Nein, nicht wirklich mein Cup of Singer’s Coffee, diese seltsame, globale Met At-Home Gala #theVoicemustbeheard aus den Wohnzimmern der Stars, die man jetzt, falls wirklich authentisch, endlich mal zu sehen bekam. „A fan‘s dream comes true“, so der blutleer wie Nosferatu aus dem dunklen Upper-East-Side-Salon vor seiner Bücherwand seine Moderation ablesende Peter Gelb, der sein mit legendär stundenlangen All-Star-Arienmarathons in den schrillsten Roben bewährtes Haus nun in den Spendenwettlauf schickte. 60 Millionen Dollar Corona-Verluste müssen ausgeglichen werden. Aber er und sein blondierter Musikdirektor Yannick Nézet Séguin, aus der Montréal-Quarantäne zugeschaltet vor Regalen mit Porzellan-Kitsch, Orchideen oder brennenden Kerzen, wahlweise und multifuntional schon vorher aufgenommen in blauer Seide, im Brombeer-Pulli, weißem T-Shirt, schwarzem Hoody oder grauem Sweater, sie verloren kein Wort darüber, dass Orchester und Chor schon längst entlassen sind, und das keiner der auch jetzt wieder für umsonst antretenden Sänger einen Cent Gagenausfälle bekommt. Die entsprechenden Absagebriefe hatte übrigens eine Assistentin verschickt.
Vier Stunden dauerte das weltumspannende, bis nach Georgien und Südpolen switchende Semi-Life-Konzert mit acht Servern durch 8 Zeitzonen aus 29 Städten über 40 Sänger als doch eher öder, in ölig amerikanischem Plastik-Mitleidssentiment sich dahinziehender Arienparcours. Viel Zeit also, sich über Sinn und Zweck des meist in mediokrer metallisch scheppernder Klangqualität sich dahinschleppenden Stückwerks Gedanken zu machen.
Vorheraufgenommen waren natürlich die Instrumentalparts von Met-Orchester und Chor, die mit Mascagni, Wagner und Verdi mit bis zu 97 Mitwirkenden auf dem vielfach geteilten Bildschirm nicht nur technisch beeindruckten. Wirklich rührend das Audiogedenken der Viola-Sektion, die ihrem an Corona gestorbenen Mitbratscher Vincent Lionti mit Händels „Ombra mai fu“ samt einer viel zu nah gefilmten Joyce DiDonato letzten Tribut zollten.
Der Vokalistenreigen begann bei Stockholm, wo bei erstaunlich schlechtem Empfang Peter Mattei das „Don Giovanni“-Ständchen zur Akkordeonbegleitung eines Nachbarn zum Besten gab, und endete mit einer ungebührlich bejodelten Anna Netrebko und pathetischem Rachmaninow aus dem Wiener ORF-Studio, In unfairem Wettbewerb hatte sie sich (wie der plärrende Tenorgatte) in bester Ton- und Bildqualität vorab aufzeichnen lassen.
Den low-tech-Reigen meisterten optisch wie klanglich am besten ausgerechnet zwei weniger bekannte Koloratursoprane, Erin Morley, die sich selbst als Regimentstochter begleitete, und Lisette Oropesa mit einer Meyerbeer-Arie wie aus einem Schöner-Wohnen-Report gut ausgeleuchtet und perfekt vor einem Schaukelstuhl arrangiert mit dem zuspielenden Pianisten auf der Wandvideoscreen. Clever und gut auch der sich selbst akompagnierende Günther Groissböck aus dem Tessin mit dem sehr passenden Morosus-Monolog vor einem lustigen Arrangement aus Met-Papiermodell, Scala-Plakaten und Hörl-Wagnerplastik mit Mundschutz.
Üblich überperfekt, als sogar Tränen vergießende und trotzdem nicht rührende People’s Diva im weiß ladylike geleckten Virginia-Wohnsitz mit Terrassenausblick: Renée Fleming, die wirklich kein Desdemona-„Ave Maria“ in ein so schlechtes Mikrophon mehr singen sollte. Viel zu lippenrot geschminkt die grimmige Carmen von Elina Garanca vor der lettischen Eichenschrankwand.
Nett Ambrogio Maestri im gelben Hemdzelt mit Marco Armigliato am Klavier in Lugano und unpassendem Chenier-Ausschnitt neben der Yucca-Palme; overactet das „Lustige Musikanten sind wir“-„Liebestrank“-Duett mit Roberto Alaga und Aleksandra Kurzak aus Paris; in ähnlichem Schwarzweiß-Interieur entledigte sich aus Dresden René Pape samt werbewirksam platzierter, personalisierter Quietscheente routiniert seines Sarastros.
Anita Rachvelishvili schmetterte Dalila zum wackligen Sound eines georgischen Pianos auf dem „No autographs, please“ zu lesen war. Michael Fabiano platzierte seinen Florida-Lenski vor einem Joan-Miró-Bild. Ein verstrubbelter Jonas Kaufmann in Jeans mit Helmut Deutsch in einem aseptischen Münchner Salon mit ausgemusterten Bayerische-Staatsoper-Stühlen klirrte eine übersteuerte „La Juive“-Arie. Michael Volle gab aus dem Kleinmachnower Dachgeschoss vor einem Fra-Angelico-Druck den „Abendstern“ zum Besten. Matthew Polenzanzi schlug das Pianino vor weißer Wohnzimmertäfelung gekonnt zu „Danny Boy“.
Bryn Terfel samt in die Harfe greifender Gattin hatte vor walisisch dunkeler Holzwand mit „If I can help somebody“ der schwarzen Komponistin Alma Irene Bazel Androzzo einen so passenden wie ungewöhnlichen Song gewählt. Seltsam die Abendkleiddarbietungen von Jamie Barton mit viel zu üppigem Verdi vor ihren Harry-Potter-Bänden und der aufgedonnerten Sonya Yoncheva mit Dvorak vor dem Kamin. Gewöhnungsbedürftig auch die übersteuerte Angel Blue aus ihrem Keller in New Jersey vor einem Foto der alten Met in Rosa und Glitzer mit „Depuis le jour“.
Ildar Abdrazakov dröhnte in Moskau vor weißer Glitztapete Rachmaninows „Frühlingsfluten“. Joseph Calleja bat vor einem maltesischen Aquarium: „Lève-toi, soleil“. Golda Schultz bot vor einem Kofferkisten-Couchtisch „La Rondine“, während Anthony Roth Costanzo mit seinem Händel wie aus der Konservendose klang; immerhin wuchs bei ihm das Grünzeug dekorativ aus der Wand, und auf dem unbenutzten Klavier ließ sich eine Art abgeschlagener Jochanaan-Kopf ausmachen.
Erinnerungswert war die Komposition von Piotr Beczalas Cavaradossi nebst Mageriten-Bouquet aus dem südpolnisch-rustikalen Ferienhaus und das übermotorisch mozärtliche Damrau/Testé-Duett aus der provencalischen Küche nebst Kindergarnierung. Auch Lawrence Brownlees kraftstrotzender Bellini vor E-Gitarre kam gut, während sich Javier Camarena mit „Il pirata“ zu später Stunde vor den helvetischen Nachbarn zurückhalten musste und fast vor der Cabaletta ausgeblendet worden wäre.
Eher hintergründig skurril auch die kurz aufeinander folgenden Auftritte des wiederverheirateten Ex-Ehepaares Aylin Pérez (im Leopardentop) mit Verdi und Hunkbass Soloman Howard vor der selbstreferentiellen Rollenfotogalerie sowie dem unrasiert alt aussehenden Steven Costello mit penetrant Gounod geigender Gattin vor Münchner Eigenplakat in New York. Mit „Thais“ im Pariser Esszimmer-Ambiente begleiteten sich auch die Eheleute Nicole Car und Étienne Dupuis selbst.
Das Resümee: Es reicht jetzt mit Wohnzimmer-Streams. Auch wenn die von Lady Gaga im geschmacklosen Geräteschuppen mit Orientteppich über Buntfliesen angeführte Pop-Fraktion mit einem ähnlichen All-World-Concert nicht wirklich punkten konnte: Wir wollen nur noch echt, edel ausgesteuert oder gar nicht!
Der Beitrag Netter, aber öder Versuch: die Met-Spendengala #theVoicemustbeheard erschien zuerst auf Brugs Klassiker.