am Ende aufgeräumt zwei feinsinnige wie feingespielte Zugabe (Tschaikowskys delikat in fast jazzhaft freier Rhythmik aufgelöste Variation der Silberfee aus dem Ballett „Dornröschen“ und Alexander Skrjabins lyrisch dahinfließendes cis-Moll-Prélude für die linke Hand, lässt das zuvor stark gedimmte Saal Licht wieder anschalten. Das war’s, welcome back in reality.
Die wenigen CDs sagen das eine, Christopher Nupens Video (The Magics of Music & The Castelfranco Veneto Recital – über Naxos) wie auch Youtube ein wenig mehr. Ein eigenes Interview mit Trifonov war aufschlussreich, weil sich da ein aufmerksamer, artikulierter junger Mann offenbarte, kein Tasten-Nerd und auch kein hyperbegabter, aber auch ebenso gestörter Sensibilissimus für den Pianisten-Psychiater. Auch wenn es einem angesichts von noch ausstehenden 60 (!) Auftritten in elf Ländern auf zwei Kontinenten (und die mehrmals) allein bis zum 20. Juli ein wenig Angst werden kann.
Und dann ist es aber doch das Trifonov-Live-Konzerterlebnis, das zählt. Zu erleben wie hier einer auf ganz eigene Art mit dem Flügel verschmilzt, noch verkrampft schaufelnd, fast ins Instrument kriechend bei der Bach/Brahms-Chaconne d-moll für die linke Hand, die schon auf Anhieb ungemein fesselt mit ihrer klirrenden, sicher gesetzten Anfangsakkorden und dem leisen, rundlaufenden, dabei ungemein sensitiven Passagenwerk. Bei Schuberts später G-Dur-Sonate D 894 fasziniert sein Sinn für Farben, zudem wieder die stufenlosen Wechsel zwischen fast verschwindendem Pianopianissimo und donnerndem, aber rundem Fortefortissimo.
Trifonov modelliert und manipuliert zugleich, er scheint das ganz nüchtern zu tun, eine Virtuosität ohne Dämonentum versprühend, die gleichzeitig anrührend und sensibel wirkt, nie kalkuliert, sondern spontan. Folgte er den schwebenden, von ihm produzierten Melodiebögen des romantisch sanft bebenden Andantes, beugt sich der Kopf mit den geschlossenen Augen in großem Bogen nach hinten, trotz des größtmöglichen Abstand zum Instrument scheint er doch nie den Kontakt zu verlieren.
Ein Wirbelwind an Klangkaskaden und gischtendem Notenspiel sind dann die absurd-schweren, hier wie ein mutwilliges Kinderspiel wirkenden Paganini-Variationen von Johannes Brahms, wo er in deren ersten Heft fast mutwillig die Extreme ausreizt und doch den Fluss am Laufen hält. Immense Kontraste werden ausgelotet, er möchte wie auf einem Klangabenteuerspielplatz alles ausprobieren, erfreut sich an seinen manuellen Möglichkeiten und einer Phantasie – ohne dass Solches zum Selbstzweck würde. Klar, hier ist der Deutungswille noch formbar, nicht altmeisterlich konturiert, da wird gesucht und ausprobiert. Aber mit was für einer Palette von Alternativen!
Impressionistisch verhalten gestaltet Daniil Trifonov nach der Pause als Solitär dann die gern sperrige, auch hohl tönende 1. Sonate d-moll von Sergei Rachmaninow. Bei ihm ist das kein aus der Zeit gefallenes Monstrum, sondern ein spannungsvolles Werk des stilistischen Übergangs. Das löst sich manches im Sfumatonebel auf, der letzte Satz wirkt fast wie gemeißelt, ohne je grobianisch zu werden.
Gibt es ein Trifonov-Geheimnis? Er kann alles, zumindest an diesem Abend mit einem klugen wie konsequenten, stilistisch folgerichtigen Programm. Doch neben diesem Zauberanschlag fasziniert vor allem dieser traumsichere, lebendig pulsierende Umgang mit dem Rhythmus. Wenn dieser Pianist spielt, dann lebt glänzt, atmet die Musik. Kann man Besseres sagen?
Der Beitrag Daniil Trifonov in Berlin: der Jongleur des Rhythmus erschien zuerst auf Brugs Klassiker.