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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Rosendal Chamber Music Festival I: Musikgeschichten von Schmerz und Pein im norwegischen Fjordidyll

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Erstaunlich, wie entschleunigend selbst für einen Hardcore-Festival-Hopper 90 Schiffsminuten sein können. Freilich ist schon die tiefsesselige Cafeteria im schnuckelig kleinen Bergen Airport ganz entspannt, und nach zehn Busshuttleminuten steht man am Bootssteg. Das schnelle Fährschiff ist neu und bequem (wir sind im reichen Norwegen), das Wetter ist herrlich. Landzungen und Inseln, alle bunt mit Sommerhäusern besprenkelt, fliegen vorbei. Das Grün ist sehr grün, die Berge sind sehr lila, das Meer besonders blaugrau. Wolken reißen dramatisch auf, durch einen engen Kanal und einer Brücke hindurch geht es in den 180 Kilometer tiefen Hardangerfjord. Auf der anderen Uferseite liegt das Ziel: Rosendal.

Sagt man in Norwegen „Rosendal“, dann lächeln alle. Denn jeder verbindet irgendeine schöne Ausflugserinnerung an dieses Versailles der Fjorde. Stopp. Die Baroniet, wie es offiziell heißt, mag zwar für die Einheimischen die Bedeutung des französischen Königssitzes haben, aber was sich da in einem lieblich grünen Tal zwischen zwei Hügeln, vor zwei Wasserfällen und hinter dem namengebenden Rosengarten präsentiert, ist das einzige nicht königliche Schloss überhaupt, dass es in diesem Land gibt.

Und ein vergleichsweise kleines, frühbarockes zumal. Als Hochzeitsgeschenk für die damals reichste Erbin mit einem Dänen wurde es 1665 fertiggestellt, 13 Jahre später adelte König Christian V. von Dänemark-Norwegen die Besitzer zu Baronen.

Immer schon war hier die Kultur zu Hause, Edvard Grieg und Henrik Ibsen produzierten sich in seinen Salons, alle romantischen Maler pinselten den Postkartenblick, und auch Leif Ove Andsnes, international berühmter Pianist aus Norwegen seit 30 Jahren, hat da schon als Jugendlicher gespielt. Er wohnt seit langem in Bergen, früher hatte er ein Festival in Südnorwegen. Jetzt ist er, zum vierten Mal und mit Freunden, sein eigener Klangherr über Rosendal, vier Kammermusikfesttage lang.

„Jeder, der hierherkommt, wird berührt durch die Eleganz und klare Schönheit dieses Ortes“, erzählt der inzwischen 49-Jährige, der mit Hornbrille und glattem Haar viel seriöser wirkt als mit seinen Stoppeln von früher, während er sich an einen Baum lehnt und zum Wasserfall blickt. „Jeder ist hier sofort mit der Natur im Einklang, die besonders an einem so heiteren Sommertag, so harmonisch und sanftmütig scheint, wie nur an wenigen Orten in Norwegen. Bäche, Wiesen, Felder, Wälder, das Dorf, das Meer, die Berge – alles ein Panoramablick. Die Natur flutet förmlich durchs Fenster – und ja, sie flutet auch durch mich. Ich merke immer wieder, wie sehr ich das brauche, wenn ich es gerade nicht habe.“

Das letzte Schubert-Jahr 1828, Mozarts Kammermusik, der Erste Weltkrieg. Das waren die nicht nur beschaulichen, sommerlich heiteren Themen, die sich Leif Ove Andsnes bisher für Rosendal ausgedacht hat. Und dieses Jahr dreht sich alles um Dmitri Schostakowitsch, der allein mit 18 Werken verteren ist. Man merkt Andsnes den gewieften Programmmacher an, die drei kompletten, über vier Tage verteilten Konzertabläufe sind clever getaktet, über die konzentrierten Spielorte verteilt, sehr gut, überraschungs- wie abwechslungsreich kuratiert.

Das Thema und die Stücke stehen im Fokus, die Prominenz mancher Interpreten, die sich hier mit aufhorchen machendem norwegischen Nachwuchs mischt, ist eigentlich sekundär. So ist es auch nicht wirklich ein Drama, wenn der vielbeschäftigte Igor Levit aus Krankheitsgründen kurzfristig absagen muss. Natürlich fehlt mit den 24 Präludien und Fugen, die er spielen wollte, ein zentraler Schostakowitsch-Programmpunkt, aber die anderen machen ihn mit Alternativen wett. Und wenn das Ersatzkonzert nicht ganz so lange dauert – umso entspannter.

Man kommt hierher, inzwischen – man hört, deutsch, englisch, französisch unter den relaxten, meist bequem gekleideten Besuchern – auch gezielt aus dem Ausland, um der Sache und der sehr besonderen Atmosphäre willen. Das Dorf ist nahe am Meer, das Garden Café im gemütlichen Gewächshaus lockt mit lecker Ökoessen aus eigener Zucht, sündigen darf man dann an der Kuchentheke im Teesalon des Schlösschens, das mit Interieurs von der Renaissance bis zum Biedermeier aufwartet.

Kaum sind wir angekommen, geht es mit der unverdrossen die faule Presse selbst auf den kurzen Wegen autoshuttelnden Medienbetreuerin erst zum sich an den Strand schmiegenden Fjordhotell und dann gleich zum ersten Konzert. Das findet im „Rittersaal“ statt – ein Euphemismus, für die nette, rotgestrichene, extra für das erste Festival adaptierte  Scheune, auf deren Boden man früher direkt mit dem Heuwagen fahren konnte. Jetzt ist der halb entfernt, der Rest ist Rang, und unter dem freiliegenden Steildach liegt der große, weißgestrichene Konzertsaal, der 400 Personen fasst. Im Foyer werden Schafsfelle verkauft, aber drinnen ist es eher stickig. Denn es ist ungewöhnlich warm, die offenen Fenster an den Seitenbänken sind die begehrtesten Plätze.

In der langgezogenen Scheune, dahinter steht noch ein Gästehaus, in denen viele der Künstler wohnen, auch Andsnes mit Frau und drei Kindern, musste der Nachhall verlängert werden. Dafür ist die weltweit operierende kalifornische Firma Meyer Sound zuständig, die ihr raffiniertes Klangsystem immer noch anpasst, mit Enthusiasmus betreut – und sogar das Festival finanziell unterstützt. So wie maßgeblich auch die Stiftung Kristian Gehard Jebsen – denn ohne Geld koa Musi’.

Für das so kompakte wie komplexe Schostakowitsch-Panorama hat sich Leif Ove Andsnes den Experten Gerard McBurney dazu geholt, der auch die Einführungen und Talks von seinem Thema begeistert betreut. Von dem stammen nicht nur einige der kammermusikalischen Adaptionen und Werkvervollständigungen, er brachte auch, neben den schon toten Zeitgenossen der Zentralgestalt, den 1943 geborenen Alexander Vustin mit. Der soll mit allein sechs Kompositionsbeiträgen als starke Stimme der sowjetrussischen Nachgeborenen fungieren.

Und er tut das gleich im ersten Konzert mit dem nachdrücklichen „Zaitsev’s Letter“,  einer originalen, brennenden Anklage eines Gefangenen während der Perestroika-Zeit, der die Zustände in den sowjetischen Gefängnissen anprangert. Der Tenor Christophe Poncet de Solages spricht, schreit, flüstert und singt das furios, Streichorchester (auch singend) und große Trommel samt Geräuschen aus dem Gulag steigern das zu filmmusikalisch dichter Beklemmung. Und danach legt, auf gleicher emotionaler Schiene, aber vergeistigter, transzendenter, neuerlich das hervorragend synchrone Ensemble Allegria mit Schostakowitschs von Rudolf Barschai zur Kammersinfonie Opus 110a umgearbeitetem 8. Streichquartett nach. Die kraftvollen Legato-Linien dieser Saitentruppe lässt dann doch die Künstlichkeit der Akustik klar werden. Sie wirkt viel durchsichtiger als das rein räumlich möglich wäre, aber genau deshalb sind die Klangmanipulatoren da; denn eine so große Musikerzahl hatte das junge Festival noch nie auf dem Podium. Also wird weiter feinjustiert.

Musikgeschichten von Schmerz und Pein, wie sie das Leben Dmitri Schostakowitschs durchziehen, wie bei kaum einem anderen Komponisten des gewaltreichen 20. Jahrhunderts. Doch es gibt auch den heiteren, verspielt albernen Schosti, Andsnes weiß das, und so stehen am Anfang des Konzerts, das er selbst mit der Konzeptvorstellung eröffnet, dann redet die amtskettenbehangene Landrätin , noch unbeschwerte Jugendwerke, die zwei Stücke für Streichoktett Opus 11. Die versammeln in engstem Stimmenaustausch gleich mehrere der Festival-Protagonisten: Bratschistin Tabea Zimmermann und Cellist Clemens Hagen, der erstmals da ist, das hervorragend intensive Quatour Danel sowie die beiden Geigerinnen Veriko Tchunburidze aus der Türkei und Sonoko Miriam Welde aus Norwegen.

Edison Denisovs schräge Klarinettensolosonate, virtuos geblasen von Anthony McGill, Solist des New York Philharmonic leitet aber schon über in den ernsteren Teil. Man soll sich mitten in der Schönheit des Orts die „Lieder und Tänze des Todes“ vergegenwärtigen. Mussorgsky war Schostakowitsch nicht nur Vorläufer, er hat ihn oft orchestriert, auch diesen vierteiligen Liedzyklus. Leif Ove Andsnes sitzt jetzt als nicht nur Begleiter am Klavier, der junge, saftig klingende ukrainische Bassbariton Andrei Bondarenko, vielgebucht von Teodor Currentzis, singt sie mit geschmeidiger Gestaltungskraft. Und so ist auch nach diesem ersten Konzert von Rosendal 4 das Level bereits gesetzt: hoch, aber gelassen.

Der Beitrag Rosendal Chamber Music Festival I: Musikgeschichten von Schmerz und Pein im norwegischen Fjordidyll erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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