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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Bayreuther Festspiele: „Parsifal“-Kritik – ungekürzt

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Foto: Enrico Nawrath

Keine Burkas, keine Bikinis. Damit sind schon einmal die beiden Hauptreizworte ausgeräumt, die diesen neuen Bayreuther „Parsifal“ schon lange vor seiner Premiere, angeblich wegen seiner wohlmöglichen Islamismus-Kritik am Körper der Blumenmädchen des Zauberers Klingsor, zu einem „Sicherheitsrisiko“ haben werden lassen. Nie allerdings fühlte man sich jetzt, nach freundlichen, aber bestimmten sechsfachen Kontrollen von Karten, Abendtäschchen und Smokingjacken-Innerem, im Festspielhaus sicherer.

Wo einen im zweiten Akt dann kurz ein paar ortsübliche Tschadors und viele Bauchtanzkostüme zur Reinen-Tor-Verführung im Serail-Hamam erwarten. Und die dunkel glühende, trotzdem höhenstrahlende Kundry der fabelhaften Elena Pankratova im Glitzerbeinfreien gibt so etwas wie die Höllenrose von Stambul. Wir sind nämlich irgendwo bei Täbris im irakisch-türkisch-armenisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet. Also mitten im sehr heutigen Krieg der Religionen. Das offenbart ein überflüssiges Google-Earth-Video, das uns – „zum Raum wird hier die Zeit“ – während der ersten Verwandlungsmusik statt vom Gralsgebiet in den Tempel zu führen ins All hinter die Sonne und zurück beamt.

Im echten Bayreuther Wagner-Theater aber sind aufgrund freistaatlicher wie städtischer Pietätsanordnungen wegen der diversen bayerischen Amokläufe die Logen so gut wie politikerfrei; nur Bundeskulturministerin Monika Grütters hält tapfer die Geldgeberstellung. Auch den Staatsempfang im Schloss, der rote Teppich und die Vorfahrt echter wie halbseidener Berühmtheiten sind gestrichen. So wurde so mancher weiße Miet-Rolls-Royce wieder storniert, die eine oder andere Promikarte mangels Aufmerksamkeitsbonus zurückgegeben. Deshalb ist es dieses Jahr ein wenig gedämpfter am Grünen Hügel. Was seine Vorzüge hat.

Still liegt die sonst limousinenverstopfte Auffahrt Siegfried-Wagner-Allee, die endlich wieder mal zur wahren Wagner-Pilgerschaft im Musiktempel da oben einlädt. Es gilt, trotz der obligatorisch stilistischen Abendroben-Ausrutscher, deutlich mehr der Kunst. An den Fahnen hängt Trauerflor, vor Beginn wird per Schrifteinblendung im Zuschauerraum der diversen Attentatsopfer gedacht.

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Foto: Enrico Nawrath

Was aber dann, gleich auf der sich nach etwas tastendem, unsauberen Vorspielbeginn schon über dem Gralsthema öffnenden Szene von Gisbert Jäckel zu sehen ist, könnte aktueller nicht sein. Nach den zwei so eigenwilligen wie hochkomplexen und, wie stets in Bayreuth, erst die Gemüter spaltenden, dann schnell als Kultstücke verehrten „Parsifal“-Vorgängerproduktionen von Christof Schlingensief und Stefan Herheim war ursprünglich ein wirr-egomanes Konzept des regiedilettantischen Möchtegernprovokateurs Jonathan Meese geplant. Das wurde schon längst wieder verworfen und abgesagt. Stattdessen wird jetzt die einst für Köln angedachte und nun recycelte, deshalb fast prophetische Multikulti-Version des Vollprofis Uwe Eric Laufenberg gezeigt.

Der möchte, ganz gegen den Trend, mal wieder den Regiespieß umdrehen. Zurück zum Realismus, um so Wagner mit seinem pseudoreligiösen, Hauptsache im Glauben selig werdenden, eigens (und eigentlich einzig) für die Bayreuther Festspielgemeinde konzipierten, für die spezielle Hausakustik komponiert „Bühnenweihfestspiel“ mit dem Librettowort Genüge tun. Die „Parsifal“-Gretchenfrage nach der Religion wird hier blutig ernst genommen.

Deshalb werden in dieser sektiererisch-christlichen Diasporagemeinde – „Blut und Leib der heil’gen Gabe wandelt heut zu eurer Labe“ – Hostien gegessen und der reichlich rinnende rote Körpersaft des als Christus-Kopie mit Fitnessstudio-Body und Dornenkrone auf einem Riesentaufbecken posierenden Priesterkönigs gesüffelt: Jesus Amfortas Superstar – von Ryan McKinny mit arg abgedunkeltem, tiefliegenden Bariton vokal vorgeführt.

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Foto: Enrico Nawrath

Gleichzeit werden im ruinösen Zentralbau der von Zeit und Kämpfen mitgenommene, bis auf eine silberne Lichtampel und ein Kruzifix leeren Kirche aber auch Flüchtlinge beherbergt. Soldaten marschieren mit gezückten Gewehren durch den Schutt, Touristen folgen ihnen. Der bebrillte Gralshausmeister Gurnemanz (der wundervoll gesammelte Georg Zeppenfeld als pastos über Bayreuth strahlender Bass-Stern von Betlehem) kümmert sich mit seinen Mitmönchen um die Schutzsuchenden. Das gerinnt mit seinen wie gemalten Lichtschneisen zum ins Ironisch kippenden Nazarehnerkitsch, wird aber auch schnell böse.

Denn die Caritas ist hier eine professionelle, reservierte. Wird von Gurnemanz zur „durch Mitleid“ wissenden Kontemplation gerufen, taucht als „reiner Tor“ plötzlich ein kleiner Bub mit rotem Hemd und blauen Hosen auf – und fällt tot danieder, wie der ertrunkene syrische Flüchtlingsjunge Ailan. Doch nur die in dieser misogynen Männergemeinschaft an den Rand gedrängte Helferin Kundry sorgt sich, legt ihn pietahaft auf den Schoß, die anderen halten sich zurück, beschäftigen sich lieber mit einem anderen Eindringling: Parsifal – Klaus Florian Vogt mit weißblonder Nazi-Pimpf-Perücke, Armbrust und erst ab Ende des zweiten Akts bewährt berückender, silbriger Tenortrompete.

Laufenberg zeigt alles her: den Gralskelch, den penibel präparierten toten Schwan, die Wunde, die Lanze, die später zerbrochen als Kreuzeichen aufgepflanzt wird. Bis auf die Taube sind alle mottigen Requisiten da. Der so akribisch beginnende Regie-Realismus wirkt plötzlich wie ein neuer Radikalismus. Im zweiten Akt, die Kirche ist jetzt ein exotisch-orientalisch gekacheltes Bad, wo der abtrünnige Ritter Klingsor von seiner vom Dildo- bis zum Stilett-Modell auch mit blasphemischen Kreuzen verzierten Devotionskanzel aus herrscht, schauen er und Amfortas gleichzeitig der Parsifal-Entjungferung zu. Die zum Interruptus gerät, weil der inzwischen Kämpfer gewordene Ignorant durch einen Kuss hellsichtig wurde. Der gar nichts sieche Gralskönig übernimmt die nach wie vor empfangsbereite Kundry.

Hartmut Haenchen, durch den Schlagzeilen machenden Abgang von Andris Nelsons im Graben endlich zu Bayreuth-Ehren gekommener Einspringer, begleitet solches, durchaus altmodisches Kulissentheater in scharfen, prickelnden Kontrast – zügig voranschreitend, dabei nie verhetzt, sachlich nüchtern. Immer nah an der Szene, ein durchaus gestischer Klangerzähler, aber unbeeindruckt von jeder mystischen Schwüle, einzig der Rationalität huldigend. Das Gralsmotiv wellt sich ohne Sfumato eher wie die „Rheingold“-Wogen, klar abgeschnitten kommen die Einsätze.

Da verschwimmt wenig, verschwiemelt nichts. Der Preis aber ist: keine Transzendenz, kaum Ergriffensein. So wenig „Parsifal“-Gänsehaut in Bayreuth war selten. Man bleibt geistig wach, kritisch, aufmerksam bis zum, bei eingeschalteter Beleuchtung das Publikum trotzdem noch lange stumm verharren lassenden Schluss.

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Foto: Enrico Nawrath

Und auch Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung zollt dem eingeschlagenen Weg dienender Visualisierung ihren Tribut, wird immer wieder angreifbar durch schiefe Bilder, mangelnde Konsequenz. Warum hat Parsifal plötzlich andere Haare? Wer ist der bewegungslose Alte, der drei Akte lang in der Kuppel kauert? Die Mumie von Parsifals Sohn Lohengrin? Der abwesende Andris Nelsons? Bis im Finale alles nur als schaler Theaterzauber erweist, wo man Wände einfach auseinanderfährt und Parsifal als nebulösen Erlöser im künstlichen Bühnendunst aufgehen lässt – samt seiner Jünger aus allen Weltreligionen, die zuvor ihrer religiösen Symbole entsagt und sie in Titurels Sarg auf dessen Aschestaub deponiert haben.

Da gerinnt Texttreue, die sich nichts wirklich traut, zum Obladenbildchen. So wie auch schon der „Wagner in the Jungle“-Karfreitagszauber mit lauter nackten Ex-Blumenmädchen-Evas im Paradies unter der Regenwalddusche. Oder das Detailpusseln davor, mit wahlweise Opa Gurnemanz oder der grauhaarigen Kundry im Rollstuhl. Die hat zudem, nur für die ersten Reihen oder die zugeschaltete Kino-, TV- und Internetgemeinde zu erkennen, gut konserviert im Kühlschrank Schwanenkopf und toten Beuys/Schlingensief-Hasen als Überlebensration.

Trotzdem insgesamt ein diskussionswürdiger Bayreuther „Parsifal“. Völlig skandal- und islamismuskritikfrei. Sich von herrschender Inszenierungsgesinnungsmode heilsam frei machend – ohne freilich ein völlig überzeugende, klug geschlossene Interpretationslösung zu bieten. Mit sehr viel Beifall und nur drei Buhs aufgenommen, was nach alle dem Wirbel im Vorfeld (zuletzt glaubte noch der offenbar betrunkene Hans-Neuenfels am Premierentag ein wenig unqualifiziertes Meinungsöl ins Wagner-Fegefeuer kippen zu müssen) kaum mehr zu erwarten war.

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Foto: Enrico Nawrath

Heilsbringer sind hier vor allem Eberhard Friedrichs vollendet metaphysisch von oben und kräftig von vorn tönende Chöre. Gerd Grochowski ist ein auch stimmlich unterbelichteter, hohl dröhnender Klingsor, Karl-Heinz Lehner ein guter, aber unauffälliger Titurel. So fügt sich, samt feiner Gralsritter und –knappen, ein harmonisches Sängerensemble. Das von Hartmut Haenchen souverän geführt, zu wenig verführt wird. Als patenter „Parsifal“-Geschwindmarsch mit seltenem Verweilen (zweite Verwandlungsmusik – mit noch dümmerem Video), entsprungen einer prosaisch-protestantischen Grundhaltung, die viel Staub von den Noten bläst, aber eben auch die meisten Geheimnisse aus der Wagnerschen Klanggiftküche neutralisiert. So kann die Suche nach dem scheinheiligen Gral getrost auch wieder von vorne starten. Den letztgültig gefunden wurde er auch in Bayreuth neuerlich nicht.

 

 

Der Beitrag Bayreuther Festspiele: „Parsifal“-Kritik – ungekürzt erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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