Ein tierischer Singspaß. Wir kennen Aubers „Das bronzene Pferd“, Offenbachs neuerdings wieder hündisch bellenden „Barkouf“, den „Gestiefelten Kater“ als Kinderoper von César Cui und Xavier Montsalvatge und „Die Vögel“ von Walter Braunfels, die in einem Chinarestaurant spielende Peter Eötvös-Oper „Der goldene Drache“ und natürlich die bestialisch-menschliche Menagerie in Leos Janaceks „Schlauem Füchslein“. Aber „Die heilige Ente“? 1933 war dieser 20 Mal seit der Düsseldorfer Uraufführung 1923 nachgespielte Sensationserfolg des Wieners Hans Gál letztmalig zu sehen. Jetzt brachte ihn das gern im Raren gründelnden Theater Heidelberg wieder heraus. Immerhin hatte sich sogar Richard Strauss für das tragikomische Libretto von Karl Michael von Levetzow (Nachfahre von Goethes letzte Liebe Ulrike) interessiert, und bei der Weltpremiere stand Gals Studienfreund George Szell am Pult. Gál, der erst 1987 mit 97 Jahren in Edinburgh gestorben ist, war Komponist, Lehrer und Musikschriftsteller. Er studierte bei einem Brahms-Schüler. 1929 wurde er Direktor des Konservatoriums der Stadt Mainz, musste als Jude aber 1933 wieder nach Österreich zurückkehren und emigrierte 1938 nach England. 1965 an der Hochschule in Edinburgh verrentet, schrieb er anschließend viel beachtete Bücher u. a. über Brahms, Wagner, Verdi und Schubert. Seine tonalen, spätromantischen, ohne die Klangexzesse eines Strauss, Korngold oder Schreker auskommenden Werke aber wurden vergessen. Von Hans Gáls vier Opern wurde erstmals 2017 in Osnabrück wieder die in einem mythisch-mittelalterlichen Sizilien spielende „dramatischen Ballade“ mit dem Titel „Das Lied der Nacht“ beifällig aufgeführt und von jpc als CD herausgebracht. Ebenfalls begeisterten Applaus gab es jetzt am Neckar für „Die heilige Ente“.
Das titelgebende Federvieh quakt zwar, aber ist nie zu komplett zu sehen. Denn die junge Regisseurin Sonja Trebes zeigt nur einen verhängten oder leeren Käfig, Federn, zwei schlackernde Schwimmhautfüße in einem Kinderwagen, oder den in der Sommernachtstraum-Verwirrnis des zweiten Aktes als Entenkopf-Mutanten auftretenden Chor. Und ganz am Ende, da gibt es noch ein vom Himmel gefallenes goldenes Entenei. Das nämlich darf der zum Entenbonzen erhoben Kuli Yang als sein Statuszeichen bewachen.
Vorher freilich hat er bei einem unerlaubten Blick auf Li,
die Gattin des Mandarins, die zu dessen rituellem Verzehr bestimmten Ente an
ein räudiges Paar verloren, er Gaukler, sie Tänzerin. Yang soll dafür geköpft
werden, da gehen aber die drei sich langweilenden Götter dazwischen und
vertauschen im allgemeinen Opiumrausch des Vergessens die Häupter von Kuli und
Mandarin, um etwas Unruhe zu stiften. So rettet sich Yang, kann sogar Li
verführen, die ihn vorher zurückgewiesen hatte. Nach einer Nacht voller
Seligkeit, ist dann allerdings alles wieder beim Alten, aber die neuen
Verhältnisse der Figuren mit ihren ungewöhnlichen Erfahrungen müssen frisch sortiert
werden. Wofür eine hier als Katalysator dienende Ente nicht alles gut ist.
In Heidelberg werden freilich auch die in China populären, aus
ihrer naturalistischen Statuenhaftigkeit gerissenen drei unsterblichen Götter Fu,
Lu und Shou (Björn Beyer, Lars Conrad, Han Kim) erst derangiert, dann in
Müllsäcken entsorgt. Nur sparsam freilich ist in Dirk Beckers aufgeräumter
Bühne und in Jula Reindells politbürobeigen, maoblaugrauen oder straßenkehrerorangen
Kostümen das Reich der Mitte präsent, wie es Anfang der Jahrhundertwende
exotisch-erotischen Touch hatte, von Mahlers „Lied von der Erde“ über Puccini bis
Lehárs „Land des Lächelns“ und noch 1943 nachklingend in Bert Brechts
Politparabel „Der gute Mensch von Sezuan“.
Im grau aufgeschnittenen Einheitsraum baumeln zeitweise rote
Laternen, meist steht da aber nur ein bald leeres Denkmalpodest, das auch als
Ofen dient. Am Anfang des wie ein Alptraum sich entfaltenden Dämmers der
verwandelten Identitäten scheinen alle geschrumpft, tollen, toben und lieben
zwischen monströsen Grashalmen und Mohnblüten. Doch immer mehr wird vor allem
dem von den Göttern manipulierten Hauptrollen-Trio klar, dass sich jeder nach
anderem, Größerem, Schönerem sehnt.
Der plötzlich mit dem gelben Mandarin-Haarkranz aufwachende
Yang (voluminös, aber auch vibratostark: Winfrid Mikus) kann sich endlich
seiner Liebe zu Li hingeben. Die (Carly Owen singt sie mit durchdringendem, in
den schlagkräftigen Höhen klirrendem Sopran) wirkt wie wachgeküsst, lässt sich,
im Glauben, ihr Mann verführe sie, endlich gehen, ohne an Stand und Sitte zu
denken. Dem zum Kuli abgestiegene Mandarin (baritonrau: Ipca Ramanovic) wird
klar, dass seine Stellung seine Gefühle gefesselt hat, dass er emotional
amputiert „zwischen goldenen Gitterstäben“ durchs Leben ging.
Aber auch wenn am guten Ende die sozialen Verhältnisse scheinbar
wiederhergestellt sind: Yang darf Li nicht weiter begehren, muss sich jetzt
selbst mit einem Amt und einer gesellschaftlichen Position trösten. Und ob das
hohe Paar durch Erkenntnis zusammenkommt, ob es überhaupt noch liebesfähig ist?
Dagegen tröstet sich ganz pragmatisch und doch passend wie Yin und Yang, als polar
einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene duale Kräfte, das
niedere Paar – hier Aggro-Rocker James Homann (der zwischenzeitlich auch seinen
Kopf an dem zum Polizisten mutierten Bonzen Wilfried Stabler verloren hat) und
die schrille Schminkschlampe Hye-Sung Na.
Sonja Trebes‘ muntere Inszenierung entfaltet das aufgeräumt
unaufgeregt, eher sachlich, sparsam mit exotischem Kolorit umgehend, gern ein
wenig Chaos veranstaltend, aus dem dann der Haushofmeister Joao Terleira unter
seiner Kochmütze nach der Ente greint. Und mit offenem Ende, denn die traditionellen
Götter sind offenbar nachhaltig gestürzt.
Unter der souveränen Stabführung von Heidelbergs stellvertretendem Generalmusikdirektor Dietger Holm entfaltet sich diese reizvolle Partitur als „Spiel mit Göttern und Menschen“ so poetisch wie farbenprächtig. Gern zwischen Komik und Groteske oszillierend, dabei wohllautend und ohne viel pentatonisches Kolorit. Hans Gál spinnt melodischen Bögen und er flutet mit der reichen Polyphonie seiner Orchestersprache, die Chöre klingen durchaus auch mal nach Bach. In der magischen Sommernacht beflügelt Gál die Liebe sogar zu spätromantisch schwülstigem Duettsingen. Und zur Ente kommt schließlich auch noch ein Papierdrachen.
Opernaufführungen und Orchesterprogramme als
Live-Darbietungen per Internet und Geisterkonzert im leeren Saal, die
voranschreitenden Corona-Einschränkungen lassen keine Ansammlungen mehr zu, die
Theater mussten alle sogar ihren Probenbetrieb einstellen. Jetzt schlägt die
Stunde des Konserven-Streamings. Und der Minigruppen-Initiative, sprich: der
Kammermusik. Neben einer Unzahl von Künstlern, die auf Twitter oder Facebook
für Spontandarbietungen online gehen, haben viele Klassik-Institutionen
gegenwärtig ihre Archive und Streamsammlungen kostenfrei geöffnet. Manche
senden täglich, andere ausgewählt. Hier eine aktualisierte Übersicht lohnender Gratis-Portale,
weitere Häuser, wie das vidoeaffine Royal Opera House Covent Garden werden
folgen, sobald Rechte abgeklärt sind. Stramme Live-Streamer, wie etwa die
Hamburger Elbphilharmonie oder Londons Kammermusikmekka Wigmore Hall, haben freilich
gegenwärtig zu wenig Content, frischer wird auch kaum hinzukommen. Andere haben
eben nur sich selbst, wie etwa das Gotenborg oder das Detroit Symphony
Orchestra, da ist manches interessant, anderes nicht.
Die universellste Plattform, Beat oder Beethoven, Oper oder
Olala, alles ist da, für jede Geschmack, immer und gleichzeitig. Da werden
Avantgarde-Freaks Futter finden, aber auch konservative Stargenießer. Es gibt
aktuelle Konzerte und alte Aufzeichnungen. Gerade ganz besonders viel zum 250.
Ludwig-van-Geburtstag, der natürlich auch hier als audiovisueller Höhepunkt
gefeiert werden sollte. Endlich einmal kann man hier in die Untiefen des
Archivs hinabsteigen und sein schlechtes Gewissen beschwichtigen, weil man
früher nie Zeit dafür hatte. Und es lassen sich sicherlich erstaunliche
Entdeckungen machen – dank unserer Rundfunkgebühren. Man hat sogar noch neue
Inhalt eingepflegt: So gibt es am 13. April abends den gerade noch aus
Probenmitschnitten zusammenmontierten „Fidelio“ in der Beethovenschen
Zweitfassung von 1806 aus dem Theater an der Wien bei dem Oscar-Preisträger
Christoph Waltz Regie führt und Manfred Honeck dirigiert.
Auch die Berliner Philharmoniker haben ihre Hausaufgaben
gemacht und inzwischen in über zehn Jahren ein Archiv aus 600 Konzerten
angesammelt. Da gibt es die kompletten letzten Spielzeiten in HD und 4K,
professionell gefilmt und ausgesteuert. Dazu ältere Dokumente und aufgekaufter
Inhalt, Stunden von Interviews und einige Dokumentationen. Da kann der
Thielemann-Tiger und der Petrenko-Panter, die Rattle-Rennmaus, die Abbado-Gottesanbeterin,
die Karajan-Königskobra und der Haiting-Haflinger rollig futtersatt werden.
Früher kostenpflichtig, ist hier zunächst für einen knappen Monat alles frei –
wenn man sich bis zum 31. März anmeldet.
Immerhin, das Mariinsky Theater in St. Petersburg des
wahrscheinlich immer noch in seinem Privatjet um den Globus kurvenden Valery
Gergiev streamt auch schon. Schließlich hat man ein eigenes Plattenstudio und
Label. Und wie stets in Russland, eine Spielplan gibt es nur kürzestfristig.
Angefangen hat man mit Ballett. Am 21. März gibt es Rodion Shchedrin „Anna
Karenina“ in der Choreografie von Alexei Ratmansky. Nur live, immer ab 19 Uhr.
In Wien wäre am 21. März Rossinis „La Cenerentola“ auf dem Spielplan gestanden, gibt es auch so, ab 19.30 Uhr auf dem Computer. Denn die Wiener Staatsoper ist zwar geschlossen, spielt aber täglich online umsonst und meist sogar dass, was regulär angesetzt gewesen wäre, in diversen Besetzungen. Denn seit einer Dekade ist auch diese altmodische Institution ein Streaming-Vorreiter mit Opern- und Ballettaufzeichnungen. Bei den Konserven sind faule Eier dabei und grandiose Vokalsträuße, so wie im echten Opernleben. Spielplan bereits bis zum 2. April. Anfang stets um halb acht (Wagner um fünf). Einfache Anmeldung, Untertitel in acht Sprachen. Für 24 Stunden verfügbar. Aktueller Tipps: 28. März „Götterdämmerung“ mit Stephen Gould, Iréne Theorin (Brünnhilde) und Waltraud Meier. 29. März 2020: „Roméo et Juliette“ von Gounod mit Aida Garifullina und Juan Diego Flórez. 31. März „L’elisir d’amore“ mit Aida Garifullina und Benjamin Bernheim. 1. „Die Frau ohne Schatten“ unter Christian Thielemann mit Stephen Gould, Camilla Nylund, Evelyn Herlitzius, Wolfgang Koch und Nina Stemme.
Das größte Theater Amerikas hat ebenfalls sein Archiv aus
TV-Aufzeichnungen und Kinoübertragungen weit aufgemacht, und sendet – wie bei
den Oscars – jede Nacht ab halb zwei Uhr mitteleuropäischer Zeit für lau eine
Musiktheaterpreziose. Manche kitschig, andere atemraubend, mit allen Big Names
des Business. Man kann freilich auch beruhigt ausschlafen, alles steht 20
Stunden zur Verfügung. Warum also nicht am 22. zum Brunch „Lucia di Lammermoor”
mit Anna Netrebko und Piotr Beczała? Spät nachts gäbe es dann einen
atmosphärischen „Eugen Onegin“ mit Renée Fleming, Ramón Vargas, und Dmitri
Hvorostovsky. Und ab 23. März ist Wagner Week.
„Intermission“ nennt der Berliner Pierre Boulez Saal seinen ab 21. März abrufbaren digitalem Spielplan mit Konzertaufzeichnungen als kostenloses Online-Angebot. Der Spielplan wird wöchentlich bekanntgegeben und beinhaltet zum Teil unveröffentlichte Videoaufnahmen. Zu sehen sind Klassik, Jazz und Arabische Musik, Lectures, Konzerte und Workshops. Das wechselnde Angebot ist immer ab 18 Uhr und jeweils bis zum folgenden Konzert unter www.boulezsaal.de/de/intermission abrufbar. Im Spielplan der ersten Woche: 21. März: Daniel Barenboim, Emanuel Pahud, Kian Soltani, Marianne Crebassa u.a. mit Werken von Claude Debussy. 23. März: Belcea Quartet mit Werken von Joseph Haydn, György Ligeti, Antonín Dvořák. 25. März: Daniel Barenboim mit Klaviersonaten von Franz Schubert (1 & 2). 28. März:: András Schiff mit Bachs Goldberg-Variationen. Lecture-Konzert in englischer Sprache. 29. März: Jörg Widmann: „Schöne Stellen“. Über Musik-Momente der Vergangenheit und Gegenwart. Lecture mit Klavierbeispielen. Ebenfalls 29. März: Jörg Widmann & Goldmund Quartett mit Carl Maria von Weber. Lecture-Konzert.
Die Oper Rom wechselt alle drei Tage die Streams auf ihrem
Youtube-Kanal. Gegenwärtig kann man noch sehen, was älter aussieht: die „Tosca“
in der rekonstruierten Ausstattung der Uraufführung 1900 im Teatro Costanzi
oder die 58 Jahre jüngere „Tosca“ der legendären Margareta-Wallmann an der
Wiener Staatsoper, die dort online gezeigt wird. Noch ein skurriler Vergleich: Sowohl
auf Opervision gibt es Henzes „Bassriden“ zu sehen und ab 24. März auch an der
Web-Opera di Roma. Außerdem sehenswert: ab 25. März eine „Orfeo ed
Euridice“-Inszenierung von Robert Carsen und ab 26. März „Madama Butterfly“ aus
den Caracalla Termen mit Asmik Grigorian.
Dort zeigt man seit dem 21. März als virtuelle Weltpremiere Willem
Jeths’ Oper „Ritratto“, die anlässlich der fünften Ausgabe des „Opera Forward
Festival“ am 13. März ihre Uraufführung erlebt hätte. Die Generalprobe konnte
gerade noch mitgeschnitten werden. Weitere Opern und Ballette werden folgen.
Théâtre des Champs-Elysées
Beim Glyndebourne Opera Festival werden Francis Poulencs “Dialogues des Carmélites” höchstens konzertant zu sehen sein, doch das Pariser Théâtre des Champs-Elysées hat eine sehr atmosphärisch dichte Olivier-Py-Produktion des Werkes aus dem Jahr 2013 neuerlich ab 20. März für eine Woche auf arte/concert freigeschaltet. Jérémie Rhorer dirigiert das Philharmonia Orchestra, es singen Patricia Petibon, Sophie Koch, Véronique Gens, Sandrine Piau und Rosalind Plowright. Genau die richtige, besinnliche Oper für die gegenwärtige Stimmung.
Auch im Berner Oberland hat man in den letzten Jahren
fleißig aufgezeichnet. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und stöbern Sie auf
Gstaad Digital Festival. Machen Sie es sich bequem und schauen sich einen
Konzertfilm von einer der letzten Festivalausgaben an – sei es ein Konzert mit
dem Gstaad Festival Orchestra und Jaap van Zweden, mit Cellistin Sol Gabetta,
mit Cembalist Jean Rondeau, mit Sopranistin Nuria Rial oder mit Pianist Fazil
Say. Lassen Sie die Gedanken ins sommerliche Saanenland schweifen, in die
unverwechselbaren Kirchen und freuen Sie sich darauf, das nächste Mal wieder
live vor Ort dabei zu sein. Es ist keine Selbstverständlichkeit, wie wir jetzt
wissen.
Corona-TV Unter den Linden Berlins. Nachdem man, wie
eigentlich geplant, die aktuellen Premieren im leeren Saal nicht mehr streamen
darf, hat die Staatsoper in ihrem, natürlich um Daniel Barenboim zentrierten
Opern- und Konzertarchiv gekramt. Auch hier versucht man – mit Wiederholungen –
seit 16. März den Spielplan abzubilden, hat aber weit weniger Content als Wien.
Jeweils um 12 Uhr mittags wechselt das naturgemäß 24 Stunden zugängliche Stück –
Oper Sinfoniekonzert, Ballett. Unter den Streams befinden sich ab 21. März der
eben erst aufgezeichnete „Der Rosenkavalier“ von André Heller und Zubin Mehta
(gibt es auch auf 3sat), aber auch Hardcore-Avantgarde wie Beat Furrers „Violetter
Schnee“. Oder der Brahms-Zyklus der Staatskapelle aus Buenos Aires.
Auch das Hamburg Ballett steigt mit exklusiven
Video-Inhalten ein. Am 22. März um 14.30 Uhr gibt es „Junge Choreografen“ als
Video-Compilation. Am 23. März um 16.30 Uhr wird ein virtuelles
Ballett-Training von Lloyd Riggins mit Madoka Sugai von zu Hause für zu Hause,
zum Mitmachen, Nachmachen und Fithalten veranstaltet. Am 24. März um 16.30 Uhr
heißt es: Junge Choreografen – Outtake-Compilation. Die lustigsten Momente im
Kreationsprozess für Junge Choreografen. Und als besonders Schmankerl gibt es
am 26./28./29. März, jeweils um 16.30 Uhr „Die Glasmenagerie – Einblicke in den
Entstehungsprozess“. Exklusive und unveröffentlichte Einblicke in Bild und Ton
über die Kreation von John Neumeiers jüngstem Ballett.
Oper trotz Corona: Die Staatsoper Stuttgart setzt ihr digitales On-Demand-Programm mit Prokofjews „Die Liebe zu drei Orangen“ und Wagners „Lohengrin“ fort. Opernspaß für alle bieten die „Orangen“ in der skurrilen, an ein altes Videospiel erinnernden Inszenierung von Axel Ranisch seit 20. März. Die ungekürzte Aufführung in deutscher Sprache ist mit Untertiteln versehen und wird eine Woche lang on demand auf staatsoper-stuttgart.de gezeigt. Ab 27. März folgt ab 17 Uhr „Lohengrin“ in der Inszenierung von Árpád Schilling. Generalmusikdirektor Cornelius Meister steht am Pult des Staatsorchesters. Flankiert wird dieses Programm in den kommenden Wochen mit Online-Aktivitäten und kleinen zusätzlichen Überraschungs-Videoclips aus dem Opernhaus oder aus dem Wohnzimmer. Aber hallo, Stuttgarter Ballett, Ihr habt doch auch Aufzeichnungen….
Die Pariser Oper fing am 17. März um 19.30 Uhr unter dem Hashtag #LOPERACHEZTOI mit dem Streaming an. Man startete mit der der Aufzeichnung, der eigentlich für die an diesem Tag vorgesehenen brandneuen Massenet-„Manon“ mit Pretty Yende und Benjamin Bernheim. Die wird sieben Tage zugänglich sein, freilich teilweise geogeblockt (über die Facebook-Seite den Zugang suchen), dann folgt die nächste Oper, vermutlich der relativ frische „Don Giovanni“. Bis Mai sind zudem die Aufzeichnungen der absolut sehenswerten Rameau-Oper „Les Indes galantes“, des Balletts „Gisèlle“ sowie ein Tschaikowsky-Zyklus des Orchesters unter Philippe Jordan ständig zugänglich. Und es gibt weiterhin die Videoplattform 3e Scène mit schrägen und experimentellen, eigenproduzierten Videoclips um Oper und Tanz.
In München wollte man mutig livestreamen und wurde ebenfalls
von den verschärften Maßnahmen überrollt. Die Jahrespressekonferenz und ein zum
Kammerabend geschrumpftes 5. Akademiekonzert gingen noch vor leerem Haus über
die Bühne, jetzt musste man auf ein sehr überschaubares, aber qualitätsvolles,
jeweils zwei Wochen abrufbares Angebot aus alten Livestreams reduzieren: Dabei
sind die vorletzte Premiere mit dem Bartók-Doppelabend, „Lucia di Kammermoor“
unter Kirill Petrenko mit Diana Damrau, „Der Troubadour“ mit Jonas Kaufmann und
Anja Harteros sowie das Balanchine-Ballett „Jewels“. Und nach dem Erfolg des
ersten Montagskonzert mit Christian Gerharher und Igor Levit und 90.000
Live-Zuschauern geht es nun jede Woche ab 20.15 Uhr live und kostenlos weiter:
Das Programm der Montagskonzerte wird sich aus Liedgesang,
Solo-Instrumentalisten sowie kammermusikalischen und tänzerischen Darbietungen
zusammensetzen. Mit dabei sind Musiker des Bayerischen Staatsorchesters, Tänzer
des Bayerischen Staatsballetts sowie der Staatsoper eng verbundene Künstler wie
Julia Fischer, Hanna-Elisabeth Müller, Christian Gerhaher, Gerold Huber, Jonas
Kaufmann, Michael Nagy und Tareq Nazmi.
Budapest Festival Orchestra bfz.hu
Hat man sich durch einen traurig stimmenden Clip des als Chef des Budapest Festival Orchester zur melancholischen Untätigkeit verdammten Gründers Iván Fischer gearbeitet, dann offeriert der ungarische Eliteklangkörper jeden Abend um19:45 Uhr live gestreamte Kammerkonzerte unter dem Titel „Quarantine soirées“. Denn: „Wir brauchen Musik jetzt mehr als jemals.“
Auf der von der EU geförderten Videoplattform sind 29 Partnerhäuser
und -Festivals aus 17 Ländern vereint. Und die bieten – mit dreisprachigen
Untertiteln – gegenwärtig 21 Opern an. Da findet der Gourmet seine Spezereien
und auch der Raritätenschnüffler Trüffel wie Moniuszkus polnische Nationaloper
„Halka“ aus Warschau, Erich Wolfgang Korngolds rarer Venedig-Einakter
„Violanta“ aus Turin, eine grandiose Dvorak-„Rusalka“ aus Antwerpen oder die
Barry-Kosky-Inszenierungen von Henzes „Bassariden“ und Weinbergs „Frühlingsstürme“
aus der Komischen Oper Berlin. Und sogar absolut Schräges wie Ivan Zajcs
patriotische Kroatenoper „Nikola Šubić Zrinjski’“ aus Zagreb wird offeriert.
Wer immer schon mal seine Bildungslücken schließen wollte
und jetzt viel Zeit hat: Anlässlich des Jubiläums der nun abgesagten 100.
Händelfestspiele, die eigentlich ab Mitte Mai in Göttingen steigen sollen, bietet
NDR Kultur bis zum 30. September zehn unbekannte Opern aus den Jahren 2009 bis
2019 als Stream an. Etwa „Lotario“, Imeneo“, „Faramondo“ – mal zeitgenössisch,
mal historistisch. Zusammen mit der Unitel zeigt hingegen das Rossini Opera
Festival Pesaro gegenwärtig für jeweils 24 Stunden unter dem Logo „Soirées
musicales“ Rossini-Rarissimia: 21. März „Sigismondo“, 24. März „Adelaide di
Borgogna“ usw. Wer immer noch nicht genug hat: Das Teatro Regio Torino bietet unter dem Hashtag #operaonthesofa
jeden Tag einen mit einer einzigen Kamera in der Totalen abgefilmten
Generalprobenakt, der dann auch weiterhin zu sehen ist – wie schon Verdis
kompletter „Carmen“, „Nabucco“ und Cimarosas „Die heimliche Ehe“.
La saison virtuelle heißt es auch auf der Webseite des Théâtre
de la Monnaie – zunächst bis zum Ende der Osterferien im wöchentlichen Wechsel.
Gegenwärtig zu sehen ist (auch auf der Seite der Pariser Opéra-Comique) die
spannende Pascal-Dusapin-Uraufführung „Macbeth Underworld“ mit Magdalena Kozena
und Georg Nigl sowie ab 21. statt der ausgefallenen Mozart/da Ponte-Trilogie Mozarts
Jugendoper „Lucio Silla“ in der Inszenierung von Tobias Kratzer (die gibt es ab
24. März auch bei Operavison).
Weiterhin werden gestreamt: „Aida“ (Alain Altinoglu , Stathis Livathinos),
„Tristan und Isolde“ (Alain Altinoglu, Ralf Pleger/Alexander Polzin), die tolle
„La Gioconda“ (Paolo Carignani ,Olivier
Py) und das grandiose „Märchen vom Zaren
Saltan“ (Alain Altinoglu, Dmitri Tcherniakov). Außerdem die
eindrückliche Uraufführung „Frankenstein“
von Mark Grey (Bassem Akiki, Àlex Ollé) ist im Programm.
Jan Vogler, der in New York lebende Cellist und Intendant
der Dresdner Musikfestspiele, hat einen
24-stündigen Musik-Livestream-Marathon für den 27. März um 23:00 Berlin Zeit:
#musicveversleepsNYC. Nach Gesprächen mit seinen in New York ansässigen
Freunden und Kollegen habe er realisiert, dass alle mehr denn je bestrebt
seien, ihre Musik mit anderen zu teilen. Diese Freunde und Kollegen hätten sich
bereit erklärt, außergewöhnliche Konzerte unter www.musicneversleepsnyc.com und
auf dem entsprechenden Youtube-Kanal zu spielen. Unter anderem sind neben
Vogler dabei: das Brentano Quartet, Anthony Roth Costanzo, Bela Fleck, The
Knights, Midori, Nico Muhly, Gil Shaham. Weitere Künstler werden in den
kommenden Tagen bekannt gegeben. Jan Vogler schreibt: „Wir hoffen, andere
Künstler in Städten auf der ganzen Welt zu inspirieren, sich
zusammenzuschließen und Music Never Sleeps NYC in ihrer eigenen Stadt zu
verwirklichen. Wir wollen ein globales Pastiche des künstlerischen Ausdrucks
schaffen, indem sich andere Städte unserer Initiative anschließen, z.B.
#musicneversleepsLA, #musicneversleepsBerlin, #musicneversleepsTokio, usw.“
Sehr übersichtlich ist das Streaming-Programm der Deutschen
Oper, die lediglich drei DVD-Auswertungen anzubieten hat und dafür eine Woche
Klärungszeit brauchte. Jeweils am 15 Uhr können Sie jeweils für 48 Stunden über
deren Website folgende Aufzeichnungen kostenlos anschauen: noch bis 21. März:
Janáceks „Jenufa“ unter der musikalischen Leitung von Donald Runnicles und in
der Regie von Christof Loy. Von 21. bis 23. März gibt es Wagners „Rienzi“
RIENZI, in einer Inszenierung von Philipp Stölzl, Dirigent: Sebastian
Lang-Lessing. 23. bis 25. März sind Wagners „Meistersinger“ von Altmeister Götz
Friedrich und mit Rafael Frühbeck de Burgos am Pult zu erleben. Weiteres folgt.
Und für Kinder gibt es bis zum 24. März „Die Schneekönigin“ von Samuel
Penderbayne nach Hans Christian Andersen als fesselndes Musiktheater für alle
ab 8 Jahren.
Auch die Bamberger Symphoniker möchten sich mit ihrem Publikum an die Höhepunkte der jüngsten Vergangenheit erinnern, die filmisch dokumentiert wurden. Auf ihrer Youtube-Seite kann man in diesen Wochen einige Konzerte und Dokumentationen kostenfrei ansehen. Da gibt es eine tschechische Dokumentation über die bisherige Zusammenarbeit mit Chefdirigent Jakub Hrůša, weitere Aufnahmen und Konzertmitschnitte mit ihm, aber auch mit Ehrendirigent Herbert Blomstedt werden folgen. Am 22. März um 18 Uhr zeigen auch die Bamberger Symphoniker in der Aktion „Musiker*Innen für Deutschland“ und #keepplaying Flagge und spielen Beethovens „An die Freude“. Gemeinsam einsam haben die Musiker sich zu Hause aufgenommen – gleiche Noten, gleiches Tempo und gleiche Intention: Etwas zu schaffen, dass die Solidarität der Kulturszene mit den Menschen in Deutschland, Europa und der Welt zeigt. Gleichzeitig werden deutschlandweit Musiker und Orchester an ihren Fenstern spielen. Das Projekt zeigt, dass es auch unter diesen extremen Bedingungen möglich ist, einen Austausch zu schaffen, eine Kommunikation über Musik.
Und wer schließlich nach soviel geballter Hochkultur Lust
auf ein paar arg abgeschrabbelte Drag Queens und Trümmertransen hat: Auch die
wilden Weiber von Neukölln streamen jetzt: Am 28. März, 20:30 Uhr sind Ades
Zabel, Biggy van Blond, Bob Schneider & Roman Shamov on Air. Sie werden das
Publikum in Zeiten von Corona mit der dringend notwendigen Portion Kultur
versorgen und zaubern eine kleine Show aus dem Hut – dabei sein ist alles, wenn
auch nur am Bildschirm
Und natürlich Igor Levits Hauskonzert. Jedem Abend. 19 Uhr
auf Twitter
I’m still here. Es war am 4. April 1971, da hatte im Winter Garden am Broadway „Follies“ Premiere. Eine bitterböse Abrechnung mit der alten, glamourösen, längst nostalgischen Musical-Welt. In einer Zeit, in der Pop und Rock die Shows und Filmmusiken als Vorreiter des Populären abgelöst hatten, Musical und Vaudeville in die zweite Reihe traten – auch weil George Gershwin und Cole Porter, Kurt Weill und Jerome Kern schon tot waren, Richard Rodgers überholt und Irvin Berlin in Rente –, da kamen sie noch einmal zusammen: die „Follies“, die Revuegirls des großen Ziegfeld, der Inbegriff von Schönheit, Aura und dem Willen zur Kunst. Da standen sie in ihrem ehemaligen Theater, zu alten Schabracken gewandelte beautiful girls im unansehnlich gewordenen Bühnenkasten, der einem Parkhaus weichen wird, und sangen trotzig: „Wir sind noch da!“ 49 Jahre später, an seinem 90. Geburtstag, ist Stephen Sondheim, der „Follies“-Komponist wie -Textautor, der hier den Abgesang einer Ära inszeniert hat, selbst in der seltsamen Lage zu sagen: „I’m still here.“ Er tut das wehmutsvoll, enttäuscht und nur wenig trotzig. Und gelassen. Und auch wenn gerade infolge des Corona-Virus selbst der Broadway dunkel daliegt, nicht spielt. Er ist noch da, auch wenn er lange schon keinen Hit mehr hatte. Es gibt nach dem Ende des unermüdlichen Duo John Kander und Fred Ebb („Cabaret“, „Chicago“, „Kiss of the Spiderwoman“, „Besuch der alten Dame“) keinen Komponisten mehr, der eine so lange Reihe von Werken für New Yorks Vergnügungsmeile geschrieben hat, der in fast jedem seiner 16 eigenständigen Bühnenstücke das Musical neu erfunden, ihm Komplexität, Frische, Tiefe, Relevanz gegeben hat.
Die junge Komponisten-Generation fasst heute schwer Fuß,
sieht sich im Würgegriff zwischen durch immer höheren bühnentechnischen Aufwand
explodierenden Produktionskosten für Novitäten und dem Willen zu gut
abgesicherten Revivals meist konventioneller Erfolgsstücke oder dem Biografischen
wie Jukebox-Musical, das nur große Songkataloge von Abba bis Supremes, Beatles
bis Michael Jackson ausschlachtet. So entsteht keine Kontinuität, so reißt
Geschichte ab. Geschichte, die vielleicht beendet ist. Kein Wunder, dass sogar
ein Leuchtturm wie Sondheim in seinem biblischen Alter melancholisch wird und länger
schon nur noch resignativ funzelt.
Dabei kann er, der lange nur ein geistvoller Musiktheaterspaß für die Eingeweihten war, heute auf doch weitreichendere Erfolge verweisen. Seine Stücke werden weltweit immer beliebter, „Sweeny Todd“ oder „A little Night Music“ sind längst in den Opernhäusern angekommen, werden mit und für Stars wie Bryn Terfel oder Dagmar Manzel inszeniert, und immer hin wurde die blutige Barbier-Geschichte auch von Tim Burton verfilmt. Und sein ironisches Märchengewusel „Into the Woods“ hat Disney mit Meryl Streep als Fantasy-Musical in die Kinos gebracht. Selbst in Europa gehören die abgründigen, abgefeimten Sondheim-Klassiker inzwischen zum Musical-Stammrepertoire der Stadttheater. Erst kürzlich gab es an der Staatsoperette Dresden sogar eine so glamouröse wie klug eingeostete Neuinsznierung von „Follies“, die ganz wunderbar funktionierte und sich auf ihre Art nicht hinter dem herrlichen Revial am Londoner National Theatre verstecken brauchte.
The little things you do together. Das war einmal anders. In
jenem Winter Garden, in dem bald – die „Follies“ sind längst der Staub von
vorgestern – nach 18 Jahren und 7.400 Vorstellungen Andrew Lloyd Webbers „Cats“
zum letzten Mal die Krallen zeigen, begann die Weltkarriere des Stephen Sondheim,
am 22. März 1930 in New York als Sohn jüdischer Eltern geboren, die beide in
der Modebranche arbeiteten und sich trennten, als ihr einziger Sohn zehn Jahre
alt war. Zu Ersatzeltern wurden ihm Dorothy und Oscar Hammerstein. Der
versierte Texter, der „Showboat“ und die späten Richard-Rodgers-Erfolge auf
seinem Habenkonto verzeichnete, brachte Sondheim bei, was er wissen musste, und
er vermittelte den Kontakt zu Leonard Bernstein, Jerome Robbins und dem, was
später als „West Side Story“ trotz bescheidener 732 Vorstellungen von 1957 an
im Winter Garden seinen Siegeszug um die Bühnen der Welt antrat.
Stephen Sondheim hatte damals die witzigen, einprägsamen
Texte geschrieben, ähnlich wie er es auch später noch für Jule Stynes immer
wieder gern von reiferen Stars gebrachtes Ethel-Merman-Vehikel „Gipsy“, für
Rodgers‘ „Do I hear a waltz?“ und für eine der Neufassungen von „Candide“,
Bernsteins Schmerzenskind nach Voltaire, tat. Doch natürlich lag sein Ehrgeiz
bei eigenen Shows, für die er, gemäß dem Vorbild Cole Porter, immer als
Textdichter und Komponist zeichnete. Worte und Klänge, für ihn ist das eine
untrennbare Einheit, die seine Musik so unverwechselbar macht. Und deshalb ist es
das Dümmste, wenn man diesen Universalisten heute gern erstmal als „West Side
Story“-Texter bezeichnet. Deren Broadway-Revival von Ivo van Hove und Anne
Teresa de Keersmaeker gerade auch brach liegt.
Und doch hat Chita Riviera, für die er 1957 als Anita „America“ schrieb, über seine Songs gesagt: „Sie sind wie ein fantastisches Steak.“ Die schrill-klamaukige, dabei intelligente Römerparodie nach Plautus „A Funny Thing Happend On the Way To the Forum“ (1962) markierte einen ersten Schritt zum Ruhm und gehört heute zu seinen meistgespielten Stücken, die Politsatire „Anyone Can Whistle“ (1964) war dagegen ein herber Rückschlag. „Evening Primrose“ (1966) wurde ein Fernsehmusical mit Anthony Perkins über eine geheime Vereinigung von Leuten, die in einem Kaufhaus leben.
Dann kam 1970,
gemeinsam mit seinem Produzenten, Regisseur und Choreografen Harold Prince (der
die meisten seiner Shows betreute, doch 1981, nach einem Krach, ausgerechnet zu
Lloyd Webber überlief), der Durchbruch mit „Company“: Singende Großstadtneurotiker,
Ehepaare im Geschlechterkrieg, wie bei Edward Albee. Die Geburt des „Konzept-Musicals“,
bei dem alles einer Idee untergeordnet ist. In “Company”, mit seiner seltsam
uneindeutig metrosexuellen Hauptfigur, die für jüngste Wiederaufnahmen sogar
erfolgreich weiblich gegendert wurde, finden sich dann so wunderbare – böse … Verse wie: “The concerts you enjoy
together / neighbours you annoy together / children you destroy together.” Er
selbst hatte übrigens erst mit 40 Jahren sein Coming Out. Sein Lebensgefährte
war zeitweilig der Dramatiker Peter Jones.
Putting it together.
Viele Sondheim-Songs klingen wie desillusionistische Lyrik der feinsten Sorte.
Kritiker mögen solches kalt und zu sophisticated nennen, nie aber erlaubte sich
Stephen Sondheim das oberflächlich rosa Gewölk, das für gemeinhin als Musical
gilt und doch nur eine schwächelnde Schwester der Operette vorstellt. Das aber
war und ist auch sein Problem: Obwohl vielfach ausgezeichnet, vom „Oscar“ über
den Tony bis hin zum Pulitzer Preis, musste Stephen Sondheim damit leben, dass
seine Stücke von musical-desinteressierten Intellektuellen nicht wahrgenommen
und vom gewöhnlichen Publikum als zu schwer und zu verwirrend empfunden werden.
Was ihn nicht davon abhielt, trotz einigen Flops, immer neue Anläufe zu unternehmen,
das Genre zu revolutionieren, vom Ruch des nur Geläufigen zu befreien. „A
little Night Music“ (1973) nach Ingmar Bergmans Film „Das Lächeln einer
Sommernacht“ wurde zur Apotheose des Valse triste und Wiedergeburt der
Operette, „Pacific Ouvertures“ (1976), das die von den Amerikanern erzwungene
Öffnung Japans zur Welt zum Thema hat, spielt mit den Mittel des
Kabuki-Theaters.
„Sweeny Todd“ (1979), die böse Geschichte des dämonischen
Barbiers aus der Fleet Street, der mit dem Rasiermesser metzelt und seine Opfer
von seiner Komplizin zu Fleischpasteten verarbeiten lässt, ist ein wildes
Kaleidoskop aus epischem Theater, Jakobinertragödie, Burleske, Märchen,
viktorianischem Vaudeville, Weill, Berg und Britten. „Merrily We Roll Along“
(1981) rollt seine Handlung von rückwärts ab, „Sunday In the Park With George“
(1984) lässt George Seurrat in sein pointilistisches Bild „Ein
Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte“ treten. „Into the Woods“
(1986) bringt Grimms Märchen als Bettelheim-Kommentar auf die Bühne, bis
Rotkäppchen Amok läuft.
„Assassins“ (1991), Sondheims persönlicher Favorit, führt amerikanische Präsidentenmörder auf einem Rummelplatz vor: „Autor John Weidman und ich wussten, was wir machen wollten und haben es getan. So bewerte ich Stücke“, sagte Sondheim. „Ich schaue mir ,Assassins‘ an und es erfüllt mit wenigen Ausnahmen alle meine Erwartungen.“ Das melancholisch kammerspielartige „Passion“ (1994), hat einen von Ettore Scola verfilmten Briefroman um eine große, unerfüllte Liebe zum Vorbild.
There won’t be Trumpets. Diese letzten beiden Stücke liefen nur noch Off-Broadway, kein Produzent wollte mehr – abgesehen von den alten Krachern sowie dem aufgewärmten Uni-Ulk nach Aristophanes „The Frogs“ von 1974 – einen neuen Sondheim am echten Broadway wagen. Weil er kaum Hits schreibt, so meist das Totschlag-Argument. Doch was sind Hits? Die klebrige Musiksoße eines Lloyd Webber, die meist schamlos geklaut ist und dann stundenlang wiedergekäut wird? Bei Sondheim regiert vor allem Harmonie, nicht Rhythmus. Der Schüler des Zwölftoners Milton Babbitt arbeitet mit vielfachen Versatzstücken, kombiniert neu, erinnert sich, setzt anders zusammen, verschachtelt, lässt Motive sich in ständigen Ostinati überlappen. Seine Stücke sind große Puzzles –Sondheim selbst ist ein passionierter Spielesammler –, in denen man selten ein Teil, einen Hit, einen Schlager isolieren kann. Und er ist keiner, dem das Komponieren leicht fällt: „Jedes Mal ist es, als ob man Zahnpaste aus einer leeren Tube drücken will.“
Send in the Clowns. Und doch hat Stephen Sondheim nicht nur diesen einen Evergreen komponiert. Frank Sinatra und Liza Minnelli, Shirley Bassey und Barbra Streisand singen seine nicht unkomplizierten Lieder. Selbst Madonna brauchte einen Monat, bis sie die trickreichen Songs für den Film „Dick Tracy“ konnte. Und heute wird auch er, Stephen Sondheim, der Clown, immer wieder und öfter hereingeschickt. Man ist sich seinen Rang und Namen bewusst. Er wurde mit Grammys, Tonys, Oscars, dem Pulitzer Preis und 2014 mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet.
Comedy, tonight. Ein Abgesang? Man hat in London und New York „Saturday Night“ gespielt – Sondheims erste, wegen des Todes des Produzenten nie aufgeführte Show von 1954. Sein theatralischer Schwanengesang wurde schließlich ein Musical über Addison Mizner und seinen Bruder Wilson, zwei Abenteurer vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die vom Klondike Goldrausch bis zum Hausbau-Boom im Florida der Zwanziger ihr Unwesen trieben. 2003 kam es als „Bounce“ heraus, 2008 noch einmal als „Road Show“ – und schaffte es doch wieder nur bis Off-Broadway. Stattdessen wurden die englischen Original-Namen der „Desperate Housewives“-Folgen größtenteils nach seinen Songtiteln benannt.
Trotzdem bosselte Stephen Sondheim bis ins hohe Alter an
Projekten. „Ich bin ein Kollaborations-Tier“, sagte der überzeugte New Yorker,
der nach wie vor in einem Townhouse in Manhattan lebt, jüngst der „New York
Times“. „Meine Ideen entstehen oft aus dem Zusammenarbeiten mit anderen
Menschen, sonst würde ich Konzertmusik komponieren. Ich schreibe, weil ich die
Menschen zum Lachen, Weinen und Denken bringen will. Und ich will so viel
Publikum wie möglich.“ Schließlich muss die Show weitergehen, schließlich ist „Komödie,
jeden Abend“. Heute wird Stephen Sondheim, einer der bedeutendsten lebenden
Komponisten, 90 Jahre alt.
Und auch das ist in diesen Zeiten noch möglich: Eine Opernuraufführung. Wenn auch nur als Retrospektive einer schon am 12. März mitgeschnittenen Generalprobe. Am 13. hätte die Weltpremiere in Amsterdam beim Opera Forward Festival der Dutch National Opera sein sollen. Jetzt kam aber „Ritratto“ – das italienische Wort für „Porträt“, erst am Wochenende als virtuelle Kreation auf dem Youtube-Kanal der DNO heraus. Da ist es in sehr guter Bild- und Tonqualität auch noch zu sehen, ebenso auf deren Webseite. Der neunzigminütige Einakter von Willem Jeths, dem ersten niederländischen Komponisten des Vaderlands, handelte von Luisa Casati, einer der durchgeknalltesten Society- und Kunstgestalten am Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Look dieses It-Girls der Kreativen: Smokey Eyes. Die trägt sie auch auf den vielen Gemälden, die von ihr angefertigt wurden, eines davon war für Jeths der Auslöser zur Komposition.
Luisa Casati Stampa di Soncino, Marchesa di Roma (1881-1957) war eine italienische Muse, Kunstmäzen, Modeikone und High Society Lady. Sie war die jüngste Tochter eines wohlhabenden Textilfabrikanten. Ihre Kindheit drehte sich um perfektes Benehmen und die gesellschaftliche Repräsentation, sie galt als frühreif und ausgesprochen intelligent. Der frühe Tod ihrer Eltern machte Luisa und ihre Schwester zu den wohlhabendsten Erbinnen in Italien. 1900 heiratete Luisa Amman den Aristokraten Camillo Casati Stampa di Soncino, Marchese di Roma (1877–1946). 1903 lernte sie den Schriftsteller Gabriele D’Annunzio kennen und hatte eine langjährige Affäre mit ihm. In dieser Zeit reiste sie viel und fand schnell Kontakt zur europäischen Society. Ihre Bankette, Tanzbälle, Gartenparties, Dinners, Fuchsjagden, Tanzabende und Kostümfeste waren berühmt und füllten die Gesellschaftsspalten der Zeitungen. Je extravaganter und skandalöser ihre Lebens- und Liebesgeschichten waren, desto größer wurde die Faszination, die von ihr ausging. 1910 kaufte sie in Venedig den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande und ließ ihn aufwendig renovieren. Die von Casati dort veranstalteten Feste waren außergewöhnlich und phantasievoll – so wurde die Einweihungsfeier im September 1913 mit einem Kostümball im Stil des 18. Jahrhunderts gefeiert. Heute residiert hier die Peggy Gugenheim Foundation.
In Porträts, Skulpturen und Fotografien zahlreicher Künstler verewigt, wurde Luisa Casati als meistgemalte Frau Italiens berühmt. Mit vielen Künstlern war sie persönlich befreundet, unter anderem mit Giovanni Boldini, Kees van Dongen, Romaine Brooks, Ignacio Zuloaga, Giacomo Balla, Jacob Epstein, Man Ray, Cecil Beaton und Adolphe de Meyer. Ihre Roben und Kostüme wurden von Léon Bakst, Paul Poiret, Mariano Fortuny und Erté entworfen. Wo immer sie war, setzte sie Trends. Doch in den 1930er Jahren musste Casati verarmt nach London fliehen, wo sie, unterstützt von Freunden, bis zu ihrem Tod lebte.
Gabriele D’Annunzio schuf 1910 mit der Figur der Isabella in
dem Roman „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ ein dichterisches Denkmal. Tennessee Williams machte sie 1963
zur Protagonistin in „The Milk Train Doesn’t Stop Here Anymore“. Ihr
Mythos wurde in Theaterstücken und Kinofilmen thematisiert, gespielt wurde sie
dabei von Theda Bara, Vivien Leigh, Tallulah Bankhead, Valentina Cortese und
Ingrid Bergman. Ihre Lebensweise und ihr Modestil inspiriert noch heute Designer
wie John Galliano, Yves Saint Laurent und Tom Ford.
Über diese gelangweilte wie leidenschaftliche Dame als Kunstfigur wie Inspiration für Künstler hat nun von Willem Jeths seine süffige Oper geschrieben, bei der als Vorbild durchaus „Powder her Face“ durchschimmert, das Musiktheater-Portrait einer skandalösen englischen Adeligen, mit dem 1995 Thoms Adès berühmt wurde. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges hinterfragt Librettist Frank Siera die Bedeutung der Kunst. Bei einem Fest von Casati bringt Siera alle Arten von Künstlern zusammen, vor allem die Futuristen, die mit ihrer Kunst den Weg für den Faschismus ebneten. Casati beschäftigt sich nicht mit weltlichen Problemen und konzentriert sich auf ihre Leidenschaft. In der Oper geht sie noch weiter als im wirklichen Leben; Indem sie nicht sieht, versucht sie, selbst gesehen zu werden. Denn sie wird am Ende selbst zum Bild und Kunstwerk – und opfert für das Artefakt der lesbischen Malerin Romaine Brooks ihr Augenlicht.
Mit vielen Zitaten von Strauss bis Ravel macht Willem Jeths sein Werk in sieben Szenen zu einem sinnlichen Parcours durch die damalige Klanggeschichte, am Ende aber wird er ganz melancholisch und düster. Die Inszenierung von Marcel Sijm ist ein Designfest mit deutlich transgenderndem LGBTQ-Einschlag. Marc Warning lässt Plastikblasen als Perlenketten auf der leeren Szene hängen, die aber füllt Jan Taminiau, der den berühmten blauen Umhang entworfen hat, den Königin Máxima bei der Krönung von Willem-Alexander trug, mit schrillschrägen Kleidermodellen. Man wähnt sich bisweilen zwischen Voguing und Modenschau, nicht das Schlechteste für eine Oper, bevor es wieder kunstphilosophisch ernster wird.
Pose ist hier alles, nur Gutaussehen zählt unter diesen Selbstdarstellern, auch Kees van Dongen, Jacob Epstein, Man Ray, Serge Diaghilev und Filippo Marinetti sind anwesend. Geoffrey Paterson dirigiert mit Verve die Amsterdam Sinfonietta. Und auch für die jungen Sänger des erst seit einem Jahr bestehenden DNO-Opernstudios ist dieses Werk eine wunderbare Gelegenheit. Vor allem Verity Wingate ist eine eindrücklich zwiespältige Luisa.
Polly Leech gibt Romaine Brooks als sonore Dyke. Paride Cataldo ist Gabriele D’Annunzio, erst mit Flitter im Schambeutel, dann als lustiger Flatterflügelpilot. Und Martin Mkhize mimt den gar nicht so stummen Diener Garbi als nubischen Legionär, der eben nicht nur servant ist, sondern observant. Und hoffentlich bald auch wieder einmal in einem richtigen Opernhaus.
Die Reihe und Webseiten füllen sich. Immer mehr Häuser, Orchester,
TV-Anstalten und Plattenfirma liefern digitales Entertainment for free. Alles andere kostet weiterhin,
sei es drum, hoffentlich nützt es als Werbemaßnahme, um dann wieder in
normaleren Zeiten die Kunden zu behalten oder neue zu gewinnen. Hier also eine
weitere, sehr subjektive Auswahl lohnender und möglicher Andockstationen
Da in den Niederlanden bis mindesten 1. Juni alles geschlossen
bleiben muss, kann man sich mit Archivaufführungen wie aktuellem Content bei den
Amsterdamern online die Zeit vertreiben. Das schöne Motto: Keep on Singing and Dancing – Stay Safe.
Hier streamt man, jeweils Donnerstags und Freitags analog zum Großen Konzert und für 24 Stunden abrufbar seine hervorragenden, alle schon bei accentus veröffentlichten Konzertdokumente mit Herbert Blomstedt, Riccardo Chailly und Andris Nelsons. Am 27. März, gibt es das nächste Konzert unter der Leitung von Herbert Blomstedt. Am 2. April geht es weiter mit Riccardo Chailly und Julian Rachlin, im Konzert mit Tschaikowsky und Mahler. Am 3. April folgt Andris Nelsons mit Antonín Dvořák, am 9. Nelsons und Baiba Skride mit Schostakowitsch und Tschaikowsky. Zu Ostern gibt es ebenfalls ein sehr passendes Programm, am 10. April Thomaskantor Georg Christoph Biller mit Bachs Matthäus-Passion, am 12. April Herbert Blomstedt mit Bachs h-Moll-Messe und am 13. April Riccardo Chailly mit Mahlers Auferstehungs-Sinfonie.
BTHVN2020
Der Frachter der Bonner Beethoven-Jubiläumsgesellschaft, der
noch von Nike Wagner pompös getauft wurde, durfte dann doch nicht mehr via Rhein,
Nekar, main und Donau gen Wien schippern. Jetzt liegt er in Bonn und dienst als
Konzertschiff unter dem Motto: Der BTHVN2020 Musikfrachter geht auf Sendung. Am
Wochenende des 28. und 29. März geht gibt es dort ein 24-stündiges
Videoprogramm. Ein Mix aus Konzerten und Performances, Interviews,
Kindersendungen und Workshops, jeweils von 10-22 Uhr Abwechslung ins
Wohnzimmer, abrufbar auf den Social Media Kanälen des BTHVN2020 Musikfrachters
sowie der Beethoven Jubiläums GmbH.
Auch das Lucerne Festival musste wegen der Corona-Pandemie
das geplante Frühjahrs-Wochenende mit Teodor Currentzis vom 1. bis 4. April
absagen. Großartige Musikerlebnisse aus Luzern soll es trotzdem geben, nicht im
Konzertsaal, sondern digital: Vom 1. bis 4. April werden auf medici.tv ausgewählte
Konzerte mit dem Lucerne Festival Orchestra aus den vergangenen Jahren als
Video-on-Demand angeboten. Der Zugang ist nach Erstellung eines Gastaccounts
über den Log In-Button auf der Plattform für 24 Stunden kostenlos. Das
Streaming-Angebot enthält das Eröffnungsprogramm des Festivals 2019 mit
Rachmaninows Drittem Klavierkonzert und seiner Dritten Sinfonie mit dem Lucerne
Festival Orchestra, Riccardo Chailly und Denis Matsuev, außerdem die denkwürdige
Aufführung der Neunten Sinfonie von Gustav Mahler unter Claudio Abbado aus dem
Sommer 2010. Darüber hinaus ist ein Konzert der Solisten des Lucerne Festival
Orchestra mit Elisabeth Kulman und dem Pianisten Eduard Kutrowatz von 2013
abrufbar, mit Wagners in Luzern komponiertem und in seinem Luzerner Wohnhaus
uraufgeführtem Siegfried-Idyll, seinen Wesendonck-Liedern sowie dem Vorspiel zu
„Lohengrin“. Hinzu kommt die Dokumentation „Weltklasse am Wasser – 75 Jahre
Lucerne Festival“ von 2013.
Am Opernhaus Zürich wird es ab dem 27. März eine Auswahl
von Opern- und Ballettproduktionen geben. Auch hier hat in den letzten Jahren Accentus
Music einige der besten Produktionen des Hauses aufgenommen und für DVD und
Blu-ray produziert. Diese Produktionen sind nun jeweils an Wochenenden auf der
Homepage der Oper abrufbar. Bis Anfang Juni gibt es die Christian Spuck-Ballette
„Nussknacker und Mäusekönig“, „Romeo und Julia“ und „Requiem“, außerdem „Das
Land des Lächelns“, „Werther“, „I Capuleti ei Montecchi“, „Nabucco“ und „Wozzeck“.
Ihre Sommersaison 2020 hat die garsington Opera zar bereits
abgesagt, aber acuh hier ploppen jetzt auf der eigenen Youtube-Seite jetzt
komplette Aufführungen auf, wie zum Beispiel eine vergnügliche „Verkaufte Braut“
von 2019 im Fifties-Look.
Deutsche Grammophon
Das Gelb-Label initiiert am Welt-Klavier-Tag ein
internationales virtuelles Festival. Am 28. März spielen hauseigene Pianisten online
für ihre Fans und alle Musikliebhaber. Teilnehmen werden unter anderem Maria
João Pires, Rudolf Buchbinder, Evgeny Kissin, Víkingur Ólafsson, Jan Lisiecki,
Joep Beving, Simon Ghraichy, Kit Armstrong und Daniil Trifonov. Voraussichtlich
werden auch weitere Pianisten dabei sein, um ein Publikum auf der ganzen Welt
durch Musik zusammenzubringen. Zuschauer können die Streams der Pianisten auf
den DG-Profilen bei YouTube und Facebook sehen unter den Hashtags #StayAtHome
und #WorldPianoDay. Das einmalige Programm wird live am 28. März um 15 Uhr MEZ gestreamt
und ist danach nur für begrenzte Zeit online verfügbar.
Arte concert
Die Deutsche Grammophon hat zudem gemeinsam mit Arte Concert
eine Konzertreihe für den legendären Meistersaal in Berlin konzipiert. In
professionellen Live-Streams und zeitlich versetzten Übertragungen sind DG-Künstler
zu erleben. „Moment Musical“ ist der Titel des neuen Projekts, das am 27. März um
19 Uhr (MEZ) und am 29. März um 16 Uhr (MEZ) startet. In den ersten vier Folgen
treten die in Berlin ansässigen Musiker Andreas Ottensamer, Anna Prohaska, Avi
Avital und Albrecht Mayer in Recitals mit kammermusikalischen Partnern auf. Auf
dem Programm stehen Solowerke und Duos. So wird die Anzahl der beteiligten
Künstler, Techniker und Mitarbeiter begrenzt. Durch ferngesteuerte Kameras
können die Mitglieder des Audio- und Videoteams geschützt in verschiedenen
Räumen arbeiten. Wer als Zuschauer eine Live-Aufführung versäumt, kann sie on
demand noch 72 Stunden über die Kanäle von Deutsche Grammophon und Arte Concert
abrufen. Die Konzerte werden auch auf der Website von Arte Concert archiviert.
Das Kammermusikfest Lockenhaus wartet derzeit den Verlauf
der Corona-Pandemie und die damit verbundenen politischen Entscheidungen ab.
Der gute künstlerische und organisatorische Planungsstand der Vorbereitungen
macht eine kurzfristige Entscheidung möglich. Um die derzeitige
veranstaltungslose Zeit zu überbrücken, bietet der Künstlerische Leiter Nicolas
Altstaedt in den LockenHAUSkonzerten täglich kostenlos neue Schätze aus dem
unermesslichen Archiv mit Live-Aufnahmen seit 1981 zum Nachhören. Es handelt
sich bei diesen Aufnahmen ausschließlich um unbearbeitete Live-Mitschnitte aus Konzertprogrammen,
die allesamt während der jeweiligen Kammermusikfeste zusammengestellt, geprobt
und aufgeführt wurden. Sie geben somit wunderbare Einblicke in den Charakter
des Kammermusikfest Lockenhaus und seine typische Unmittelbarkeit des
Musizierens.
Das ambitionierte New Generation
Festival in Florenz hat The Action Station mit täglichen 15-Minuten Livestreams
auf Instagram, jeweils um 17:00 MEZ. Die
Regeneration Broadcasts präsentieren junge Opernsänger, Instrumentalisten,
Jazzer, DJs, Drag Queens und andere Spezies. Es soll zudem für Krankenhäuser in
der Lombardei gesammelt werden.
Sony Classical
Eher kleiner Brötchen bäckt man bei Sony Classcial. Unter
dem Motto #ClassicalAtHome präsentiert man die vielfältigen Online-Aktivitäten
ihrer Künstler – vom Konzert-Livestream von Zuhause, über Q&A Sessions bis
hin zu Konzertmitschnitten, die nur online zu erleben sind. So macht die
Pianistin Olga Scheps am 29. März von zu Hause ab 16 Uhr im Livestream auf dem
Instagram-Kanal Sony Classical ein unterhaltsames Klassik-Programm für Kinder.
Am 1. April ab 17.00 Uhr widmet sich Pianist Martin Stadtfeld dem Thema „Beethoven
für Kinder“. Fest eingeplant sind ebenfalls Live-Konzerte über den
Facebook-Channel von Sony Classical von Geiger Niklas Liepe (2. April, 18 Uhr),
dem Neoklassik-Pianisten Florian Christl (3. April, 19 Uhr) und Dirk Maassen am
05. April um 19 Uhr. Die Münchner Cellistin Raphaela Gromes ist am 19. April
von zu Hause zu erleben. Diese unterhaltsamen Live-Streams sowie Hinweise auf
andere Online-Aktivitäten weiterer Künstler werden unter #ClassicalAtHome auf
der Facebook-Seite von Sony Classical angekündigt.
Hier hat man inzwischen coronaaufgerüstet und digitale
Programmangebote sind auch für die Elbphilharmonie das Gebot der Stunde. Unter
dem Titel #ElphiAtHome spielt man über die digitalen Kanäle ein vielfältiges
Programm aus, zu dem virtuelle Hausführungen ebenso gehören wie halbstündige
Konzerte in kleinen Besetzungen, die aktuell im leeren Großen Saal mit den
ferngesteuerten Kameras aufgenommen werden. Auch das Education-Angebot der
Elbphilharmonie verlagert sich ab der kommenden Woche im Rahmen des Möglichen
in den virtuellen Raum. Weitere Ausgaben der „Elbphilharmonie Session“ – schön
produzierte, exklusive Clips mit ausgewählten Musikern, die in den vergangenen
Monaten gastiert haben – werden ebenfalls nach und nach das Programm
bereichern. Allabendlich gibt es zudem im Verbund mit den Partnerhäusern der
European Concert Hall Organisation (ECHO) einstündige Konzertformate, die sich
aus bereits vorhandenem Material der angeschlossenen Konzerthäuser speisen. Was
wann wo zu sehen und zu hören ist, findet sich in der Programmübersicht, die
fortlaufend erweitert und aktualisiert wird.
Musiker weltweit spielen seit Beginn der Corona-Pandemie in
den sozialen Netzwerken für ihre Fans. BR-Klassik bringt sie zusammen und
veranstaltet ein ganzes Festival live per Videostream. Am 29. März, ab 18.00
Uhr musizieren Künstler wie Jonas Kaufmann, Lang Lang, Sopranistin Golda
Schultz und zahlreiche andere nacheinander bei sich daheim oder im Studio für
Klassik-Fans in aller Welt. BR-Klassik macht nach dem Motto #MusikBleibt aus
den Wohnzimmern eine Festivalbühne und präsentiert diese Konzerte exklusiv auf
br-klassik.de, in der BR Mediathek sowie auf den BR-KLASSIK-Channels bei
Facebook und Youtube. Das Festival ist eine Aktion zugunsten des Nothilfefonds
der Deutschen Orchester-Stiftung. freischaffende Künstler unterstützt. Ein
Mitschnitt ist nach dem Livestream auch on demand verfügbar.
Seit der Absage des „Heidelberger Frühling“ 2020, der unter
dem Leitgedanken „Unterwegs“ gestanden hätte, hat sich das Festival intensiv
damit beschäftigt, wie in Zeiten von Social Distancing trotzdem
Gemeinschaftserlebnisse in der Kunst im digitalen Raum geschaffen werden
können. Entstanden ist die Programmidee #DigitalUnterwegs, die anknüpfend an
das eigentliche diesjährige Festivalmotto auch den Prozess symbolisiert, in den
sich die gesamte Kulturbranche in diesen Tagen in Rekordzeit hineinbegibt. Den
Anfang machen zwei Liveabende mit Igor Levit, der dem „Heidelberger Frühling“
seit Jahren als Künstlerischer Leiter der festivaleigenen Kammermusik Akademie
und des kammermusikalischen Festivalschwerpunkts „Standpunkte“ aufs engste
verbunden ist. Er wäre in diesen Tagen mit sechs Konzerten und als
Akademie-Leiter in Heidelberg präsent gewesen. Das erste Livestream-Konzert am 26.
März bestritt er mit der Cellistin Julia Hagen. Die 24-jährige Salzburgerin war
im letzten Jahr Stipendiatin der Kammermusik Akademie des Heidelberger Frühling
und wäre in der diesjährigen Festivalausgabe Kammermusikpartnerin von Igor
Levit gewesen. Auf dem Programm standen Brahms‘ Sonate Nr. 1 und Beethovens
Sonate Nr. 3 Am 27. März ab 19.30 Uhr widmet sich Igor Levit einem der größten
und herausforderndsten Solowerke des 21. Jahrhunderts – den 24 Präludien und
Fugen von Dmitri Schostakowitsch, die auch im diesjährigen Festival zu hören
gewesen wären. Der etwa dreistündige Livestream beinhaltet eine kurze Konzertpause,
in der Igor Levit im Gespräch mit Festivalintendant Thorsten Schmidt zu erleben
ist. Für die Liveproduktion dieser beiden Ausnahmekonzerte hat die Hochschule
für Musik Hanns Eisler Berlin ihre Türen geöffnet. Zu sehen sind die
Livestreams (anschließend 24 Stunden abrufbar) auf www.heidelberger-fruehling.de,
auf Facebook (Musikfestival Heidelberger Frühling) und Twitter (hdfruehling).
Das Stuttgarter Ballett tanz weiter trotz Coronavirus – auf den Bildschirmen der Ballettfans. Den Anfang der Reihe Stuttgart Ballet@Home macht Marcia Haydées „Dornröschen“. Bis 31. März, steht der Mitschnitt der Wiederaufnahme vom 18. Dezember 2019 online zur Verfügung, zu finden auf der Website und dem YouTube-Kanal des Stuttgarter Balletts. Zu sehen sind Elisa Badenes als Prinzessin Aurora, Friedemann Vogel als Prinz Desiré, Miriam Kacerova als Fliederfee und Jason Reilly als Carabosse. Unter dem Motto #westayhome haben die Tänzer zudem kurze Videos aufgenommen, die Einblicke in ihren Ballettalltag geben.
Die neue Online-Magazin-Plattform „Digitaler Fundus“ des
Staatstheaters Nürnberg präsentiert unter dem Stichwort „Anwesenheitsnotiz“ ein
spartenübergreifendes Corona-Pausen-Programm. Hier zeigt man all das, was das
Theater und die Oper auch hinter, vor und fern der Bühne zu einem
außergewöhnlichen Ort macht. Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das
Live-Theatererlebnis pausieren muss, bietet das Corona-Pausen-Programm dem
Publikum die Möglichkeit, auch weiterhin am künstlerischen Leben in Nürnberg
und darüber hinaus teilzuhaben – mit unterschiedlichsten Beiträgen der Künstler
aller Sparten des Staatstheaters, ob Oper, Schauspiel, Ballett oder Konzert.
Der Digitale Fundus bietet Einblicke in Proben, Trainingseinheiten und den
Alltag der Sänger, Schauspieler, Tänzer und Musiker in Quarantänezeiten,
präsentiert Lesungen, kleine Konzerte sowie neu interpretierte Ausschnitte aus
Theaterstücken. Eine digitale Fundgrube, die Kulturerlebnisse frei Haus
liefert.
Als erste Inszenierung bei „BE on demand“ geht am 27. März um
18.00 Uhr Michael Thalheimers Inszenierung von Brechts „Der kaukasische
Kreidekreis“ online. Als Teil des digitalen Angebotes „BE at home“ wird ab
diesem Freitag wöchentlich eine Aufzeichnung des Berliner Ensembles als
Online-Stream für eine Woche zur Verfügung stehen.
In Lüttich wird jeden Samstag der Stream einer älteren Produktion
freigeschaltet: 28. März : Verdis „Jérusalem“ von 2016, Speranza Scappucci (Dirigentin),
Stefano Mazzonis di Pralafera (Regie) mit Marc Laho, Elaine Alvarez, Roberto
Scandiuzzi, Ivan Thirion; 4. Avril : Rossinis „Il Barbiere di Siviglia“ von 2015,
Guy Van Waas (D), Stefano Mazzonis di Pralafera (R) mit Jodie Devos, Lionel
Lhote, Gustavo De Gennaro, Enrico Marabelli; 11. April: Verdis „Macbeth“ von 2018,
Paolo Arrivabeni (D), Stefano Mazzonis di Pralafera (R) Leo Nucci, Tatiana
Serjan; 18. April: Verdis „Il Trovatore“ von 2018), Daniel Oren (D), Stefano
Vizioli (R) mit Fabio Sartori, Violeta Urmana, Yolanda Auyanet, Mario Cassi; 25.
April : „Aida“ von 2019, Speranza
Scappucci (D), Stefano Mazzonis di Pralafera (R) mit Elaine Alvarez, Marcello
Giordani, Nino Surguladze, Lionel Lhote
Die Intermission des Pierre Boulez Saals geht ab dem 30. März in die zweite Woche und bietet erneut Videomitschnitte vergangener Konzerte als kostenloses Online-Angebot an. Das Programm beginnt mit der bislang unveröffentlichten Konzertaufzeichnung des Jazz-Pianisten und Komponisten Fred Hersch, der 2019 gemeinsam mit seinem Trio als Teil der Reihe Improvisierte Musik & Jazz im Pierre Boulez Saal zu Gast war. Ab dem 2. April ist der Auftritt von Daniel Barenboim und Martha Argerich aus dem Jahr 2017 verfügbar – ein Konzertabend, an dem sich die beiden Künstler, teils vierhändig, Werken von Franz Liszt, Maurice Ravel und Georges Bizet widmeten. Als Abschluss dieser Woche ist dann das Eröffnungskonzert des Pierre Boulez Saals unter der Leitung von Daniel Barenboim mit dem Boulez Ensemble und Solisten wie Ana Prohaska und Jörg Widmann zu sehen. Auf dem Programm stehen dabei unter anderem Werke von Pierre Boulez, Franz Schubert und Alban Berg. Die Konzerte sind immer ab 18 Uhr und jeweils zwei bis drei Tage verfügbar. Eine Ausnahme sind die Streams der Workshops mit Thomas Hampson und der Vorträge von Jörg Widmann: Sie werden jeweils zwei Wochen lang online sein.
London Symphony Orchestra
Das London Symphony Orchestra überträgt jeweils am Sonntag-
und Donnerstagabend Konzerte in voller Länge. Der Sonntag begann mit
Francois-Xavier Roth und Debussy, Bruckner und Bartók. Am 26. März konnte man John
Eliot Gardiner und die Solistin Isabelle Faust mit Schumann und Mendelssohn
umfasst. Jedes Konzert wird am Tag der Ausstrahlung bis Mitternacht und danach
auf der Streaming-Site Stingray Classica (derzeit mit einer kostenlosen
30-Tage-Testversion) verfügbar sein.
Auch die finnische Nationaloper und das finnische Ballett haben eine Sammlung von Opern- und Ballettaufnahmen, die weltweit zu sehen sind: https://oopperabaletti.fi/en/stage24. Jede Woche werden zwei neue Aufnahmen hinzufügt. Am interessantesten: Am 2. April gibt es Christof Loys „Tosca“-Produktion vom September 2018.
mit #kleinePauseMozart meldet sich die Stiftung Mozarteum
Salzburg täglich um 11 Uhr via Facebook & Website aus dem vielfältigen
Mozartschen Kosmos. Da die beiden Mozart-Museen und Salzburgs schönste
Konzertsäle – der Große Saal und der Wiener Saal – bis auf weiteres geschlossen
sind, trägt die Stiftung Mozarteum ihre Inhalte nun verstärkt digital nach
außen, um mit der Faszination für Mozart für ein wenig Ablenkung in dieser Zeit
zu sorgen. Geplant sind virtuelle Spaziergänge in den Mozart-Museen, Lesungen
aus Briefe der Familie Mozart, Kurzkonzerte aus dem Wohnzimmer u. a. mit dem Salzburger
Geiger Benjamin Schmid und seiner Frau Ariane Haering oder Christoph Sietzen,
Talks mit den Mozart-Experten der Stiftung Mozarteum, sowie auch ein eigenes
Online-Angebot für Kinder- und Jugendliche.
Da sieht man es wieder mal: Mit der Industrie als Kultursponsor ist nicht wirklich Staat zu machen oder langfristig zu rechen. Man leistet sich hier nur die Dinge, wie sie kommen und wie sie als Behübschung ins Portfolio passen. So wie die Autostadt des Volkswagenwerks in Wolfsburg. Die hatte sich seit 2003 als wichtigen Imagefaktor jenseits der Kernzielgruppe das Internationale Tanzfestival Movimentos ausgedacht. Im Zentrum standen bis 2018 Auftritte weltberühmter Tanzkompanien und Choreografen im rund 1000 Zuschauer fassenden KraftWerk, einem glamurös shabby chicen Veranstaltungsraum im ehemaligen Heizkraftwerk Süd des Volkswagenwerks Wolfsburg. Die Tanzproduktionen wurden durch eine Reihe von Konzerten, Lesungen, Gesprächen und Workshops begleitet, die, wie das Kernprogramm, unter einem übergreifenden Leitthema standen. Es gab Uraufführungen, eine Zeitlang sogar einen Preis. Wie bei keinem anderen Tanzfestival in diesem Land versammelten sich hier die großen, international tourenden Gruppen mit ihren Künstlerischen Köpfen, darunter Grupo Corpo, Dance Theatre of Harlem, Compañía Nacional de Danza, Cloud Gate Dance Theatre, Tokyo Ballett, Companiha de Dança Deborah Colker, Aterballetto, Emanuel Gat Dance, Cullbergbaletten, Batsheva Dance Company, Wayne McGregors Random Dance, Béjart Ballet Lausanne, Göteborg Ballet, Compagnie Marie Chouinard, Hofesh Shechter Company, Nederlands Dans Theatre, Sidi Larbi Cherkaouis Eastman, Les Ballets de Monte-Carlo, Akram Khan Company und Russell Maliphant Company.
Niemand hatte so viel Geld, niemand war aber auch so auf Wirkung bedacht. Erfunden hatten das alles die ambitionierte, schöngeistige „Kreativdirektorin“ der Autostadt, Maria Schneider, zusammen mit dem Geschäftsführer Otto Ferdinand Wachs, mit dem sie auch privat zusammen war. Das inzwischen 75-jährige Kulturfunktionär-Urgestein Bernd Kauffmann lieferte die Künstler, die zusammen mit einem Spitzenhotel, schönen, gern auch fleischlosen Bio-Restaurants und nachhaltiger Gastronomie das umweltfreundliche und kulturaffine Image der Autostadt prägten.
Doch bereits 2016 wurden die Mittel für das Festival in Folge der VW-Abgasaffäre um 20 Prozent reduziert. Maria Schneider, die sich längst schon von Wachs wieder getrennt hatte, entschwebte passgenau und frustriert nach 20 VW-Jahren. Ab dann wurde nur noch gewurschtelt. 2018 wurde für das abgeschmolzene Festival letztmals die Bühne im Heizkraftwerk Süd genutzt, da eine Umstellung des Kraftwerks auf Gasfeuerung anstand. 2019 fanden die Tanzveranstaltungen erstmals im neuerrichteten, 1400 Besucher fassenden, multifunktionalen Veranstaltungszentrum „Hafen 1“ zwischen Kraftwerk und Autostadt statt. Außerdem war das Festival im Juli/August und damit später als zuvor angesetzt, es gab kein Nebenprogramm und kein zentrales Thema. Die Auslastung betrug aber immer noch 93 Prozent.
Doch das war der neuen Konzern- wie Autostadtleitung Wurst. Man wollte Movimentos schon länger sterben lassen. Für dieses Jahr war nur noch der Education-Strang mit der Movimentos Academy geplant. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Autostadt waren zudem im Juni fünf letztmalige Auftritte der Companhia de Dança Deborah Colker vorgesehen, keineswegs aber eine Uraufführung wie jetzt behauptet. Sonst nichts mehr. Und trotzdem gibt es jetzt die krokodilstränenreichen Mitteilung „aufgrund der Gesundheitsrisiken durch das Coronavirus fände das Tanzfestival Movimentos in diesem Jahr nicht statt.“ Dabei war es längst beerdigt. Corona taugt jetzt als prima Sargnagel. Und nächstes Jahr wird man sich neu finden müssen und wirtschaftlich bedingt sowieso kein Geld mehr haben. Traurig das für VW. Traurig für den Tanz in Deutschland. Dem so da wichtigste internationale Podium für Großgruppen verlorengeht. Aber wie gesagt: Traue nie der Industrie…
Nachdem diesen Sommer leider die zweite Wiederaufnahme von Yuval Sharons „Lohengrin“-Inszenierung in Bayreuth ausfällt und nun vielleicht mancher im Streaming der Wiener Staatsoper schon ganz zu Anfang der Corona-Krise hierzulande seine Inszenierung von Peter Eötvös‘ Tschechow-Adaption „Drei Schwestern“ nachgeholt hat, hier noch ein Tipp für die jüngste Arbeit des amerikanischen, vorwiegend in Los Angeles lebenden Regisseurs: Dort hat er nämlich nicht nur immer mal wieder mit dem Los Angeles Philharmonic zusammengearbeitet (bei Lou Harrisons „Young Caesar“ und Meredith Monk „Atlas“). Hier hat er auch seine eigene, freie Truppe The Industry, die vor allem an ungewöhnlichen Orten neues Musiktheater ausprobiert. Das Setting hat dabei stets sehr viel mit der Hör- wie Seherfahrung zu tun. Bei „Invisible Cities“ wurde das Publikum 2013 in die Union Bahnstation verfrachtet, wo es Kopfhörer trug, während Gesungenes sich mit den Geräuschen der Passanten überblendete. Bei „Hopscotch” wurde man zwei Jahre später in 24 Autos zu unterschiedlichen Orten gefahren. Yuval Sharons jüngstes Industry-Projekt hieß „Sweet Land“ und kam Ende Februar im Los Angeles State Historic Park heraus. Eigentlich sollte an verschiedenen Plätzen in dem zentralen Park vor der Downtown Silhouette der zerfasernden Stadt Los Angeles drei Wochen lang gespielt werden, aber nach zwei war coronabedingt Schluss. Zum Glück war es noch möglich, das von der amerikanischen Musikkritik bejubelte „Sweet Land“ als Mischung aus dokumentarischen Aufnahmen und einer letzten Vorstellung ohne Publikum aufzuzeichnen, auch um so die besondere Atmosphäre festzuhalten. Manches der durch die Landschaft wandernden Zwischenspiele wurde dabei kondensiert und verkürzt. Jetzt dauern die beiden, eigentlich jeweils nur separat zu sehenden, hier vereinten Teile „Feast“ und „Train“ zwei Stunden und sind auf der Internet-Seite von The Industry via Vimeo zum Preis von knapp 15 Euro abrufbar. So versucht The Industry wenigstens einen kleinen Teil der entgangenen Einnahmen aufzufangen.
Zwei Komponisten (Raven Chacon, Du Yun), Librettisten (Aja Couchois Duncan, Douglas Kearney), Regisseure (Yuval Sharon, Cannupa Hanska Luger) und Dirigenten sind bei „Sweet Land“ mit dabei, das Publikum wurde geteilt, um sich jeweils einen der beiden Teile in einem offenen hölzernen Rundbau anzusehen, Anfang, Mitte und Ende, die in der freien Landschaft spielen, wurden gemeinsam erlebt. Land Art als Theatererfahrung.
Durchaus auch eine Ostererfahrung. Geht es hier nämlich wieder einmal um das uralte, bis heute nicht wirkliche aufgearbeitete US-Trauma der Überwältigung und Unterdrückung der Ureinwohner im von Amerika so oft beschworenen, gar nicht so süßen „sweet land of liberty“. Die sogenannten Pilgerväter werden sehr schnell autoritär und brutal, vergewaltigen Land und Leute, diesmal in Gestalt von Jimmy Gin, der sich an Makwa vergreift. Sie zwingen ihnen ihre Sitten und Religionen, Gebräuche und Lebensweisen auf. Geisterwesen des Naturschamanentums kommentieren das, Anklänge an aktuell dystopische Fernsehserien wie „Westworld“ schwingen mit. Das wird nicht linear, sondern mit vielen überraschenden Wendungen und Brüchen erzählt. Konfusion ist durchaus beabsichtigt.
Szenisch ist das nicht viel anders als viele durch Räume führende, immersive Performance-Aufführungen in Europa, auch die Musik ist ein eher eklektizistischer Mix aus Folk Art, Jazz, Minimal Music, Elektronik und avancierteren Klängen, die doch einen atmosphärischen Soundtrack ergeben, der einen auf Traumpfaden der Töne wie Bilder man somnambul, mal aggressiv wandern und wandeln lässt. Wieder mischt sich das Heute mit dem Gestern, etwa in der Gestalt der Geister beschwörenden Kojoten. Denn nach diesen mythischen Schwindlern sind heute auch die Leute benannt, die illegale Einwanderer über die Grenze schmuggeln. Das „Feast“ beschwört dann eine seltsam verquere allererste Thanksgiving-Party, während sich das mehr diskursive „Train“ in die Moderne des Ostens bewegt, mit einem schrillen Prediger und einem demagogischen Anführer an der Spitze. Und am Ende heult ein einsamer Kojote neben einem trauernden Kind in der Einsamkeit von Bahnbrücken, während leere Vorortzüge durch die Dunkelheit vorüberrauschen, Worte und ein weißer Hirsch als Projektionen über Betonbögen und Werbetafeln in der Ferne laufen.
Und irgendwie fühlt man sich beim Sehen verloren, auch wenn der Eindruck open air in diesem verwunschen Stück Großstadt auf dem Land eines historischen Massakers an der chinesischen Minderheit sicher noch viel stärker war. Was danach hätte spurlos verschwinden sollen, hat jetzt als stückwerkhafte, doch bannende Aufzeichnung Gegenwart, ist bleibend. Immerhin vermittelt das Video einen Eindruck und der lässt sich, Corona hat’s verschuldet, nun auch im fernen Europa zumindest nachempfinden. Durchaus eine österliche, wenn auch multiethnische Buß- und Auferstehungsübung.
Ab Karfreitag ist Omer Meir Wellber am Teatro Massimo di Palermo mit Richard Wagners „Parsifal“ auf Arte Concert europaweit zu sehen, mit Untertiteln auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch und Spanisch. Die Einstandspremiere des neuen Musikdirektors mit Wagners in Teilen in Palermo konzipierten Oper inszenierte Graham Vick. Bei staatsoperlive.com gibt es am 12. April die jüngste Wiener Inszenierung in der Regie von Alvis Hermanis unter Semyon Bychkov
Auf deren Webseite gibt es „La Passione“, die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach in der Bildsprache von Romeo Castellucci und dirigiert von Kent Nagano. Außerdem auch unter demselben Dirigenten den „Parsifal“ von Achim Freyer.
Matthäus -Passion
Im Budapester MüPa wird die dort aufgezeichneten Bach-Passion am 10. April um 19:30 Uhr gesendet. RIAS Kammerchor Berlin und Akademie für Alte Musik Berlin werden von René Jacobs dirigiert. Unter mupa.hu singen Sunhae Im, Benno Schachtner, Julian Prégardien (Evangelist), Johannes Weisser, Anja Petersen, Kristina Hammarström, Minsub Hong, Jonathan de la Paz Zaens. Münchens Bach-Chorleiter Hansjörg Albrecht und der Gasteig präsentieren am 10. April ein einzigartiges Passionserlebnis im Internet. Die „Passions-Bilder“ mit Sopranistin Lydia Teuscher und Schauspieler Stefan Hunstein sind ab 15 Uhr auf der neuen digitalen Plattform „BR KulturBühne“ zu sehen und unter www.br.de/kultur abzurufen. Auf der Bühne stehen neben dem orgelspielenden Hansjörg Albrecht die Sopranistin Lydia Teuscher und der Schauspieler und Künstler Stefan Hunstein. Im Rahmen der „Passions-Bilder“ wird Stefan Hunstein Passagen aus dem Matthäus-Evangelium vortragen und Luthers kraftvolle Übersetzung zum Leben erwecken. An den Stellen, an denen Bach Arien und Choräle einschiebt, werden Musikstücke für Orgel bzw. für Orgel und Gesang erklingen.
Jonannes-Passion
#BACHBEATSCORONA: Mit der Podium-Esslingen-Produktion „Johannespassion für Tenor allein, Cembalo, Orgel und Schlagwerk“ versammelt das Bachfest Leipzig in Kooperation mit Podium Esslingen, dem MDR, Arte u.a. am Karfreitag die Welt in Johann Sebastian Bachs Thomaskirche. Zur Sterbestunde Jesu um 15 Uhr erklingt die kammermusikalische Fassung an Bachs Grab und die globale Community ist zum Mitsingen eingeladen. Die Übertragung erfolgt im Livestream um 15 Uhr auf der Facebook-Seite des Bach-Archivs, auf der Facebook-Seite von Podium Esslingen und auf der Website des MDR sowie um 19 Uhr im MDR Hörfunk, um 24 Uhr im MDR Fernsehen und on demand auf Arte Concert und in der ARD Mediathek.
Der Messias
Unter dem Motto „Der rbb macht’s“ sendet der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) am 11. April einen Mitschnitt von Georg Friedrich Händels „Messias“ mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) und Robin Ticciati als Erstausstrahlung sowohl im Fernsehen als auch im Radio. Zudem stellt er ihn online unter rbbkultur.de und in der ARD-Mediathek als Video-on-Demand zur Verfügung. Das berühmte Oratorium brachten das DSO und sein Chefdirigent im Dezember 2018 in einer außergewöhnlichen szenischen Einrichtung von Frederic Wake-Walker zur Aufführung und verwandelten im Zusammenspiel mit dem Lichtdesigner Ben Zamora und dem Tänzer Ahmed Soura die Berliner Philharmonie in einen musiktheatralischen Schauplatz. Es sangen und agierten Louise Alder, Magdalena Kožená, Tim Mead, Allan Clayton und Florian Boesch sowie der RIAS Kammerchor Berlin.
Mit ihrer Produktion von Richard Strauss’ „Der Rosenkavalier“ aus dem Jahr 2000 lädt die Semperoper Dresden am Osterwochenende erstmals dazu ein, hochkarätiges Musiktheater aus ihrem Haus online wieder zu erleben. Regisseur Uwe Erik Laufenberg inszenierte die 1911 in Dresden uraufgeführte Oper als moderne Hommage an den in der Semperoper hochverehrten Komponisten, in der Anne Schwanewilms als Feldmarschallin unter der Musikalischen Leitung von Fabio Luisi zu erleben ist. Bis 13. April, steht die Aufzeichnung aus der NHK Hall, Tokyo aus dem Jahr 2007 auf semperoper.de unter „Semperoper zuhause“ zur Verfügung.
Zusätzlich zu den aktuellen Streams von „The Bassarids“ (noch bis 14. April) und „Frühlingsstürme“ (noch bis 24. Juli) gibt es weitere existierende Premieren-Streams erneut kostenfrei auf deren Website, jeweils ab 19 Uhr und jeweils für vorerst drei Monate. Den Anfang macht seit 8. April – anlässlich der entfallenden Wiederaufnahme auf der Bühne – „Pelléas et Mélisande“. Die Inszenierung von Barrie Kosky besticht durch ihren Minimalismus, in der die spannungsreiche Psychologie des Werkes durch eine ausgefeilte Personenregie zu einem musikalischen Kammerspiel wird. Ab 18. April folgt – ebenfalls zum Termin der Wiederaufnahme – der Puccini-Klassiker „La Bohème“ in der Regie von Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky, am 28. April folgt seine gefeierte Lesart von Tschaikowskis „Eugen Onegin“ mit Asmik Grigorian als Tatjana.
Ab 10. April 19:30 Uhr gibt es im hauseigenen Youtube-Kanal Mozarts „La clemenza di Tito“ mit Denis Podalydès (Regie), Jérémie Rhorer (Dirigent), Le Cercle de l’Harmonie und Kurt Streit Titus, Karina Gauvin, Kate Lindsey, Julie Fuchs, Boulianne Annius, Gleadow Publius. Am 17. April folgt Mozarts „Mitridate“ mit Clément Hervieu-Léger (Regie), Emmanuelle Haïm (Dirigentin) Le Concert d’Astrée und Michael Spyres Mithridate, Patricia Petibon, Myrtò Papatanasiu, Christophe Dumaux, Sabine Devieilhe, Cyrille Dubois, Jaël Azzaretti Arbate
Am 12. April um 22 Uhr gibt es Beethovens 9. Sinfonie mit dem Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti und den Solisten Camilla Nylund, Ekaterina Gubanova, Mathhew Polenzani, Eric Owen.
Ab 10. April gibt es auf der eigenen Webseite für 48 Stunden Brahms‘ ebenfalls am Karfreitag 11886 uraufgeführtes Deutsches Requiem zu sehen und zu hören. Paavo Järvi dirigiert die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und den Lettischen Staatschor. Es singen Valentina Farcas und Matthias Goerne.
Daniel Barenboim spielt ab 10. April im Boulez Saal. Der Pierre Boulez Saal stellt im Zuge der digitalen Konzertreihe „Intermission“ seit Wochen Konzerte, Lectures und Workshops zur Verfügung. Nun wird Daniel Barenboim eine Reihe von Konzerten spielen. Sie finden jeweils um 19 Uhr am 10., 13., 17., 19. (16 Uhr) und 24. April (19 Uhr CET) statt. Alle Recitals werden in Zusammenarbeit mit Deutsche Grammophon, medici.tv und Mezzo gestreamt. Den Beginn macht eine Aufführung der Diabelli-Variationen. Zusammen mit Michael Barenboim Mozart-Violinsonaten
Am 12. April überträgt das Konzerthaus Berlin um 12 Uhr einen Livestream in Zusammenarbeit mit arte concert: Organist Cameron Carpenter, Artist in Residence 2017/18 am Konzerthaus, baut seine International Touring Organ im leeren Großen Saal auf und spielt in dieser ganz besonderen Atmosphäre im Livestream bei arte concert sowie auf der Konzerthaus-Website ein Programm unter dem Motto „Around the World“.
Harmonia mundi und alle Künstler des Labels haben sich dafür eingesetzt, ihre schönsten Konzertvideos der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und zwar kostenlos auf der ganzen Welt. Bis zum 9. Mai gibt es 19 Konzerte, darunter mehrere exklusive Videos, damit die Musik weiterlebt, wo immer wir auch sind. Zahlreiche Recitals und Instrumentalkonzerte, unter anderen Nikolai Lugansky mit Beethoven und César Franck; Isabelle Faust, Alexander Melnikov und Jean-Guihen Queyras mit den Schumann-Konzerten; die Akademie für Alte Musik mit Sinfonien von C.P.E. Bach. Aber auch Opern und Vokalmusik, darunter Monteverdis „L’Orfeo“ mit Les Arts Florissants und Paul Agnew; Rameaus „Dardanus“ gespielt vom Ensemble Pygmalion unter Raphaël Pichon; „Le Ballet Royal de la Nuit“ mit dem Ensemble Correspondances geleitet von Sébastien Daucé; Händels „Il trionfo del tempo e del disinganno” mit dem Freiburger Barockorchester unter der Leitung von René Jacobs.
Hier heißt es immer Freitags und Montags um 20:30 Uhr immer Home Music Berlin mit Concerts in Quarantine. Jan Schmidt-Garre lädt ein. Am 10. April gibt es Dietrich Henschel Arno Waschk mit Liedern von Beethoven, Liszt und Wolf. Am 13. April spielt die Pianistin Zlata Chochieva Mendelssohn, Chopin, Liszt, Rachmaninow und Medtner.
Die Frankfurter feiern nicht nur 40. Geburtstag das Ensemble Modern, sie starten auch eine neue digitale Live-Konzertreihe mit ein bis zwei Musiker aus dem Dachsaal ihres Domizils im Ostend gestreamt – jeweils Donnerstags und Montags 20.30 Uhr auf der Website und den Social-Media-Kanälen des Ensemble Modern live und auch als Video-on-demand. Die Programme mit Solo- und Duowerken stellen die Mitglieder des Ensemble Modern nach eigenen künstlerischen Vorstellungen zusammen.
Die neue Online-Serie Carnegie Hall connected startet als „Live with Carnegie Hall“ am 14. April mit einer Episode Live-Performance, Geschichtenerzählen und Konversation mit dem Bühnen- und Filmstar Tituss Burgess. Es folgen Originalprogramme der Carnegie Hall, kuratiert von Emanuel Ax, Joshua Bell, Michael Feinstein, Renée Fleming, Angélique Kidjo, Ute Lemper und Yannick Nézet-Séguin.
Das Klavier-Festival Ruhr beflügelt digital: Ab 10. April überbrückt es die bevorstehende konzertlose Zeit mit Video- und Tonaufnahmen von Konzerten der vergangenen Jahre. „Wir wollen unser Publikum während der Pandemie nicht alleine lassen“, erklärt Intendant Franz Xaver Ohnesorg hierzu in einer Videobotschaft. „Hervorragende Aufnahmen aus der CD-Reihe ‚Edition Klavier-Festival Ruhr‘ und DVD-Aufzeichnungen unserer Konzerte sollen dazu beitragen, diese nicht ganz einfache Zeit zu überstehen. Die Musik soll aufbauen, ermuntern und zuversichtlich machen.“ Das „Digitale Klavier-Festival Ruhr“ startet unter der Adresse www.klavierfestival.de/musik-fuer-zuhause mit einer Video-Aufnahme der beiden Klavierkonzerte von Franz Liszt in einer schon heute als historisch geltenden TV-Aufzeichnung mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Pierre Boulez.
Ab 10. April gibt es für 7 Tage als video-on-Demand den dreiteilige Abend „Portrait Wayne McGregor“ auf der Internetseite des Bayerischen Staastballett zu sehen. Die drei Werke „Kairos“, „Sunyata“ (als Uraufführung) und „Borderlands“ changieren zwischen dynamisch-kraftvoll und philosophisch, zart und anmutig.
John Neumeier-Ballette werden als als Video-on-Demand online für 48 Stunden gezeigt. Noch bis zum 11. April gibt es die Matthäus-Passion, bei der John Neumeier ein letztes Mal den Jesus interpretierte. Außerdem gibt es „Kameliendame“ (16. April), „Tod in Venedig“ (23.April.), das „Beethoven-Projekt“ (30. April) und „Illusionen – wie Schwanensee“ (7. Mai) zu sehen. Neun Tage später wird die jeweilige Produktion ein zweites Mal für 48 Stunden verfügbar gemacht.
Für das Osterwochenende hält StuttgartBallet@Home ein besonderes Highlight bereit: die spektakuläre Neuproduktion von Kenneth MacMillans „Mayerling“ in der hinreißenden Ausstattung von Jürgen Rose. Für rund 24 Stunden wird das spannungsgeladene Handlungsballett ab dem 11. April um 18 Uhr on Demand verfügbar sein. Es tanzen Elisa Badenes und Friedemann Vogel, dessen brandneues SWR-Portrait ebenfalls in der ARD-Mediathek verfügbar ist.
Sasha Waltz & Guests
Statt einer Werkschau in der Berliner Volksbühne gibt es zwei Aufzeichnungen älterer Erfolgstücke bei Arte: „noBody“ (2002) und „Allee der Kosmonauten“ (1996).
Stream der Woche: „Die Blechtrommel“ mit englischen Untertiteln und Publikumsgespräch ab 10. April 18 Uhr. Oliver Reese erzählt die Geschichte des ewigen Trommlers Oskar Matzerath in einer ganz auf die Perspektive der Hauptfigur zugeschnitten Fassung – ein Soloabend mit Nico Holonics. Die Aufzeichnung wurde am 12. März gemacht, am letzten Abend, an dem im Berliner Ensemble vor der Krise gespielt werden konnte. Ergänzend zum Stream wird es am 15. April um 21 Uhr ein digitales Publikumsgespräch mit Oliver Reese und Nico Holonics geben, bei dem die Zuschauer über einen Chat direkt Fragen stellen können.
Was muss das für ein Wirbelwind gewesen sein, Anfang der Sechzigerjahre, als sie den Grünen Hügel im Sturmschritt nahm, wie heute eine Mischung aus Madonna und Heike Makatsch. Ein wildes Ding, aus der jene „Kindertrompete“ schallte, die Wieland Wagner belustigte, dann verzaubterte: Anja Silja, Wagner-Girlie von Bayreuth, die dem dortigen Herren Wunschmaid wurde. Mehr als 30 Jahre später noch spürte man Jugendlichkeit, jungmädelsatte Provokation, wenn sie als zum ewigen Leben verdammte Sängerin Emilia Marty in Janacéks „Die Sache Makropoulos“ in Leder gehüllt die Bühne von Glyndebourne betritt. Die Endfünfzigerin, alterslos, aufrecht, vokal erstaunlich frisch. Heute wird sie 80 Jahre alt. Die Stimme der Silja war nie besonders schön, aber besonders immer. „Dabei wollte ich als Sängerin nicht alt werden“, kommentierte die Silja der Zweitausender trocken ihre bin in die hohen Siebziger zahlreichen Auftritte, „und nun steuere ich darauf los. Als Emilia Marty wollte sie 2001 mit dem Singen aufhören. Womit soll ich diese späte Lebensrolle noch krönen? Es ist eine Rolle, keine Edelcharge. Dauernd will man jetzt von mir die Kabanicha in ,Katja Kabanova‘ oder die Gräfin in ,Pique Dame‘. Aber ich bin doch nicht bekloppt!“, tönte es damals berlinerisch. Auch nicht die „Pique Dame“? „Na ja, mit 70? Die ist keine Nebenrolle, die ist Institution.“
Und natürlich hat sie dann doch beide gesungen, wie nochmals „Erwartung“ unter Robert Wilson, die Mutter in Jancaks „Osud“ als Rückkehr an die Wiener Staatsoper, leider von der Regie total allein gelassen die Old Lady in Bernsteins „Candide“. Sie war ganz wunderbar unter ihrem späten Lieblingsregisseur Nikolaus Lehnhoff als alte Priorin in dessen Hamburger Inszenierung von Poulencs „Dialoge der Karmeliterinnen“. Und brillierte in London als Hexe in „Hänsel und Gretel“. In Frankfurt gab sie, einst eine Mödl-Glanzrolle, die Mumie in Reimanns „Gespenstersonate“ und die böse Großmutter in Prokofiews „Der Spieler“ unter Harry Kupfer. Eine solche spielte sie auch bei ihrer letzten Uraufführung 2014 in Bregenz in HK Grubers „Geschichten aus dem Wiener Wald“. 2017 war sie die Sprecherin in Schönbergs Gurre-Liedern unter Nagano in Hamburg. 2018 kehrte sie sogar nach Bayreuth zurück, allerdings nur als rezitierende Markgräfin Wilhelmine zur Wiedereröffnung von deren renoviertem Barockopernhaus am Fuß des Hügels.
Silja, Extreme. Geboren als Anna Silja Regina Langwagen am 17. April 1940 in Berlin. Die nie eine Schule besucht hat, die deshalb mit ihrem heißgeliebten Großvater, der sich ganz der Erziehung dieses traumsicher auf seinem Seil ohne Netz tanzenden Zirkuskindes widmete, dauernd umziehen musste, auf der Flucht vor den Behörden. Die als Zehnjährige ihr erstes Konzert im Titania-Palast gab und mit 15 erste Liederabende. Die 1956 als Rosina im „Barbier von Sevilla“ in Braunschweig debütierte und 1958 an die Württembergische Staatsoper engagiert wurde. 1959 sang sie in Aix-en-Provence die Königin der Nacht. Es war eine Sensation, als Wagner und Sawallisch sie 1960 in Bayreuth als 20-jährige Senta im „Fliegenden Holländer“ besetzten.
Was folgte, begeisterte die Welt und entfachte einen Sturm auf dem Grünen Hügel. Der Chef verliebte sich in seinen Star. Man war entrüstet, denn die Neue pustete den Moral-Muff aus der fränkischen Nierentisch-Ära. Standen vorher Heroinen auf der Bühne, Astrid Varnay, Martha Mödl, Birgit Nilsson, singendes Urgestein, so war Sieglinde, Eva, Elsa, Elisabeth plötzlich eine moderne, impulsiv handelnde Frau geworden. Eine Halbstarke, wie es damals hieß. Patriarchin Winifred war böser: „Die Hure vom Kurfürstendamm“, schnaubte sie nur.
„Das ist das Wahnwitzige an Wagner“, sinniert viel später eine heute denkende, damals agierende Silja. „Seine Frauen denken nicht, die handeln. Deshalb kann man die nur bis 40 singen. Denn dann denkt man – spätestens. Doch welche junge Sängerin hat die Stimme, um über dieses Orchester zu dringen? Deshalb war ich immer eine Wagner-Heroine, wie er sie haben wollte, aber gegen die Singkonvention. Wenn ich länger Brünnhilde gesungen hätte, würde ich längst nicht mehr auf der Bühne stehen. So brannte ich. Bis es vorbei war.“
Ein Leben im Rausch. „Ich kann mich an nichts mehr erinnern, ich war wie unter einer Glasglocke, Wielands Geschöpf“, erinnert sich die Silja. Der Regisseur und sein Medium, durch das er spielte, sang, war, sie waren unlösbar verbunden. Eine Einheit, künstlerisch wie menschlich. Eine Premiere jagte die andere, rastlos, gehetzt. Kunstwild auf den Bühnen der Welt. Im Hintergrund intrigierten Bruder Wolfgang, Mutter Winifred. Vor allem aber die sitzengelassene Ehefrau Gertrud verschärfte den Druck.
Ein Rausch von sieben Jahren. 1967 starb Wieland, die Silja war plötzlich alleingelassen vom Mentor, Vater, Liebhaber. „Es lief bei Wieland auf das Ende zu, es war ein Rennen, auch für mich. Dass ich es überlebt habe, war ein Wunder, es liegt an dem Glauben, den ich in ihn und er in mich hatte.“ Nach Wielands Tod war ein anderer da. André Cluytens, der belgische Wagner-Dirigent. Ebenfalls älter, auch verheiratet, sterblich in sie verliebt. Sie suchte Schutz bei ihm – und fand hier einen Rest von Wieland. Er wollte alles aufgeben, nur für sie da sein. Bald. Ein Dreivierteljahr später war auch er tot.
Manche andere wäre am Ende gewesen, „aber es ging weiter, irgendwie“. 26 Jahre ist Anja Silja alt, und sie hat ein Leben gelebt wie andere nicht in der doppelten Zeitspanne. „Die Verträge, die zu erfüllen waren, trieben mich. Sie erinnerten mich an Wieland, auch an das, was alles nicht mehr kommen sollte, Traviata, Mélisande, Donna Elvira, sie waren mein Halt meine Erinnerungsstütze.“
Schutz, auch vor sich selbst, Geborgenheit, Liebe wohl, bietet Christoph von Dohnányi. Wieder ein Dirigent. „Ich traf ja nur Theaterleute“, entschuldigt sich die Silja. Drei Kinder kommen, Dohnányi wird Opernchef, in Frankfurt und Hamburg. Anja Silja folgt, ist Mutter, tritt zurück, die Karriere köchelt auf kleiner Flamme. Weniges, aber Spektakuläres zwischen Berlioz‘ Cassandre, Lehárs Hanna Glawari und Bergs Lulu, und immer sind es radikale Frauen. So wie sie sich vorher Cherubinis Medea, Turandot, Lady Macbeth, und immer wieder Salome erobert hatte.
Als von Dohnányi Chefdirigent in Cleveland wird, verschärfen sich die Probleme. „Mein Großvater hat das Urtümliche an mir gelassen. Hat auf meine Persönlichkeit aufgebaut, nicht sie manipuliert. So wie auch Wieland und André. Das war nicht die Stärke von Christoph, der wollte rausholen, was er brauchte. Ich aber habe keine Aufführung erlebt ohne Wieland neben mir. Christoph hat das nie verwunden. Cluytens war dazu willens, im Gedenken an Wieland mit mir zu leben. Er war ein Teil von Wieland für mich.“ In Ohio aber ist die nächste Oper weit weg, ihr Mann rät, mit einer Freundin in Cleveland eine Boutique zu eröffnen.
Nikolaus Lehnhoff eröffnet Anja Silja in Glyndebourne den Weg in die dritte Phase ihre Karriere. Sie singt Emilia Marty und die Küsterin, die Amme in der „Frau ohne Schatten“, die Herodias und Klytämnestra. Und endlich wieder Wagner, die Ortrud im „Lohengrin“, die sie noch nie probiert hat. Und trifft in Robert Wilson, „den einzigen Regisseur, der an Wieland heranreicht, der mit seinem Gestenrepertoire etwas will, der sich nicht nur reproduziert, der auf jeden Sänger hin eine Rolle formt“.
1999 hat Anja Silja, die Spontane, wenig Nachdenkende, Gefühlsfrau, das Medium großer alter Männer, ihre Memoiren geschrieben („Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren“). Es ist ein intelligentes, erhellendes, stellenweise poetisches, absolut persönliches und doch niemals voyeuristische Buch. Reflektierend wie kaum eine Sängergeschichte, ehrlich, knapp, sehr nachdenklich.
Lange nach der Scheidung von Dohnanyi lebte Anja Silja ruhelos, kurz auch mal wieder in Berlin, heute in der Nähe von Hamburg. Die Kinder sind erwachsen, sieben Enkel sind da, ihre Haare sind nicht mehr rot, sondern grau, die Lippen dezent geschminkt. Eine schöne, würdevoll alternde Frau, ruhig und damenhaft, aber nicht nur von weitem eine Ahnung von Hojotoho-Bocksprüngen und Walküren-Vorwärtsstürmen vermittelnd. Sie sitzt da „allein mit Erinnerungen, aber glücklich. Das, was man finden kann, als Mensch, im Leben, habe ich gefunden, unglücklicherweise nur für kurze Zeit. Das kann man nicht mehr überbieten, da brauche ich nicht mehr suchen. Ich glaube immer noch, mit jeder Reise fahre ich zu Wieland, der schon seit 54 Jahren nicht mehr lebt. Er ist da, er ist immer ein Teil von mir.“
Nein, nicht wirklich mein Cup of Singer’s Coffee, diese seltsame, globale Met At-Home Gala #theVoicemustbeheard aus den Wohnzimmern der Stars, die man jetzt, falls wirklich authentisch, endlich mal zu sehen bekam. „A fan‘s dream comes true“, so der blutleer wie Nosferatu aus dem dunklen Upper-East-Side-Salon vor seiner Bücherwand seine Moderation ablesende Peter Gelb, der sein mit legendär stundenlangen All-Star-Arienmarathons in den schrillsten Roben bewährtes Haus nun in den Spendenwettlauf schickte. 60 Millionen Dollar Corona-Verluste müssen ausgeglichen werden. Aber er und sein blondierter Musikdirektor Yannick Nézet Séguin, aus der Montréal-Quarantäne zugeschaltet vor Regalen mit Porzellan-Kitsch, Orchideen oder brennenden Kerzen, wahlweise und multifuntional schon vorher aufgenommen in blauer Seide, im Brombeer-Pulli, weißem T-Shirt, schwarzem Hoody oder grauem Sweater, sie verloren kein Wort darüber, dass Orchester und Chor schon längst entlassen sind, und das keiner der auch jetzt wieder für umsonst antretenden Sänger einen Cent Gagenausfälle bekommt. Die entsprechenden Absagebriefe hatte übrigens eine Assistentin verschickt.
Vier Stunden dauerte das weltumspannende, bis nach Georgien und Südpolen switchende Semi-Life-Konzert mit acht Servern durch 8 Zeitzonen aus 29 Städten über 40 Sänger als doch eher öder, in ölig amerikanischem Plastik-Mitleidssentiment sich dahinziehender Arienparcours. Viel Zeit also, sich über Sinn und Zweck des meist in mediokrer metallisch scheppernder Klangqualität sich dahinschleppenden Stückwerks Gedanken zu machen.
Vorheraufgenommen waren natürlich die Instrumentalparts von Met-Orchester und Chor, die mit Mascagni, Wagner und Verdi mit bis zu 97 Mitwirkenden auf dem vielfach geteilten Bildschirm nicht nur technisch beeindruckten. Wirklich rührend das Audiogedenken der Viola-Sektion, die ihrem an Corona gestorbenen Mitbratscher Vincent Lionti mit Händels „Ombra mai fu“ samt einer viel zu nah gefilmten Joyce DiDonato letzten Tribut zollten.
Der Vokalistenreigen begann bei Stockholm, wo bei erstaunlich schlechtem Empfang Peter Mattei das „Don Giovanni“-Ständchen zur Akkordeonbegleitung eines Nachbarn zum Besten gab, und endete mit einer ungebührlich bejodelten Anna Netrebko und pathetischem Rachmaninow aus dem Wiener ORF-Studio, In unfairem Wettbewerb hatte sie sich (wie der plärrende Tenorgatte) in bester Ton- und Bildqualität vorab aufzeichnen lassen.
Den low-tech-Reigen meisterten optisch wie klanglich am besten ausgerechnet zwei weniger bekannte Koloratursoprane, Erin Morley, die sich selbst als Regimentstochter begleitete, und Lisette Oropesa mit einer Meyerbeer-Arie wie aus einem Schöner-Wohnen-Report gut ausgeleuchtet und perfekt vor einem Schaukelstuhl arrangiert mit dem zuspielenden Pianisten auf der Wandvideoscreen. Clever und gut auch der sich selbst akompagnierende Günther Groissböck aus dem Tessin mit dem sehr passenden Morosus-Monolog vor einem lustigen Arrangement aus Met-Papiermodell, Scala-Plakaten und Hörl-Wagnerplastik mit Mundschutz.
Üblich überperfekt, als sogar Tränen vergießende und trotzdem nicht rührende People’s Diva im weiß ladylike geleckten Virginia-Wohnsitz mit Terrassenausblick: Renée Fleming, die wirklich kein Desdemona-„Ave Maria“ in ein so schlechtes Mikrophon mehr singen sollte. Viel zu lippenrot geschminkt die grimmige Carmen von Elina Garanca vor der lettischen Eichenschrankwand.
Nett Ambrogio Maestri im gelben Hemdzelt mit Marco Armigliato am Klavier in Lugano und unpassendem Chenier-Ausschnitt neben der Yucca-Palme; overactet das „Lustige Musikanten sind wir“-„Liebestrank“-Duett mit Roberto Alaga und Aleksandra Kurzak aus Paris; in ähnlichem Schwarzweiß-Interieur entledigte sich aus Dresden René Pape samt werbewirksam platzierter, personalisierter Quietscheente routiniert seines Sarastros.
Anita Rachvelishvili schmetterte Dalila zum wackligen Sound eines georgischen Pianos auf dem „No autographs, please“ zu lesen war. Michael Fabiano platzierte seinen Florida-Lenski vor einem Joan-Miró-Bild. Ein verstrubbelter Jonas Kaufmann in Jeans mit Helmut Deutsch in einem aseptischen Münchner Salon mit ausgemusterten Bayerische-Staatsoper-Stühlen klirrte eine übersteuerte „La Juive“-Arie. Michael Volle gab aus dem Kleinmachnower Dachgeschoss vor einem Fra-Angelico-Druck den „Abendstern“ zum Besten. Matthew Polenzanzi schlug das Pianino vor weißer Wohnzimmertäfelung gekonnt zu „Danny Boy“.
Bryn Terfel samt in die Harfe greifender Gattin hatte vor walisisch dunkeler Holzwand mit „If I can help somebody“ der schwarzen Komponistin Alma Irene Bazel Androzzo einen so passenden wie ungewöhnlichen Song gewählt. Seltsam die Abendkleiddarbietungen von Jamie Barton mit viel zu üppigem Verdi vor ihren Harry-Potter-Bänden und der aufgedonnerten Sonya Yoncheva mit Dvorak vor dem Kamin. Gewöhnungsbedürftig auch die übersteuerte Angel Blue aus ihrem Keller in New Jersey vor einem Foto der alten Met in Rosa und Glitzer mit „Depuis le jour“.
Ildar Abdrazakov dröhnte in Moskau vor weißer Glitztapete Rachmaninows „Frühlingsfluten“. Joseph Calleja bat vor einem maltesischen Aquarium: „Lève-toi, soleil“. Golda Schultz bot vor einem Kofferkisten-Couchtisch „La Rondine“, während Anthony Roth Costanzo mit seinem Händel wie aus der Konservendose klang; immerhin wuchs bei ihm das Grünzeug dekorativ aus der Wand, und auf dem unbenutzten Klavier ließ sich eine Art abgeschlagener Jochanaan-Kopf ausmachen.
Erinnerungswert war die Komposition von Piotr Beczalas Cavaradossi nebst Mageriten-Bouquet aus dem südpolnisch-rustikalen Ferienhaus und das übermotorisch mozärtliche Damrau/Testé-Duett aus der provencalischen Küche nebst Kindergarnierung. Auch Lawrence Brownlees kraftstrotzender Bellini vor E-Gitarre kam gut, während sich Javier Camarena mit „Il pirata“ zu später Stunde vor den helvetischen Nachbarn zurückhalten musste und fast vor der Cabaletta ausgeblendet worden wäre.
Eher hintergründig skurril auch die kurz aufeinander folgenden Auftritte des wiederverheirateten Ex-Ehepaares Aylin Pérez (im Leopardentop) mit Verdi und Hunkbass Soloman Howard vor der selbstreferentiellen Rollenfotogalerie sowie dem unrasiert alt aussehenden Steven Costello mit penetrant Gounod geigender Gattin vor Münchner Eigenplakat in New York. Mit „Thais“ im Pariser Esszimmer-Ambiente begleiteten sich auch die Eheleute Nicole Car und Étienne Dupuis selbst.
Das Resümee: Es reicht jetzt mit Wohnzimmer-Streams. Auch wenn die von Lady Gaga im geschmacklosen Geräteschuppen mit Orientteppich über Buntfliesen angeführte Pop-Fraktion mit einem ähnlichen All-World-Concert nicht wirklich punkten konnte: Wir wollen nur noch echt, edel ausgesteuert oder gar nicht!