Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Yuja Wang: „Ich will wachsen und wissen“

$
0
0

biopic5Groß ist sie schon, zumindest auf Ihren gefürchteten High Heels. In der Traktierung der Pedale mit Stiletto-Absätzen kommt Yuja Wang sonst höchstens der georgische Wirbelwind Khatia Buniatishvili nahe. Aber die 29-jährige Chinesin mit der furchteinflößend treffsicheren Technik sucht längst andere Herausforderungen. Zum Beispiel gegenwärtig ihre erste Annäherung an Beethovens Hammerklaviersonate. Die garniert sie nämlich gleich noch mit Schumanns Kreisleriana und zwei Brahms-Balladen. Dieses Hard-Core-Programm spielt sie aktuell am 11. Juni in der Düsseldorfer Tonhalle, am 13. in der Berliner Philharmonie, am 15. in der Pariser Philharmonie, am 17. in Eindhoven, am 19. im Amsterdamer Concergebouw, am 21. in der Hamburger Laiszhalle und am 25. in der Zürcher Tonhalle. Ich habe sie zum Interview in New York getroffen, wo sie lebt.

Wir sitzen an der Upper West Side in der Sonne und schauen auf den Hudson River. Brauchen Sie diesen Blick ins Weite?

Manchmal schon. Hier habe ich Beides. Das Wasser, den unverbauten Blick in einer zugegeben etwas anonymen, aber bequemen Nachbarschaft. Ich weiß so etwas inzwischen zu schätzen. Ich bin sehr viel unterwegs, habe schon früh meine Wurzeln hinter mir gelassen, war immer sehr allein beim Üben. Gemeinsamkeit fühle ich vor allem im Konzert, mit dem Publikum. Heimat ist da ein sehr ambivalenter Begriff. Hier ist es aber sehr bequem. Und erstaunlich ruhig für diese hektische Stadt. Und Wasser bringt mich zusätzlich runter. Hier bin ich also gut ausbalanciert.

Für kommende Tastenabenteuer? Ihr Sommerprogramm ist ja nicht gerade von schlechten Eltern….

Ich weiß. Aber ich wollte diese Herausforderung unbedingt. Wissen Sie, ich nähere mich den Dreißig, will nach Jahren des Ausprobieren, des Spielens mit dem Spielen, der sportlichen Challenge endlich erwachsen werden. Zumindest ein wenig mehr. Und da kommen mir diese Stücke gerade Recht. Die sind eben auch eine geistige Grenzüberschreitung. Ich hatte viel Spaß mit meinen Russen, Rachmaninow, Prokofiew, Skrjabin, auch mit Liszt. Sie haben mich an bestimmte Limits gepuscht, aber es gibt eben auch noch andere Levels, auf denen ich mich messen muss.

Zum Beispiel deutsche Klassiker?

biopic4Unbedingt. Ich habe letzte Saison schon einiges an Schubert gespielt. Und auch Chopin. Der eine hat mir neue Verständniswelten eröffnet, Schubert braucht eine klare Technik, aber eben auch eine sehr wachsen, sensitiven Zugang, will den großen Bogen. Man muss den Zuhörer mitnehmen, diese Musik erschließt sich nicht so einfach. Chopin ist hingegen zumindest für mich pures Gefühl, loslassen, sich selbst hinterherhören.

Und jetzt also Hammerklavier?

Ja und eben nicht nur die Turbofuge. Ich weiß schon, man wird sicher nicht mit mir zufrieden sein, man wird Transzendenz, Ernst vermissen. Aber ich muss es angehen, will es wissen und wachsen. Am Intimen wie am Übermenschlichen. Das ist sicher ein Stück, zu dem ich sehr oft zurückkehren werde. Spielen fällt mir leicht, ich muss hinter die Noten, immer mehr.

Wer berät Sie?

Ganz besonders natürlich der Geiger Leonidas Kavakos, mit dem ich schon seit einigen Jahren auch als Duo auftrete. Da treffen Welten aufeinander. Wir sind so anders, aber doch auch dann wieder in unserer Neugier so ähnlich. Er ist 20 Jahre älter als ich, aber er kann sich gut erinnern, wie er in meinem Alter war. „Ein weißes Handtuch“, so sagt er immer. Also mache ich jetzt auf meines ein paar Flecken drauf. Mit ihm zu spielen, oder sich einfach nur austauschen, das öffnet mit wirklich Perspektiven.

Ihre gemeinsamen Brahms-Violinsonaten auf CD waren der Anfang?

Offiziell ja. Wir hatten uns beim Verbier Festival kennengelernt. Das ist ein feiner Platz, um musikalisch miteinander zu flirten, sich praktisch zu beriechen, ob auch die Chemie stimmt. Bei uns hat es gepasst.

Musik in den Bergen als Schatzsuche und Partnerbörse?

Ja, obwohl man hier natürlich nun wahrlich nicht unbeachtet ist. Aber irgendwie ist das Klima gut und beschwingt. Ob das die Höhe macht? Und ich stelle mich dort dieses Jahr gleich wieder sehr aus, ich führe „Die schöne Magelone“ mit Matthias Goerne auf, und dann auch nochmals in Salzburg, da ist Ulrich Matthes der Sprecher.

Sie machen Witze? Deutscher Ernst trifft auf chinesische Unbekümmertheit?

Krass, nicht?

Sie wissen aber schon, dass Goerne berüchtigt ist. Mit wem er nicht kann, den frisst er mit Haut und Haaren!

Ja habe ich gehört, ich traue mich aber trotzdem. Vielleicht findet ja auch er in meinem Spiel etwas, was für ihn neu ist, das ihm Spaß macht.

Tieck beim Brahms, die schrulligen Vorbilder für seine Balladen, der Beethoven mit seinem mythischen Ballast und dann noch Schumann mit E.T.A.-Hoffmann-Vorlage. Sie wissen aber schon, dass er hier mal nicht nur ums Notenweghauen geht?

Eben! Ich suche die Poesie darin. Ich habe sogar in Hoffmanns Geschichten herumgelesen. Normalerweise müssen die Noten reichen, ich will das ganz objektiv lernen, aber diesmal fand Leonidas Lektüre wichtig. Schräges Zeug, hat mir Spaß gemacht. Bei Brahms mag ich aber an die albernen Stories, die den Balladen zugrunde liegen nicht denken, die haben sich längst davon emanzipiert, werden als absolute Musik genossen.

Und wie geht es dann weiter? Spielen etwa bald auch Bach öffentlich?

biopic7Nö, der ist nach wie vor nur für das stille Yuja-Kämmerlein. Im Konzert finde ich mich dem noch nicht gewachsen. Denn ich bekomme einen Zugang zu Stücken oft eigentlich nur, wenn ich sie auch öffentlich spiele, im Hexenkessel eines Konzertsaals köcheln lasse. Aber es gibt ja noch so viel anderes. Ich habe jetzt viel Französisches gespielt, die Ravel-Konzerte zum Beispiel, die mir sehr liegen. Und mit Esa-Pekka Salonen habe ich mich sogar an die Turangalîla-Sinfonie getraut. Ich habe zwar Yvonne Loriot noch als 12-Jähige kennen gelernt, aber auf dieses faszinierende Messiaen-Universum war ich nicht vorbereitet. Diese Glaubenskraft, aber auch dieses schillernde Lebensfreude, das ist wirklich wie ein totaler, bereichernder Trip. Übrigens für mich sehr nahe an Bach.

Können Sie eigentlich auch mal „nein“ sagen?

Ja! Den Berliner Philharmonikern habe ich zum Beispiel einen Korb gegeben, als sie mich das erste Mal für die Burleske von Strauss eingeladen haben. Ich mag das Stück einfach nicht! Letztes Jahr mit Paavo Järvi und dem 2. Prokofiew-Konzert war es dann richtig. Und es hörte sich Klasse an. Ich habe mich sofort in diesen Orchesterklang verliebt. Mit den will sich sofort wieder auftreten. Zum Glück ist das auch schon eingetütet. Es gibt wieder Prokofiew, 2018 auf Tournee mit Kirill Petrenko. Mit dem habe ich das 2. Konzert kürzlich auch in Israel gespielt. Ein toller Musiker, meine Kragenweite.

Dabei tragen Sie doch meist gar keine Kragen. Yo-Yo Ma ist übrigens total neidisch auf Sie, weil sie ihre Konzertkleidung hinterher immer gleich ins Handtäschchen stecken können.

Der war gut! Dabei ist meine Konzertkleidung wie eine Uniform, eine soziale. Privat bin ich nie so aufgetakelt. Und trage lieber Ballerinas oder Sneakes. Ich will doch nicht in zwanzig Jahren einen Hüftschaden haben. Ach Yo-Yo Ma! Den habe ich bei einem Dinner nach einem Konzert in der Hollywood Bowl als Tischherren gehabt. Ein wunderbarer Mensch, ein inspirierende Persönlichkeit. Ich möchte so werden wie er! Er macht so viel mehr als nur Musik. Mit ihm mal aufzutreten, das ist unbedingt auf meiner To-do-Liste.

Und was ist da noch?

Im Augenblick vor allem Bartók. Ich nehme die Klavierkonzerte mit Zoltán Kocsis und dem Budapest Festival Orchestra als nächstes auf. Der hat die schließlich selbst gespielt, kennt aber auch den Orchesterklang genau. Und endlich mit Martin Grubinger zusammenkommen. Mein Vater ist auch Perkussionist. Bartók und Sacre du Printemps. Ich weiß, was da kommt. Und das wird groß. Sie sehen, es geht bei mir eben sehr oft auch darum, die richtigen Partner zu finden.

 

Der Beitrag Yuja Wang: „Ich will wachsen und wissen“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826