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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Habt Ihr Bock auf „Meistersinger“? Die Kinderoper als Bayreuther Juwel in der Opernkrone. Aber auch der WoWa-Festakt konnte sich sehen und hören lassen

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Wagnerianer, wachet auf! Den wahren, werktreuen Wagner findet ihr seit langem schon in der Bayreuther Kinderoper! Mit Drachen und Rittern, mit Riesen und einer echten Schusterstube. Ivan Ivanov hat die diesmal für die aktuelle „Meistersinger“-Inszenierung detailpusselig bis zum letzten Leisten gebaut. Und auch sonst ist das ein wirkliches Ausstattungsfest. Auf nur zwei dreiteiligen Drehelementen gibt es Straße und Kirche, Außen und Innen mit Erkern und Backsteinen, Buntglasfenster, Fliederbusch und Gemerk. Liebevoll und praktisch zugleich. So wie auch die Kostüme: der fränkelnde Frisör Kunz Vogelsang träg Tigerprint und Kunstpelz, Armin Kolarczyks famos böser Beckmesser sieht aus wie der Sheriff von Nottingham. Die liebliche Eva der kinderoperbewährten Christiane Kohl ist selbst blumenmalende Künstlerin mit grünen Haarenden. Und – Bayreuth schwelgt ja seit einiger Zeit durchaus ironisch in der Selbstreferenz – der höhensichere Vincent Wolfsteiner als Stolzing ähnelt deshalb, natürlich nur für die Erwachsenen im Auditorium der Probebühne IV, bis in die letzte Blondhaarspitze dem einstigen Tenoridol und best-looking-Lohengrin Peter Hoffmann. Origami-Schwänchen als Liebessymbol verteilt er zudem.

Fotos: Enrico Nawrath

Historisch korrekt und nur 75 Minuten kurz! Ein „Meistersinger“-Traum. Und witzig ist es auch noch, obwohl natürlich auch in der cleveren Bearbeitung von Katharina Wagner und Markus Latsch viel Regelwerk bemüht werden muss. Dramaturgisch geschickt kindergerecht gesetzt sind die beiden Action-Hauptszenen, die Prügelfuge, bei der viel Schaumgummiobst fliegt, und der „Wacht auf!“-Chor, der die bei 37 Grad etwas erschöpft und unruhig in den Seilen hängenden Kids schlagartig wieder wach macht. Die schlafenden Meister übrigens auch.

Der wonnige Pogner von Timo Riihonen sieht in seinem Brokatwams samt Korkenzieherlöckchen aus wie der eitle Albrecht Dürer persönlich, Werner Van Mechelen gibt einen netten, jovialen Sachs, auch Simone Schröder ist wieder als gewitzte Magdalene dabei. Die vor allem Bänke (auch die sind in Bayreuth durchnummeriert) umstellenden Bühnenarbeiter mimen zudem die Kirchenbesucher, das in jeder Hinsicht unter Azis Sadikovic glutvoll aufspielende Brandenburgische Staatsorchester ist auch als Lehrbuben und Nachtwächter aktiv.

Dirk Girschik ist eine flüssige und freche Inszenierung gelungen, die Kinder bleiben fast durchgehend dran und haben Bock, wie David (Stefan Heibach) extra nachfragt. Immer wieder merkt man, wie fasziniert sie von der schieren Fülle dieser Stimmen sind, die sich da ganz analog und live vor ihnen aufgebaut haben und losschallen. Und am Ende, wenn sich as große Tor hinten öffnet, wird der neue Meistersinger Walther ins Freie entlassen. Kühler ist es da aber auch nicht. Im Gegenteil! Aber der Meister hätte an diesen „Meistersingern“ seinen sächsischen Spaß gehabt.

So wie sicher auch am Festakt am Abend vorher für Enkel Wolfgang, der vor neun Jahren starb und am 30. August 100 Jahre alt geworden wäre. Der ging in so sachlich wie würdevoll, gewitzt und ehrerbietig über die Bühne, wie viele ihn noch während beinahe 60 Jahren Festspielleiterschaft erlebt haben. Und auch die unangenehmen sturen WoWa-Seiten wurden nicht unterschlagen. Wiens-Ex-Operndirektor Ioan Holender hielt von Opernpraktiker zur Opernpraktiker die Laudatio, Christian Thielemann erinnerte sich an die drei Dirigiermöglichkeiten – „zu schnell, zu langsam, schön flüssig“. Wobei er sich letztere zu Herzen nahm für das auf der Bühne nur selten zu sehende Festspielorchester (mit, da muss Katharina W. noch nachbessern, viel zu wenig Frauen, elf, vorwiegend an Harfen und Flöten, gegenüber fast 100 Männern.

Bayerns Kunstminister Bernd Sibler kam im hellen Anzug auf die Bühne und prägte das Motto, das wohl mindestens für den diesjährigen Festspielauftakt gilt: Anschwitzen. Und so müsste es nach heute Abend eigentlich heißen: Anschwitzt is!

Die ausgewählte Musik sollte vor allem an den Festspielleiter erinnern, mit dem „Meistersinger“-Vorspiel, als seiner Lieblingsoper, die er hier dreimal inszeniert hat und die als letzte eigene WoWa Vorstellung 2002 gegeben wurde. Stephen Gould gab einen schönen „Tannhäuser“-Vorgeschmack mit der Rom-Erzählung und gedachte der legendär ausgebuhten Inszenierung des Ossis Götz Friedrich. So wie Wotans „Walküre“-Abschied für  den Chereau-„Ring“ stand und mit dem fruchtig-schlanken, doch auch herzhaft zupacken könnenden Günther Groissböck als Wotan 2020 auf Kommendes Lust machte.

Doch wirklich berührend wurde es dann in den letzten fünf Festakt-Minuten, als Waltraud Meier, die letztes Jahr als Ortrud schon ihr Bayreuther Comeback und Abschied gefeiert hatte, für ein letztes Isolden-Lebewohl nach – genau – flüssigem Vorspiel zum Liebestod auf die Bühne kam, während hinten, vor der blauen Operafolie, wo diverse Kostüme aus der Wolfang-Ära schwebten, ihr goldener Mantel sich drehte. Natürlich war das eine reduzierte, klug technisch vorbereitete Interpretation, aber mit was für einer Körperspannung die Meier allein schon auftrat, und wie sie ihr Signaturstück selbst 26 Jahre nach ihrem Rollendebüt vor Ort noch servierte. Chapeau! Bayreuth als Gestern, Heute und Morgen. Kinder, schafft Altes und Neues.   

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