Ist dieser abrupte, letztlich nicht überraschende Abgang der Beginn der Jungmaestrodämmerung? Wir wollen es nicht hoffen, denn zu viele Orchester haben gegenwärtig gemeint, sie müssten für die Zukunft der angeblich sterbenden Klassik (Zuschauerzahlen bezeugen das Gegenteil) auf einen der von den – vorwiegend englischen – Agenturen gepuschten Juniortaktschläger setzten, um im harter werdenden Wettbewerb mitzumischen. Ein der Hochgehypten ist jetzt jedenfalls erst mal draußen: Lionel Bringuier, der 29-jährige Chefdirigent und Musikalische Leiter des Tonhalle-Orchesters, wird Zürich im Sommer 2018 verlassen. Damit hat er gerade einmal seinen Vierjahresvertrag erfüllt.
Natürlich wird das jetzt hingestellt, als sei es im guten Einvernehmen geschehen. Ist es aber nicht. Der Jungspund, der vorher lediglich das nur über eine sehr kurze Saison spielende Orquesta Sinfónica de Castilla y León in Valladolid von 2009-12 verantwortlich geleitet hat, war eben einfach zu unreif für den etwas verschnarchten Traditionsklangkörper in Zürich, den davor David Zinman von 2005-14 zu sich selbst und auch das Orchester überraschender, weil ungeahnter, weltweit gelobter Klangkultur geführt hatte.
Der Youngster Bringuier sollte es jetzt natürlich anders und noch besser machen: reif sein und gleichzeitig hipp, modern und konservativ, die Umbauspielzeiten ab 2017 mit innovativen Ideen begleiten, ein Partner auf Augenhöhe für die überehrgeizige, ebenfalls neue Intendantin Ilona Schmiel werden. Was nie eintrat. Lionel Bringuier hat so gar nichts Jugendliches an sich, bietet klanglich wenig elegant Französisches; meist war er laut und grob. Und schon nach zwei Spielzeiten zeichnete sich ab, dass er einfach nicht über genug erprobtes Repertoire verfügt, um die Hörlust der Zürcher Abonnenten nicht nur durch Wiederholungen abzustumpfen.
Das Verhältnis zu Schmiel soll auch kein gutes gewesen sein. Als die nun im Kandidatenrennen um den Schleudersitz als Intendant der Berliner Philharmoniker einen Rückzieher machte, dürfte klar gewesen sein, dass sie offenbar ihren Problembären Bringuier losgeworden ist und sich nach besser Beute im Dirigentenforst umschauen kann. Bringuier, der vorher als Dirigierassistent von Esa-Pekka Salonen und dann Gustavo Dudamel beim Los Angeles Philharmonic ordentlich gearbeitet hatte, steht bei dem als aggressiver Hai bekannten Agenten Mark Newbanks unter Vertrag. Der managet mit Fidelio Arts genau vier Künstler – richtig, neben Bringuier, Salonen, Dudamel sowie die Pianistin Yuja Wang, die auffällig oft mit Bringuier auftritt. Er durfte auch bereits (mit Wang) eine Gesamtbox aller Ravel-Orchesterwerke bei Dudamels Plattenfirma Deutsche Grammophon aufnehmen, die nicht sonderlich aufmerken ließ.
Mal sehen, wer sich jetzt an die im doppelten Sinne Baustelle Zürich wagt. Und Mark Newbanks muss dringend was für seinen Klienten Dudamel tun. Denn wenn der auch bei den Berliner und den Wiener Philharmonikern als Durchwinkedirigent weiterhin hoch im Kurs steht und in Los Angeles dank der brav applaudierenden Lokalpresse unangefochten ist – seinen Konzerten fehlt nach dem ersten jugendlichen Überschwung entschieden Tiefe und Reife. Und selbst die CDs verkaufen sich dem Vernehmen nach nicht besonders. In Bayreuth haben dieses Jahr die erfahrenen Alten Marek Janowski und Hartmut Haenchen abgesahnt. Schwappt jetzt der Trend auch in die Konzerthallen?
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