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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Palastkabalen zwischen Politschlampen: „Agrippina“ konzertant grandios – und mit gebremstem Kosky-Händelschaum bei den Münchner Opernfestspielen

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Georg Friedrich weiß, was Frauen wünschen: Macht, Macht, Macht. Dafür kämpfen und intrigieren sie, dafür spielen sie ihre Liebhaber gegeneinander aus. Weich werden diese Weiber nur, wenn sie sich ihrem Ziel nahe wähnen: auf dem Thron oder dem begehrten Mann. Am liebsten auf beidem. Händel hat nie wieder ein so herrliches Opernlibretto vertont, wie jenes für die 1709 in Venedig uraufgeführte „Agrippina“. Strotzend vor Witz und Winkelzügen kämpfen hier keine Heroen mit dem gern, symbolisch wie verbal, als Phallusersatz zum Einsatz kommenden Pappschwert, zoffen sich die Höflinge wie Marktweiber. Ganz dem venezianischen Geschmack entsprechend, der 60 Jahre älteren, zum Teil das gleiche, exaltierte Singpersonal aufmarschieren lassenden „Krönung der Poppea“ Monteverdis nicht unähnlich, geht es unverblümt zur Sache. Denn keinem Herrscher muss hier gehuldigt werden, dem (zahlenden) Bürger der Serenissima soll die zweite italienische Oper des caro Sassone gefallen. Umso erstaunlicher diese gustiös ausgekostete Dekadenz, Niedertracht und Verderbtheit besonders der beiden Frauen, wenn man weiß, wer das raffitückische Originallibretto über wirklich gelebt habende Personen geschrieben hat: Vincenzo Grimani war Kardinal, Gesandter am Heiligen Stuhl und Vizekönig von Neapel. Da er gleichwohl gegen Papst Clemens XI. opponierte, hat man die Agrippina, die im eigenen Theater seiner Familie, dem von San Grisostomo (heute das jugendstilig umgebaute Teatro Malibran) uraufgeführt wurde, gern als Satire auf die Zustände im Vatikan gelesen. Die waren dann wohl nicht viel anders als die im alten Rom, wo Kaiserin Agrippina mit allen – jawohl: mit allen! – Mitteln dafür kämpft, dass ihr Sohn Nero den totgeglaubten Kaiser Claudius beerbt; während die, na ja, Kurtisane Poppea weder bei Claudius (der ist nämlich gar nicht tot) noch bei Otho und Nero was anbrennen lässt. In dieser Oper entscheidet sie sich für Otho, in dem älteren Monteverdi-Sequel darf es dann Kaiser Nero als zweiter Ehemann sein. Da hat das Biest Nero nämlich schon seine sich jetzt so für ihn ins Zeug legende Mutter umgebracht. Wie überhaupt die Originale aller Beteiligten des über dreieinhalbstündigen – und doch für Ohr, Auge und Hintern eigentlich kurzweiligen – Geschehens durch Gewalt ihr Erdendasein beendeten. 

„Agrippina“, das steht auch aktuell für den klugen Vermaktungsmechanismus, mit dem die Erato und ihr Warner-Classics-Boss Alain Lanceron ihren CD-Superstar Joyce DiDonato souverän in die gegenwärtigen Opernspielpläne einspeisen. Ist die versatile Amerikanerin doch gegenwärtig in Topform und in Amerika wie Europa gern gesehen. Mit über 50 Jahren ist freilich absehbar, dass selbst die Kraft und Vitalität ihres souverän geführten Mezzos nicht ewig halten kann. Nach einer letztjährigen Konzerttour mit Handels „Ariodante“ folgt jetzt die Operation „Agrippina“, die ihr zugleich den Wechsel von der gern gesungenen Händel-Heroine ins diesmal barocke Mutterfach ermöglicht – und nach Rossinis „Semiramide“ und einer Opernstudio-Gertrud in „Hänsel und Gretel“.

Noch während einer konzertanten Tournee mit sechs Stationen folgte jüngst zwischendurch die Plattenaufnahme. In der „Agrippina“-Neuinszenierung von Barrie Kosky für die Münchner Opernfestspiele wird La DiDonato beim Koproduzenten Royal Opera House im Herbst in London ihr szenisches Debüt geben. Im weiteren Spielzeitverlauf tritt sie in einer aus Brüssel übernommenen McVicar-Produktion von 2003 an der Met auf. Davor erscheint die CD. Sehr geschickt geplant ist das.

Im Madrider Teatro Real,  der zweiten, bestens eingegroovten Tourneestation, markiert schon der Anfang die Gestimmtheit des Folgenden: Das ist köstlich musikalisiert vom jungen, exaltiert sein Engelshaar wie seine spillerigen Arme werfenden Dirigenten und Cembalisten Maxim Emelyanychev und seinem fein abgetönten, zeitweise üppig aufrauschenden Orchester Il Pomo d’Oro. Emelyamychev hat das Frühwerk des 25-jährigen Händel, das dieser vornehmlich aus seiner römischen Kantatenproduktion zusammenmontierte, beschleunigt und angehübscht. Sind die meisten Arien noch lange nicht so individuell wie in den Londoner Opern, so tragen sie doch ideal die fintenreiche Geschichte.

Gleich kommt ein superschrilles Mutter-Sohn-Paar: der Nerone des so säuselfeinen wie schön schrägen Franco Fagioli im roten Samtjacken und ebensolchen Glitzerslippern. Noch übertroffen wird er von Joyce DiDonatos mütterlich brustender, intrigant Fiorituren schimmernder, fulminant komischer Agrippina im Buntseidenprint: eine vokal abgefeimte Mischung aus RTL-Dschungel-Domina Sonja Zietlow und weißblonder Alexis Carrington. Das Biest als bravouröse Diva!   

Poppea, die Rivalin, ist kein Mäuschen, sondern eine knallharte, ebenfalls paillettenrot glitzernde Brünette, die schmeichelndes Klangzuckerbrot wie die Koloraturenpeitsche zu gebrauchen weiß. Elsa Benoit singt sie mit fester Kantilene und schmiegsamem Timbre. Bei diesen Superweibern haben Männer nicht viel zu melden, deshalb passt es auch, dass gleich zwei von ihnen einst von Kastraten gesungen wurden. Nur Kaiser Claudius (Renato Dolcini) orgelt baritongewaltig, die Liebhaber aber fisteln im Falsett (Carlo Vistoli als Narcisco) oder grummeln im Bass (Andrea Mastroni als Pallante). Dafür steht der als Operettenfigur von der traurigen Fliege-mit-Glitzerstein-Gestalt ausstaffierte Ottone – übrigens die einzige integre Person in diesem verworfenen Spiel – für tief empfundene Melancholie und zarten Klangwohllaut: Xavier Sabata spinnt feine Melodiefäden und hat langen Atem.

Fotos: Wilfried Hösl

Eine sanfte Enttäuschung ist hingegen, die Kosky-Visualisierung im Münchner Prinzregententheater. Da hat der vielbeschäftige Chef der Komischen Oper (Mitte August hat bereits „Orphée aux Enfers“ in Salzburg Premiere) für eine neben London noch nach Amsterdam und Hamburg weitergereichte Koproduktion ein wenig sehr aus dem Musterkoffer inszeniert. Auch Rebecca Ringst hat nur einen bekannt benutzerfreundlichen Käfig auf die leere Kreiselbühne gestellt, der hinter seinen erst nach einer halben Stunde aufgehenden Jalousien die üblich kahl aseptischen Gänge, Kabinette, Salons, Hinterzimmer und Treppen in einem anonymen Epizentrum der Macht offenbart: Klassizismus in Blech.

Darin passiert nicht sehr viel, Kosky nimmt die Palastkabalen zwischen Politschlampen ernst als steifes House of Händel-Cards, wo Agrippina routiniert virtuos die Fäden zieht. Trotzdem wird sie immer wieder schrill und brustig, zumindest in der stämmigen Vokalgestalt von Alice Coote, die wenig Aura und Vokalfinesse hat. Da ist die DiDonato weit weg. Ihre Gegenspielerin Poppea in wechselnden Roben von Klaus Bruns ist wiederum die hier viel kratzbürstigere Elsa Benoit, die doch entschieden zu viele lyrische Arien hat; auch wenn die Figur diesmal plastischer wirkt.

Am Ende des ersten Teils hat Iestyn Davies’ verstockter, jetzt blutender Ottone seinen großen, anrührenden Arienmoment, wo die Stimme endlich nicht nur nach englischem Oratoriencountertenor klingt, sondern sinnliche Melancholie entwickelt. Lange Anlaufzeit braucht diesmal auch Franco Fagiolis Nerone, der zunächst als Salon-Punk mit Hoodie, Tattoos und Piercings herumtänzelt, dann so langsam den ganz normalen Möchtegern-Imperatorenwahnsinn heraushängt. Den größten Lacher hat er, als er bei angeschaltetem Saallicht durch das geldige Münchner Premierenpublikum schreit, um angeblich die Armen mit milden Gaben zu beglücken und sich gewogen zu machen. Da hüpfen die Diamanten vor Freude.

Nach der Pause wird dann hektisch auf der ewig gleichen Treppe herumgeturnt, die Coote kommt im Negligee, röhrt plötzlich ein Arien-Tune unpassend ins Miko, bevor eine Slapstick-Verstecknummer über weiße Sofas und Hocker anhebt. Irgendwie bringt sie den drögen Abend auch nicht auf Touren. Sie beschließt ihn aber als einziger Kerl im Smoking, während die anderen Männer (der bassgewölbte Gianluca Buratto als HB-Männchen Claudio, neuerlich Andrea Mastroni – Palante, Eric Jurenas – Narciso, Markus Suhikonen – Lesbo) sich beständig zum Äffchen machen. Mit viel szenischem Ausrufezeichen wird, Nero ist endlich Kaiser, nach Agrippinas Stoßseufzer „Jetzt kann ich glücklich sterben“ noch ein langsames Oratorien-Instrumentalstück abgespult. Agrippina wurde später von ihrem Sohn getötet, das soll jetzt jeder merken.

Als bewährter Middle-of-the-Road-Handel-Runner steht in München einmal mehr Ivor Bolton am Pult, also auch in diesem seit 2008 ersten Werk von Georg Friedrich. Es wird ordentlich klangverfeinert und phrasiert, aber das Bayerische Staatsorchester ist eben kein Barockensemble. So ist nach dieser hervorragenden Tournee-Produktion, die selbst ohne Szene kurzweiliger und charakterschärfer war, das Bessere der Feind des nur Guten. Das ordentlich, aber nicht so richtig festspielwürdig war. Ungeduldig warten wir freilich auf die CD-Veröffentlichung.

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