Die Polen können einem schon leidtun. Die politische Geschichte hat es nicht eben gut mit ihnen gemeint. Sie zappeln immer noch im Klammergriff eines sehr konservativen Katholizismus und auch opernmäßig haben sie nichts zum Weltrepertoire beigetragen. Das ändert sich gerade immerhin im Fall von Karol Szymanowskis ganz wunderbar schrägem, orgiastischen „König Roger“, der immer öfter auf den Spielplänen steht. Der trägt sich freilich im normannischen Palermo zu und wurde zudem von einem Schwulen komponiert. Besser stünde man freilich mit Stanisław Moniuszko da, dessen beide rustikale Opern „Halka“ (1858) und das „Gespensterschloss“ (1865) jenseits der Oder und Weichsel durchaus Kultstatus genießen. Aber eben nur da. Denn die Qualität, die Melodienfülle, den Witz und die Tragik, mit denen etwa die Tschechen mindestens mit Smetanas „Verkaufter Braut“, Dvořáks „Rusalka“ oder Janáčeks „Jenufa“ weltweit in den Opernhäusern vorkommen, die sucht man hier vergebens. Moniuszko bleibt ein wackerer Nationalhandwerker, aber zu mehr langt es bei dieser kurzatmig epigonalen, selbst in den Bauerntänzen kaum mehr als kraftvolles Rhythmuswirbeln erzeugenden Stücken einfach nicht. Nett, sie ab und an mal zu sehen, eine Erweiterung des Opernguckerhorizontes nach Osten, aber bleibenden Eindruck hinterlassen sie kaum. Wie auch jetzt beim hochlöblichen, bestens besetzten jüngsten Versuch des Theater an der Wien in Koproduktion mit dem Teatr Wielki in Warschau. Angesichts des absurd-schrägen Aufgebots polnischer Medien und Honoratioren samt schickgemachter, schlauchbootbelippter Gattinnen wähnte man sich bei der Premiere fast in einem Teatr Maly. Und das alles, weil sich für dieses Stück Tenorstar Piotr Beczała die landsmännische Ehre gegeben hatte.
Das Hautproblem von „Halka“. Trotz der Kompaktheit von in zwei Stunden und 15 Minuten Musik gequetschten vier Akten: Es passiert einfach nix! Halka, ursprünglich eine Leibeigene, wird von einem reichen Junker geschwängert. Sie liebt ihn aber weiterhin, obwohl er eine andere aus seiner Schicht heiratet. Und Halkas Freund Jontek, der wiederum vergeblich in sie verknallt ist, muss trösten. Am Ende geht sie dann trotzdem ins Wasser.
Mariusz Treliński, dem regieführenden Künstlerischen Leiter des Tear Wielki, langt das nicht. Wie er das schon öfters und ähnlich gezeigt hat, spitzt er die nicht vorhandene Aktion als Film-Noir-Rückblende zeitgenössisch zu. Handlungsort ist jetzt ein Hotel, wo der miese Janusz Zimmermädchen Halka zur Mutter gemacht hat. Jontek ist hier Kellner. Zeit: die schwarzschweißschrillen Seventies, wo alle Perücken, Koteletten, Schlaghosen und Blockabsätze tragen. Das funktioniert als Nostalgikum beim ältlichen Publikum immer.
Aber warum im Kommunismus (der nicht thematisiert wird) in einer damals eigentlich gar nicht vorhandenen Privatherberge eine ledige Mutter so viel Leid tragen muss, das bleibt völlig unscharf; so wie mit Ausnahme der Move & Shake-Tänze von Tomasz Wygoda (die trotzdem im dritten Akt ein paar Angehörige der ethnischen Minderheit der Goralen aufbieten), alles auch im sozial weit schärfer kritisierten 19. Jahrhundert spielen könnte.
Immerhin sieht die Glas- und Stahl-Hotelkonstruktion von Boris Kudlička auf der Drehbühne schick aus, ebenso Dorothée Roqueplos Flower-Power-Kostüme, die an eine Dorfdisco erinnern. Anfangs findet zur dröge anhebenden Ouvertüre eine Ermittlung in slow motion statt, gerne regnet es. Verbrannte Klischee-Birkenstämme dürfen nicht fehlen und kreiseln; in der Mitte fletscht ein Eisbär die Zähne.
Die sind eher stumpft bei Tomasz Konieczny, der das alles als Rückblende erlebt. Mächtig wagnersatt dröhnt sein Bariton, zu laut für das trockene Haus; aber auch er bleibt eine passive Bösewichtnatur. Ähnlich pauschal dröhnt Alexey Tikhomirov als Hoteleigner Stolnik im Silberanzug. Tussihaft schrill, auch vokal, gibt sich Natalia Kawałek als seine Tochter und Hippiebraut Zofia. Corinne Winters, einzige Nichtslawin in der Besetzung, ist von Anfang an das angstgekrümmte Opfer, ein regenfeuchtes, gellendes Elendshäufchen, das engagiert singt, aber völlig überagiert. So gleitet ihre Darstellung immer wieder ab ins albern Kolportagehafte. Moniuszko hat ihr hübsch melancholische, slawisch abfallende Melodien geschrieben, schwachbrüstig schwingen sie sich aber nie zum Hit auf.
Das Gleiche muss man leider von den knapp 20 Minuten Musik sagen, die dem Jontek vorbehalten sind, überhaupt die uninteressanteste Protagonisten-Figur. Erst nach einer Stunde Oper darf der meist mit den Händen in der Tasche abwartende, ungebührlich in den PR-Vordergrund gerückte Piotr Beczała endlich singen. Er liefert aber mit drängender Phrasierung, schön flutenden Höhen und genau gestalteten Legato-Linien die erwartete Starperformance ab. Schön, dass er sich so als Patriot bewährt, aber eigentlich Etikettenschwindel.
Mariusz Treliński zeigt das edle Vorderhaus, aber auch die Kartoffelschälerküche, die Figuren drehen sich im Kreis, alles geht immer wieder von vorn los. Da werden der Herr Jesus und die Madonna von Tschenstochau beschworen, dunkle Tannen eines Polens, das man damals auf der Landkarte nur mit der Seele suchte. Halka fühlt sich als Fisch in der Weichsel und herzt später ihre hier hinzugedichtete Fehlgeburt ausgiebig, bevor sie den Fötus verscharrt, von Harmonium und Harfe begleitet; und sich schließlich ersäuft. Der Arnold Schoenberg Chor spielt und singt mit Verve. Am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester macht Łukasz Borowicz viel Krach, dirigiert handfest, beschwingt und metiersicher. Aber er kann auch nicht darüber hinweghelfen, dass diese „Halka“ eine allzu brave, lokal bedeutsame Oper aus der zweiten Reihe ist und bleibt. Menschen im polnischen Hotel, in tranig-tragischer Emotion verfangen. Gesehen – und gut ist es.
Der Beitrag Menschen im polnischen Hotel: Das Theater an der Wien zeigt Stanisław Moniuszkos tragisch-tranige Nationaloper „Halka“ mit Piotr Beczała erschien zuerst auf Brugs Klassiker.