Immerhin 121 Jahre alt ist das kulturelle Flaggschiff Pittsburghs, das Symphony Orchestra. Es residiert in der marmoverblendeten Heinz Hall, früher ein altes Premierenkino, die die Ketchup-Familie 1970 gestiftet hat. Hier endlich versteht man, warum Theatersessel samtrot sind: 2600-mal farbige Corporate Identity. Ein rauschhaft festlicher Rahmen für eines der besten Orchester des Landes, das es seltsamerweise nie unter die ominösen „Top Five“ geschafft hat, die längst schon nur noch eine fromme Lüge sind. Ob die provinzielle Lage daran schuld war? Und doch zog es nach dem Gründungsdirektor Victor Herbert Namen wie Otto Klemperer, Fritz Reiner, William Steinberg, André Previn als Chefdirigenten hierher. Fast alle strenge Orchestererzieher, die ihren Klangkörper mit gusseiserner Hand auf Präzision trimmten. Ein schnittiges Hochleistungsinstrument entstand so, das auf dem Siedepunkt ebenso rot glühte wie früher mal der Stahl, und dem von 1988 bis 1996 Lorin Maazel den letzten Schliff verpasste.
Anders als dem leblosen Metall fehlte der frisch gestählten musizierenden Hundertschaft nicht selten die Seele. Die haben sie implantiert bekommen – von einem der besten, liebevollsten Orchesterpädagogen: Mariss Jansons, der hier von 1996 bis 2004 amtierte. Und die seit 2008 bis mindestens 2020 in seinem Geiste von Manfred Honeck weitergepflegt und optimiert wird. Wie die jüngsten CD-Veröffentlichungen auf dem eigenen Label beweisen.
Nach dem Tod Nikolaus Harnoncourts – und neben Franz Welser-Möst – ist der 57-jährige Vorarlberger Honeck zum heute wichtigsten österreichischen Dirigenten herangereift. Nicht nur ist er der bevorzugte Musikpartner von Anne-Sophie Mutter, auch für den Chefposten beim New York Philharmonic war er im Gespräch. Doch er ist in Pittsburgh glücklich. Hier ist es klein, intensiv und innovativ. Was er auf gegenwärtigen Europatournee mit dem PSO beweist. Heute gastiert man in Bregenz, es folgen (bis 4. Juni) noch Basel, Brüssel, Stuttgart und zweimal München. Als Solisten wechseln sich der Geiger Leonidas Kavakos, Klaviergenie Daniil Trifonov und Perkussionsirrwirsch Martin Grubinger ab.
In Pennsylvania ist einiges im Werden. Honeck, ein spätberufener Dirigent, der lange bei den Wiener Philharmonikern Viola spielte, und jetzt, als Mittfünfziger, auf dieser bedeutenden Position hörbar gewachsen ist und souveräner wurde. Im Umgang mit der Musik wie mit dem Publikum, das beweisen die in machen Konzerten eingesetzten Vorab-Videos. Zu später machtvoll tönenden, nie dröhnenden 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch gibt es in Heinz Hall zunächst eine so knappe wie kluge Einführung von Honeck, dann folgt der Gastkünstler, der flamboyante Organist Cameron Carpenter, der später den Saal auf der eigenen Touring Orgel mit seiner Bearbeitung von Rachmaninows Paganini-Variationen plus zugegebenem „Stars and Strips“-Marsch schon sehr animiert. Ein verheiratetes Musikerpaar gibt selbstgeschriebene Tipps über die Gemeinsamkeiten zwischen einer Schostakowitsch-Sinfonie und der Ehe, und die zweite Flötistin, spielt ihrer Lieblingsstelle um gleich noch das Rezept für ihren nach getanem Dienst genossenen Blue Russian-Cocktail zu verraten.
Edutainment der besten Sorte, so wie auch die innovativen Konzertformate, die der sich als Marke selbst erfunden habende junge Dirigent Steve Hackman auf Clubabenden nach den Konzerten oder mit seinen Rockmusik-Adaptionen unter dem „Fuse“-Label einbringt. Mit solchen und anderen Aktivitäten versucht auch etwa der neue, deutsche Finanzmanager Christian Schörnisch das Orchester bei den gerade in die Stadt ziehenden Abteilungen von Google oder Facebook attraktiv zu machen. Und klar, auf der Europatour ist auch eine Wirtschaftsdelegation mit.
Ich habe mit Manfred Honeck gesprochen:
Was haben Sie als erstes gelernt, als sie die Seiten gewechselt haben, plötzlich vor einem Orchester gestanden sind?
Man darf sich nicht verstellen. Ich war ja selbst Musiker und weiß, wie schlecht es ankommt, wenn jemand aus Angst oder Arroganz versucht, jemand anders zu sein. Wie soll man so eine Interpretation entwickeln? Ich habe ja schon genug damit zu tun, das was ich für diese Musik empfinde, wie sie zu mir spricht, weiterzugeben. Wenn ich mich dabei selbst noch verstellen müsste, dann klänge es ganz bestimmt falsch. Ich bin authentisch. Und wenn es jemand nicht mag, oder nicht aufregend genug findet, dann ist es eben so.
Sie sind inzwischen einer der bedeutendsten österreichischen Dirigenten. Ein Label?
Noch nicht mal das. Ich kümmere mich nicht so sehr um solche Dinge. Ich glaube, ich war und bin ich selbst. Alles andere wächst und passiert.
Auch ein Vorarlberger in Pittsburgh?
Klar. Natürlich war das eine bewusste Entscheidung. Ich wollte mich nach Jahren in Stockholm dieser mir so fremden Kulturwelt aussetzen. Aber natürlich habe ich mich lange davor mit Mariss Jansons unterhalten, der mir ganz enthusiastisch gesagt hat, was für ein guter Platz Pittsburgh sei.
Und war das so?
Unbedingt. Ich bin heute, nach acht Jahren, immer noch überrascht vom Enthusiasmus der mir hier entgegenschlägt, von der Begeisterung, die aber sehr schnell auch amerikanisch pragmatisch und konkret wird. Hier wird nicht nur geredet, hier folgen Taten. Man muss aber auch etwas dafür leisten. Das aber vermag dieses fantastisch vielseitige Orchester, das Pops und Klassik, seit langem schon die Fiddlesticks-Familienkonzerte spielt, das immer wieder neue Formate ausprobiert und sehr offen ist, unbedingt.
Was zeichnet dieses Orchester aus?
Es ist ein American-Euopean Blend. Pennsylvania ist ja ein durch Einwanderer geprägter Staat, auch in Pittsburgh gab es einst viele Deutsche. Man merkt das noch. Die Streicher haben ein europäisches Flair, das Blech kommt natürlich aus der US-Brasstradition, spielt aber weicher. Und das macht eine schöne Mischung aus alter und neuer Welt aus, die immer noch sehr besonders ist. Das habe ich gemerkt, weil ich inzwischen fast alle wichtigen amerikanischen Orchester kenne. Ich versuche, ihnen mehr Flexibilität beizubringen.
Warum gehen Sie auf Tour? Ist das nicht heute finanzieller und Security-Wahnsinn?
Natürlich, aber es ist wichtig. Weil das Orchester den Austausch braucht, auf so einer langen Strecke, mit den immer gleichen Programmen in dauernd neuen Hallen, da wächst man zusammen. Man erfährt hoffentlich guten Wiederhall und wir bringen wahrscheinlich wieder die Kunde in die Stadt mit, dass das Orchester, dieses traditionsreiche Institution mitten in der Altstadt, eben immer noch in Europa berühmter ist als die Sportteams, die Football Mannschaft Pittsburgh Steelers, das Baseballteam Pittsburgh Pirates und die Eishockey-Jungs, die Pittsburgh Penguins. Und das ist gut.
Hat Amerika Sie verändert?
Ich mir selbst sicherer geworden. Deshalb kann ich offener sein. Ich habe stärker gelernt, mich zu artikulieren. Und es macht mir großen Spaß, das Publikum anzusprechen, Cameron Carpenter auf seiner Orgel ein Geburtstagsständchen zu spielen oder mit dem Hollywood-Star Alec Baldwin, der ein großer Klassik-Fan ist, einen gemeinsamen Abend zu gestalten. Wir alle setzten uns so für etwas ein, das wir lieben. Und das darf ruhig auch mal in unterhaltender Form sein.
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