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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Festival Martina Franca III: Hier ist alles lecker – das Bergamotte-Eis und das Cimarosa-Opernsorbetto

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Salzige Pistazie, Bergamotte mit Basilikum, Maracuja-Käsekuchen. So exotisch wie die Opern sind in Martina Franca bisweilen auch die Eissorten. Yummi! Und dann gibt es natürlich auch noch Granite und Sorbette, für geschmackliche Abkühlung ist in Apulien reichlich und bestens gesorgt. Auch kulturell gibt es genügend Klang-Sorbets: als erfrischende kleine Konzerte, etwa mit den Sänger der Accademia Rudolfo Celletti, die auch die kleineren Rollen oder den Chor in den großen Opern beim Valle d’Itria-Festival übernehmen, und die hier ebenfalls mit Raritäten aus dem italienischen Salonliedrepertoire überraschen, das reichhaltiger ist als vermutet. Ein Sorbetto als Oper ist natürlich auch das einzig überlebende der über 70 Musiktheaterwerke Domenico Cimarosas, „Il matrimonio segreto“: eine kaum Rokoko-verkleidete Verheiratungskomödie in bester Commedia dell’arte-Tradition, mit einem alten, schwerhörigen, reichen, aber geizigen Hagestolz, der seine ältere Tochter unter eine adelige Haube bringen möchte. Die zweite Tochter freilich ist schon einem seiner Angestellten heimlich anvertraut. Und dann ist da noch die nicht unvermögende verwitwete Tante, die ebenfalls ein Auge auf diesen Paolini geworfen hat. Genug generöse Verwicklungen, um über zwei Aktrunden zu kommen. Ein Jahr nach Mozarts Tod in Wien wurde uraufgeführt und so begeistert aufgenommen, dass der Kaiser – damals hatte man noch Zeit – das Werk gleich wiederholen ließ.

Fotos: Paolo Conserva

Der Titel der mit liebenswürdiger, aber nicht unbedingt genialer Musik aufwartenden bürgerlichen Buffa ist hingegen nie aus dem Repertoire verschwunden. Nur sechs, nicht übermäßig schwere Rollen, diverse federleicht dahinplappernde Ensembles, zwei spritzige Finali, eine zeitlose Vorlage, das lässt sich immer leicht premiereneinschieben. Und trotzdem: Sehr oft war der einstige Bestseller in den letzten Jahren gar nicht auf den Bühnen zu erleben. Also durchaus, auch weil es ins Neapel-Thema passt, ein Stück für Martina Franca.

Und für den selbst ausstattenden Regie-Doyen Pier Luigi Pizzi, der nach sehr viel arg ernster, wenn auch stets ästhetischer seriöser Opernherumsteherei im Alter wieder auf den komischen, ja sogar beweglichen Geschmack gekommen ist. Und weil – Italien halt – mal wieder kurzfristig das Budget gestutzt wurde, hatte er sich schon im Festival-Vorfeld bereit erklärt, die ursprünglich ihm zugedachte ernste Oper und die Komödie auch noch zu übernehmen – in derselben Bühnenbildstruktur, aber nicht „Ariadne auf Naxos“-gleichzeitig.

Auch der alte Pizzi lässt das Mausern nicht. Er liebt Sorbetti, bei ihm gern in Gestalt wohlgeformt (halb)nackter Männlichkeit. Aber Achtung, alles consensual, also einvernehmlich wie das heute #MeToo-gerichtsdeutsch heißt. Und damit dieser Programmpunkt schnell erledigt ist, ereignet er sich gern gleich zu Inszenierungsanfang, so wie die Cameo-Auftritte Alfred Hitchcocks. Das Sorbetto heißt diesmal Alasdair Kent und gibt als nett singender, schlecht blondierter Twinktenorino den Paolino, der erstmal nur im Slip aus dem (getrennten) Schlafzimmer kommt und gleich nach dem Bademäntelchen langt; aus er anderen Richtung erscheint Gattin Carolina (die flockig trillernde Benedetta Torre).

Wir befinden uns in einem dreiteilig weißen, italoschicken Loft mit viel moderner Kunst an der Wand, in Gelb, weiß, schwarz und rot, sehr passend zum Ambiente, aber teuerste Arte Povera von Luigi Fontana und Alberto Burri. Laut Pizzi ist der bald hineinplatzende Papa Geronimo Kunsthändler, Paolonio sein ebenfalls im Haushalt lebender Assistent. Marco Filipo Romano, optisch Matthias Goerne nicht unähnlich, singt ihn im knatschgelben Anzug mit fruchtig prallem, geläufigem Bariton. Auch die beiden anderen, kostümmäßig ein wenig Seventies-Atmosphäre einbringenden Frauen, Maria Laura Iacobellis als  mit der schwersten, exzellent gemeisterten Arie bedachte Elisabetta, und Ana Vittoria Pitts als mezzovibratobebend gurrende Tante Fidalma, haben es sich schnell in den diversen Sitzgruppen bequem gemacht. Schließlich verströmt im blauen Anzug mit Op-Art-Optik-Hemd der kantige Bariton von Vittorio Prato als Graf Robinson ein wenig adelige Exzentrität.

Das schnurrt soap opera-flutisch wie die 100x-ste „Rote Rosen“-Folge ab, die effektreiche Dramaturgie macht klipp und klapp, so wie auch die Türen. Sie wird zudem beflügelt vom fehlerfrei ablaufenden Cimarosa-Soundtrack des Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari, den – ähnlich temperamentbeschwingt wie jüngst Offenbachs „Barbe-Bleu“ in Lyon – Michele Spotti mit viel rhythmischer Verve und abwechslungsreich spritzig, aber auch süß blubbernd dirigiert. Oper im Süden – sorbettoschööön!

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