„Firenze è come un albero fiorito“ – „Florenz ist wie ein blühender Baum“. So singt der junge Rinuccio in Puccini frecher Erbschleicher-Farce „Gianni Schicchi“. Ja, stimmt, ist es immer noch, wenn man den Blick leicht hochwärts schweifen lässt und über die Touristenhorden hinwegschaut. Aber leider gar nicht, was die Musik angeht, die Oper im speziellen. Zwar wurde die Gattung hier eher zufällig von einer gelehrten Accademia Ende des 16. Jahrhunderts quasi fälschlicherweise erfunden, als man wieder mal die vergessenen Kultspiele der Griechen mit der Humanisten-Seele suchte, doch den Erfolg hat man sich gleich darauf von Mantua und Venedig abjagen lassen. Und dann war lange nix. Gut, Zemlinskys „Florentinische Tragödie“, Max von Schillings’ „Mona Lisa“ und Leoncavallos „I Medici“ spielen vor Ort, sind aber nicht eben Repertoirekracher. Man hat zwar drei Opernhäuser, das Teatro della Pergola als ältestes Logentheater Italiens (immerhin Verdis „Macbeth“ wurde hier uraufgeführt), das hässliche Teatro communale und die noch hässlichere Opera di Firenze von 2014. In der west der fast schon verblichene Maggio Musicale dahin, der – führungslos – jetzt ab Winter im Schnelldurchlauf von Alexander Pereira wieder wachgeküsst werden soll. Also kann am Arno ein wenig Musiktheater-Belebung von außen nicht schaden. Und just am Tag, als der Wechsel des Österreichers von der Scala in die Toscana verkündet wurde, hub dort zum dritten Mal das weitgehend von Englishmen of Umbria – in Umbrien zur britischen Toscana-Fraktion gehörenden Upper Class Engländern und ihren Zöglingen – initiierte Festival New Generation an.
Das sind wiederum vier Tage, ein verlängertes Wochenende ab Donnerstag, mit einer (zweimal gegebenen) Oper, einem Konzert und einem Jazz-Gig. Das alles nicht weit von der Florentiner Oper an der Porta al Prato entfernt, aber viel exklusiver. Im pittoresk angegammelten Privatpalazzo Corsini al Prato samt eigenen Gärten in schönster italienischer Bosquetten- und Statuen-Manier, mit Pinien, Zypressen, Orangerien und Stallungen, in denen, zwischen den mit Tüchern verdeckten Oldtimern, jetzt Garderoben und Lagerraum untergebracht sind. Man kommt elegant festlich, die Damen freilich haben es leichter als die smokingschwitzenden Herren, denn auch Florenz kann sehr schwül sein. Die Briten sind in der Überzahl, doch auch italienische Nobili lassen sich blicken, und sogar Schleswiger Uradel ist anwesend. Ganz so eng mit der Kleiderordnung ist es dann doch nicht, auch casual ist gern gesehen, Hauptsache, bunt, lässig und fancy.
Ein paar Worte zur gastgebenden Familie, die sich, ziemlich inkognito, unter die Gäste gemischt hat und einige Wochen den jungen Leuten im Hause Obdach gewährt. In Florenz ist der hochadelige Corsini-Clan, der wohl aus der Gegend von Poggibonsi stammt, seit dem Ende des 12. Jahrhunderts nachweisbar. Im der Renaissance wurden sie als Händler mit England für Wein, Wolle und Seide reich. Mitglieder kamen in der Politik wie beim Klerus zu Ansehen, wurden aber später an Einfluss von den Medici überflügelt. 1371 wurde ihnen von Kaiser Karl IV. der Markgrafentitel verliehen. Zwei Corsinis waren Bischöfen von Fiesole (einer wurde als Sant Andrea Corsini sogar 1629 heiliggesprochen), zwei von Florenz. Die Familie sammelte weiter Land und Titel, unterhielt auch ein Bank.
Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden – neben weiteren, bis heute gehaltenen Besitztümern – die beiden Florentiner Paläste Corsini Lungarno und al Prato; in der Chiesa del Carmine wurde eine Kapelle für Sant’Andrea Corsini errichtet. Ihren gesellschaftlichen Höhepunkt erreichte die Familie mit Lorenzo Corsini, der als Papst Clemens XII. von 1730–40 in Rom amtierte. Er gründete die Kapitolinischen Museen und beauftragte die Fontana di Trevi sowie die Fassaden von San Giovanni in Laterano und Santa Maria Maggiore. Sein Neffe und Kardinalnepot ließ in Rom den Palazzo Corsini alla Lungara gegenüber der Farnesina errichten, der später Joseph Bonaparte und heute einen Teil der städtischen Gemäldegalerie beherbergt. Tommaso Corsini (1835–1919) was Bürgermeister von Florenz und schenkte den römischen Palast samt Inhalt dem Staat.
Die heutige Familie Corsini sitzt in Florenz, Rom, London und anderswo, ist in Oliven- und Weinproduktion tätig, kümmert sich um ihre Ländereien und vermietet als Eventfirma die meisten Palazzi; den am Arnoufer etwa für Hochzeiten im „Kadashian Style“, wie es so schön auf Neuitalienisch heißt. Und eben an das New Generation Festival. Aber auch Tragik umflort die Sippe: Filippo Corsini, der Neffe des gegenwärtigen Prinz Corsini und einziger Titelanwärter, starb 2016 im Alter von 21 Jahren bei einem Fahrradunfall in London. Sein Foto steht Backstage in einem Gang.
Die Rückseite des äußerlich schmucklosen Palazzos hat eine dreibogige Loggia samt Balkon, die sich perfekt als Bühne eignet; auch wenn der Brunnen und die Fassade ins szenische Geschehen integriert werden müssen. Davor wird dann eine dreiflügelige Tribüne errichtet, schickt verkleidet zur Gartenrückseite, auf die hin man über statuengesäumte Kieswege lustwandelt; sogar die Haushunde sind in Stein gehauen. Das alles ist, senkt sich, nach einem erfrischend genau terminierten Gewitterschauer. langsam die laue Toscana-Nacht hernieder, stimmungsvoll ausgeleuchtet. Überall gibt es Bars und Sitzgelegenheiten, wo sich man in der einstündigen Pause an Menüs, Picknickkörben oder Mitgebrachtem delektiert. Aus den Orangerien tönt leise Jazz, später kann hier auch unter der Discokugel getanzt werden: Italienische Festival-Bellezza und –Magie eben sam ausdauernder Konversation.
Nach Donizettis „Liebestrank“ und Mozarts „Don Giovanni“ haben Maximilian Fane und Rodger Granville, die beiden künstlerischen Leiter, für die dritte Ausgabe „Le nozze di Figaro“ terminiert. Die ideale Oper für diesen herrlichen Ort, „Sotto i pini del boschetto“ – „dort bei den Pinien im Gartengebüsch“, so wie es im Dritte-Akt-Duettino zwischen Gräfin und Susanna heißt. Denn zwischen Rampe und Auditorium, Zuschauer und Darsteller gibt es freiluftig kaum mehr Grenzen: Wir alle sind Mitspieler in dieser köstlichen Musikkomödie. Victoria Stevens, sonst Spielleiterin in Mannheim, hat sie so einfach wie einfallsreich, so beweglich wie tollertagverwirbeld inszeniert. Wir sind auf einem Filmset in den Dreißigerjahren, das Graf Almaviva als Produzent in seiner Villa eingerichtet hat. Die Gräfin ist der weibliche Star, Figaro der Kameramann, Basilio der Choreograf und Klappenschläger, Susanna die Garderobiere, Cherubino Assistent und Barbarina macht Maske. Marcellina und Bartolo im Rollstuhl hingegen waren mal die Leinwandsterne der ganz frühen Atelierstunde.
Da wird dann auch auf der berüchtigten Besetzungscouch gern mal danebengeküsst- und fremdgeflirtet, ein wenig MeToo-Gewalt ist zudem dabei. Das funktioniert ganz zwanglos, vital und vergnügt, zwischen Kulissen, Schminktischen, Scheinwerfern und Kleiderständern; oben auf dem Balkon leuchtet rotglitzernd das Firmensignet. Und am Schluss steht dann auch hier das „Comtessa, perdono“ des düpierten Filmmogul; wir hoffen, dass das fragile Gleichgewicht der Herzen weiter hält.
New Generation, das heißt nicht nur günstig, sondern auch gut. Der Instrumentalnachwuchs des hauseigenen Orchestra Senzaspine unter dem tempohurtigen, aber nie verhetzten Pappano-Assistenten Jonathan Santagada klingt wirklich dornenlos und fein, freiluftgemäß freilich auch wenig füllig. Doch mit ein wenig elektroakustischer Unterstützung balanciert sich das gut aus.
Für den frisch tönende Chor von Hochschulabgängern baut das Festival gerade ein neues, ab Herbst 2020 startendes, auf neun Monate gemeinsamer Arbeit terminiertes Opernstudio namens Mascarade auf, in dessen Lehrplan unter Ralph Stehle zudem Erkenntnisse der Sportpsychologie integriert sind. Und auch die perfekt abgestimmte Sängerbesetzung hat man sich vielfach aus berühmten Opernstudios geholt.
Der polnische Bassbariton Daniel Miroslaw ist ein markant aufmuckender Figaro. Der Türke Fak Mansuroğlu läuft sich als grandseigneuraler, aber auch geiler Graf in der zweiten Hälfte warm. Seine Betriebstemperatur offenbar eine weiche, noch nicht ganz fertige Stimme. Eine wenig angeschärft in den Kantilenen klingt hingegen die schöne Legatobögen bauende Nela Šarić als divenhaft den Morgenmantel schnürende Gräfin Almaviva. Sara Rocchi ist ein burschikoser Cherubino mit fruchtig-geläufigem Mezzo. Spaß machen auch die Nebenrollen in einem juvenil-mittreißenden Ensemble, das man in dieser ausgeglichenen Qualität in Salzburg etwa schon länger nicht mehr gehört hat.
Veredelt und überstrahlt wird das allerdings von dem hinreißenden Susanna-Debüt, der zu schönsten Sopranhoffnungen berechtigenden Anna El-Kashem. Die Russin im Münchner Opernstudio ließ dort schon in den letzten drei Jahren aufhorchen und begeisterte selbst in kleinsten Partien. Doch auch diese zentrale Repertoirerolle singt die 23-Jährige jetzt mit Charme und Noblesse, Eleganz, gewitzter Verführungskunst und anrührender Klarheit. Unter den Sternen und bei den Pinien. Das Staatstheater Wiesbaden, darf sich glücklich schätzen, diesen juvenil geschliffenen, so sympathischen Vokaledelstein für mindestens zwei Spielzeiten in seinem Ensemble zu haben.
Das Next Generation Festival aber bespielt weiterhin mit jungen Talenten in Konzerten übers Jahr Florenz und den neuen Konzertsaal im Schweizer Hotelressort Andermatt. Und lädt nächsten Sommer wieder ab 26. August zu Rossinis „La Cenerentola“ in den Palazzo Corsini al Prato.
Der Beitrag Susanna strahlt mozärtlich unter Florentiner Sternen: Das New Generation Festival lud zum dritten Mal in die Gärten des Palazzo Corsini al Prato erschien zuerst auf Brugs Klassiker.