Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Jörg Widmann: spielend, dirigierend – und auf CD

$
0
0

 

Widmann

Foto: Marco Borggreve

Ein Glückskind? Das schon. Aber man möge das einsame Ringen am Schreibtisch, das Dingsfestmachen diffuser Töne im inneren Ohr, das sich Entfalten auf dem Papier, der ewige Kampf mit dem Abgabeschluss, das Konkretwerden eines Werkes erst bei den Proben nicht zu geringschätzen. Doch natürlich stimmt es: Der 42-Jährige Komponist Jörg Widmann ist ein Glückskind – offenbar mental, weil sein künstlerisches Leben bisher keine nennenswerte Krisen kannte, aber auch im Betrieb, der ihn von frühester Jugend an freundlich empfangen hat, längst feiert und umschwärmt.

Was natürlich seine Gründe hat. Widmann komponiert eigenwillig, aber konzertkompatibel. Seine Werke sind nicht einfach, aber versteh- und lernbar. Das war eben wieder beim Konzert des Deutschen Symphonieorchesters Berlin zu erleben, wo seine 2007 für die Wiener Philharmoniker unter dem verehrten Pierre Boulez geschriebene Armonica für Glasharmonika und Akkordeon, sich zu einem verführerisch-schillernden Klagflächenzauber entfaltete, der den Musikern, Tutti wie Solisten, Spaß machte und auch dem Publikum Pläsier bereitete; freundlich langanhaltender Beifall schallte nach diesem Auftakt durch die Philharmonie. Eine Woche vorher hatte Widmann selbst an der Klarinette mit seiner geigenden Schwester Caroline, dem Cellisten Alban Gerhard und der Pianistin Momo Kodama (die vier sind ein eingespieltes Team, hatten aber noch nie alle zusammen musiziert) im Berliner Konzerthaus eine so dicht gewebte, wie melodisch freigiebige Interpretation von Olivier Messiaens immer wieder berührendem Quatuor pour la fin du temps aufgeführt. Und eine Woche später war man im Münchner Herkulsessaal beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks begeistert über die gelassen-zupackende Spielweise von Antoine Tamestit in dem ihm gewidmeten, im letzten Herbst in Paris uraufgeführten Viola Concerto Jörg Widmanns.

Der Komponist, der Weltklasse-Klarinettist, der Professor, inzwischen auch der Dirigent. Ist es die Balance, die Widmann selbst so ausgeglichen scheinen lässt? „Ich hab auch zu kämpfen“, lacht er am Telefon, ich erwische ihn in seiner Freiburger Wohnung, die vorher Jogi Löw beherbergte, „wenn ich nicht mehr weiter weiß, wenn ich mal wieder den Abgabetermin überzogen habe. Aber ja, das eine gibt mir Freude und Inspiration für das andere.“ Spielt er gegenwärtig wieder mehr selbst? „Das könnte ich nicht sagen, ich tue es mit großer Kontinuität.“ Immer wieder auch gern das Mozart-Klarinettenkonzert. „Ich werde nicht müde das zu spielen, nehme mir jedes Mal wieder vor, Neues zu entdecken, und das gelingt mir auch. Ich bin nach wie vor sehr demutsvoll vor dieser Musik, werde ganz zum Medium, versuche mich völlig frei zu machen.“ Er hat es jetzt auch aufgenommen, gekoppelt mit dem 1. Konzert Carl Maria von Webers („sehr populär, aber immer noch nicht in seinem wahren Wert erkannt, das möchte ich ändern“) und drei eigenen „Schattentänzen“.

cd-klarinettenkonzerteWarum gerade jetzt? „Es passte“, kommt es einfach. „Es war der richtige Moment, trotzdem ist es natürlich nur ein Zwischenstand. Ich finde, Peter Ruzicka am Pult, selbst Komponist, und ich harmonieren sehr gut – und ich wollte es unbedingt mit dem Deutschen Symphonieorchester aufnehmen. Denn die kennen mich so gut wie fast kein anderes Orchester. Ich merke, da muss ich immer weniger erklären, die sind mit meinen Spielweisen und Eigenheiten wirklich traumsicher. Ich höre es, sie spielen meine Werke gern und mit großen Enthusiasmus. Den erlebe ich jetzt auch auf dieser CD.“ Hat er Angst vor anderen Einspielungen? „Dann dürften wir heute gar nichts mehr machen. Darum kümmere ich mich nicht, es muss sich für mich richtig anfühlen, als Interpret wie als Komponist. Nur das zählt.“

Was nicht heißt, dass er nicht gerne noch überarbeitet und nachbessert. „Mein Verlag weiß das genau, ich schreibe ja noch ganz altmodisch auf Papier und mit Bleistift. Und die kennen inzwischen die Phasen, wenn man mit dem Druck anfangen kann“, schmunzelt er.

Trotzdem ist gegenwärtig eine besondere Zeit für Jörg Widmann. „Ich habe in Freiburg nach 15 Jahren als Professor für Klarinette wie Komposition ein Sabbatical genommen, für vier Jahre! Eines ist jetzt schon vorbei. Das ging unheimlich schnell. Ich behalte hier meine Wohnung, werden aber meinen Lebensmittelpunkt wieder zurück nach München orientieren, wo ich mich auf mein geliebtes Haidhausen freue. Und ich möchte mir auch eine kleine Wohnung in Berlin nehmen, weil hier so viele Künstlerfreunde leben und arbeiten.“ Ob er dann 2019 zurück an die Freiburger Hochschule geht? „Warum nicht? Aber in jedem Fall nur noch auf eine halbe Stelle.“

Was ebenfalls nicht heißt, dass Jörg Widmann dem Unterrichten abhold gekommen ist. „Überall, wo ich auftrete, oder eine Residency habe, werde ich fast automatisch gefragt, ob ich nicht auch an der örtlichen Hochschule eine Meisterklasse geben möchte. Ich mache das fast immer, habe inzwischen effiziente Methoden, wie ich auch in wenigen Tagen zumindest ein paar Anregungen hinterlassen, ein paar Samenkörner streuen kann. Und es berührt mich sehr, wenn ich erlebe, wie viele Klarinettisten inzwischen mit meiner Solofantasie ankommen, das ich als 19-Jähriger so einfach dahingeworfen habe. Das scheint inzwischen echt kanonisiert zu sein. Und auch ich arbeitet gern damit weiter.“

Ist die Arbeit mit dem Nachwuchs nicht anstrengend? „Überhaupt nicht, es weckt mich auf, beflügelt mich. Ich erlebe diesen immer wiederkehrenden Enthusiasmus, diese Naivität und Freude, wenn etwas gelingt wenn ein Knoten aufgeht. Da strömt Energie auf mich ein, man bekommt so viel zurück. Da ist wie ein Auftanken. Außerdem hinterfrage ich mich so immer wieder selber, komme mit den Studenten selbst zu neuen Lösungen, die für mich gut und überraschend sind. Deswegen gehe ich jetzt auch erstmals als Dirigent mit der Jungen Deutschen Philharmonie auf Tournee. Das ist viel Verantwortung, ich möchte aber den Jungen auch gern Partner sein.

Das sagt jemand, der immer noch selbst mit jugendlichem Elan auf den Betrieb schaut. Und schon wieder an großen Stücken sitzt – eines für Simon Rattle und zunächst ein Chor-Orchesterwerk zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie für Kent Nagano im Januar 2017. Doch gegenwärtig konzentriert er sich ganz aufs Spielen und Dirigieren, Mozart und Weber, von ihm selbst „Armonica“ und „Dubairische Tänze“ sowie Mendelssohns Schottische Sinfonie.

Klarinettenkonzerte von Mozart und Weber, drei Schattentänze von Widmann; Jörg Widmann, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Peter Ruzicka (Orfeo Classics)

Tour: 5. März Fribourg, 6. Aschaffenburg, 7. Berlin, 8. Hamburg, 9. Wilhelmshafen

Der Beitrag Jörg Widmann: spielend, dirigierend – und auf CD erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826