Dieser 300. Geburtstag muss natürlich besonders gefeiert werden. Denn wie jedes Jahr begeht der französische Geiger Renaud Capuçon seinen Jubeltag gemeinsam mit dem von Wolfgang Amadeus Mozart. Aber an diesem 27. Januar wird Capuçon 40 Jahre alt, Mozart, der es zu Lebzeiten nur fast bis zum 36. geschafft hat, könnte den 260. zelebrieren.
Eigentlich hätte man heute an einem solchen Ereignis frei. Capuçon, der Fleißige, freilich arbeitet. Und wie: Er spielt „L’Arbe des songes“ – das poetisch „Baum der Träume“ betitelte Violinkonzert seines Landsmanns Henri Dutilleux (der zudem dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre) mit den Wiener Philharmonikern unter Tugan Sokhiev bei der Salzburger Mozartwoche. Hier ist er Stammgast, „bei dem Festival, wo die wirklichen Musikliebhaber kommen“, schnalzt er genießerisch. Und nicht nur das – zwei Tage darauf startet er mit den ersten von zunächst zwei Salzburger Konzerten, in deren Verlauf er alle Violinsonaten Mozarts mit dem Alfred-Brendel-Schützling Kit Amstrong am Klavier aufführen wird.
Über 20 Jahre ist der im savoyischen Chambéry Geborene inzwischen im Geschäft – ohne Ermüdungserscheinungen, ohne Krise und Auszeit, mit inzwischen über 30, gleichermaßen makellosen CDs, alle bei seinem Stammlabel Erato, früher Virgin Classics. „Ja ich habe es offenbar gut ausbalanciert“, sagt Renaud Capuçon selbst ein wenig erstaunt, „aber mir hat sehr geholfen, dass ich als anfangs vor allem als Kammermusiker mir einen Namen machen konnte. Ich war kein Wunderkind und kein Strahlevirtuose und ich trug kein enges Kleidchen.“ Eine kleine Spitze gegen all die zu seiner Jugendzeit modischen Geigengirlies zwischen denen er sich, zehn Jahre jünger als sein deutsches Vorbild Frank Peter Zimmermann, im Gefolge der 1963 geborenen Anne-Sophie Mutter behaupten musste. „Und wenn ich mir erklären soll, warum ich so unbeschadet im Klassikzirkus meine Runden drehe, dann brauche ich nur meinen Vater anzusehen. Der will sich immer mit was beschäftigen, der rastet nie.“
Doch der ohne musischen Hintergrund aufgewachsene Renaud Capuçon, der einst bei Claudio Abbado im Gustav Mahler Jugendorchester als Konzertmeister saß, und sich stets noch gern an sein Idol erinnert, weiß sich heute zu beschränken: 80 Konzerte im Jahr, im Augenblick wieder mit einem Schwerpunkt auf Amerika und den deutschsprachigen Ländern, mehr gibt er nicht. Nur höchstens 12 Tage will er, der seit 2009 mit einer TV-Journalistin („die in Frankreich viel bekannter ist ich“) verheiratet ist und den fünfjährigen Sohn Elliott hat, nie von zu Hause weg sein. Als Kammermusiker arbeitet er gern mit ehemaligen Kommilitonen wie Nicholas Angelich oder Jérôme Ducros, mit Hélène Grimaud als auch mit seinem jüngeren Brüder, dem Cellisten Gautier Capuçon. Dieses Band ist freilich lockerer geworden. Sehr eng ist es immer noch mit „Ersatzmama“ Martha Argerich, mit der die Brüder auch seit Anfang an denselben Manager teilen.
Eben hat er, der seine von Isaac Stern übernommene Guarneri de Gesù-Geige „Panette“ von 1737 mit einem singenden, immer leicht spröd-intensiven Ton zu spielen pflegt, „meine beiden Kinderkonzerte“ aufgenommen, die Symphonie Espagnole von Éduard Lalo und Max Bruchs 1. Violinkonzert. Bewährte partner sind das orchesterd e Paris unter dem von ihm sher geschätzten Paavo Järvi. Renaud Capuçon spielt aber auch viel Moderne, Uraufführungen von Pascal Dusapin, Wolfgang Rihm und Bruno Mantovani sind in Planung.
Zwei Projekte aber liegen Capuçon, der seit 2014 auch eine Professur in Lausanne hat, gegenwärtig besonders am Herzen: die Wiederentdeckung von Adolf Busch (1891-1952) als Geiger, Quartett-Primarius, Dirigent, Orchesterleiter und Komponist, dem er mit einem eigens gegründeten Quartett junger Pariser Mitmusiker huldigt, das weltweit über drei Spielzeiten um die späten Beethoven-Quartette geklammerte sechs Programme aufführen wird. Er hat sogar veranlasst, dass Warner eine hervorragende CD-Box mit dem gesammelt tönenden Busch-Erbe wiederaufgelegt hat. „Mich hat dieser Musiker einfach fasziniert, ich wollte etwas tun, wieder an ihn erinnern. Und für mich ist es wichtig, auch mal die Beethoven-Quartette zu spielen, das ist freilich kein Aufnahmeprojekt, denn vor der professionellen Quartettkonkurrenz habe ich viel zu großen Respekt.“
Und dann ist da auch noch sein eigenes Musikfest: einfach nur „Osterfestival“ genannt, im von der Frühlingsonne durchleuchteten Aix-en-Provence, unter generösen Bedingungen, mit Freunden, zehn Tage lang. Apropos Festivals: Renaud Capuçon nimmt gern an ihnen teil, besonders den persönlichen, von Instrumentalisten geführten und seit seinem 15. Lebensjahr leitet er auch solche. Zunächst hat er seinen Heimatort Chambéry von 1996 bis 2010 alljährlich im September mit Bruder Gautier und der tatkräftigen Hilfe der ganzen Familie seine Freunde versammelt und dort Kammermusik auf allerhöchstem Niveau gespielt.
Er hat für einige Jahre das kleine, feine, einst von Herbert von Karajan angelegte Winterfestival in St. Moritz wiederbelebt und ab 29. Januar startet er für eine Woche als auf zunächst fünf Ausgaben berufener Leiter der Les Sommets Musicaux de Gstaad im Schweizer Saanenland. Und auch hier ist Martha Argerich zu hören, so wie er sie auch schon nach Chambéry zu locken verstand. Im Gegenzug kommt Renaud Capuçon fast alljährlich zum Argerich-Musikfest nach Lugano. Ehrensache! Außerdem haben gute Beziehungen im Musikgeschäft noch keinem geschadet.
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