„Faust“ ist schwer! Selbst der heftig romantisch aufwallende Hector Berlioz ist nie glücklich geworden mit seinem Opernzwitter, den er sich 1846 nach der seine Landsleute viel mehr begeisternden Goethe-Übersetzung von Gerard de Nerval zusammengeschustert hatte. Finanziell zerbrach er daran. Erst 1893 wurde die als Oratorium angesehene „La Damnation de Faust“ an der unter ihrem legendären Direktor Raoul Gunsbourg wagenmutigen Opéra de Monte Carlo szenisch uraufgeführt. Seither ist diese „dramatische Legende“ in sieben Bildern immer beliebter geworden. Berlioz lässt dabei seinen Zickzack-Sprünge schlagenden Handlungsfluss durch wie Stolpersteine wirkende Intermezzi und Tanzeinlangen elliptisch ins Stocken kommen. Kurkonzert-Inkunabel ist höchstens der Ungarische Marsch. Der gegenwärtig besten Berlioz-Experte John Nelson aber entfaltet alle Klangmagie dieses in verblüffenden Tableauxwelten erzählten Geschehen als ein Kaleidoskop fantasmagorisch irrlichternder Tonbilder. Davon profitiert der Méphistophélès, den Nicolas Courjal mit wohltönender Stimme gibt, auch mit Exaltation und den Mut zum Grellen, Verführerischen: Teuflischen Noten dämonisch schön gesungen. Der urmusikalische Amerikaner Michael Spyres ist einmal mehr in einer auf ihn klangzugeschnittenen Partie als Faust zu erleben, punktet mit seiner baritonal wohligen Mittellage und weiß doch die Klippen dieser heikel hochliegenden Partie geschickt zu umschiffen. Spitzentöne schallen klar, er ist ein Meister der so spezifisch französischen voix mixte. Während stückbedingt der Brandner von Alexandre Duhamel Randfigur bleiben muss, kann sich im zweiten Teil Joyce DiDonato als dunkel mezzowarmglühende, zarte Marguerite angemessen weiblichen Raum schaffen. Natürlich wird ihre vom Englischhorn begleitete Arie „D’Amour l’ardante flamme“ zu einem Höhepunkt der Einspielung, bei der jede Vokalnuance sitzt. Die meisterliche, wenn auch exzentrische Partitur als Fülle mitreißender Musikmomente, mal leise, mal extrovertiert. Und großartig tönend entfaltet vom Orchestre Philharmonique de Strasbourg, dem Coro Gulbenkian und Les Petits Chanteurs de Strasbourg. Nach dem Sinn in der Geschichte darf man nicht fragen, wenn Sylphen tanzen, Hexen meckern. Studenten Kanons leiern, es am Ende christlich wird. Dieses Werk, in dem es kaum um den Sinnsucher Faust, eher um den Romantiker geht, der am Ennui du Siècle leidet, bleibt Flickenteppich. Einer der schönsten im Opernrepertoire. Und nach der grandiosen „Les Troyens“-Einspielung derselben Truppe eines der schönsten CD-Jubiläumsgeschenke zum 150. Todestag des Komponisten.
Hector Berlioz: La Damnation de Faust. Michael Spyres, Nicolas Cujal , Joyce DiDonato Alexandre Duhamel, Orchestre Philharmonique, Coro Gulbenkian, Les Petits Chanteurs de Strasbourg, John Nelson (Erato)
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