Ärger und Freude liegen bisweilen sehr eng zusammen. Besonders dann, wenn es beispielsweise an einem Theater zu einer Zäsur kommt. Im Ästhetischen wie in der Leitungsfrage – was ja meist einander bedingt. So war es keine Überraschung, dass bei der saisonalen Top-und-Flop-Umfrage der Zeitschrift „Theater heute“ Frank Castorfs Berliner Volksbühne beim Einbiegen des Chefs in die Intendantenzielgerade zum Theater des Jahres gewählt wurde. Gleichzeitig wurde das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz aber auch zum Ärgernis es Jahres – weil es mit dem Kurator und Museumsdirektor Chris Dercon einen neuen Chef bekommen wird, dem Theater wohl eher fremd ist. Und genauso ging es nun ein paar Tage später auch bei der Spielzeit-Umfrage der im gleichen Verlag erscheinenden Zeitschrift „tanz“ ab: Kompanie des Jahres wurde das Bayerische Staatsballett für seine einzigartige, über Dekaden aufgebaute Repertoirepolitik unter Ivan Liška, der jetzt nach 17 Direktorenjahren in Rente ging. Gleichzeitig reichte es für die weißblaue Truppe an der Isar aber auch zum Ärgernis.
Weil ihr neue Prinzipal, der nassforsche Russe Igor Zelensky, erst mal ein Drittel der Kompanie entsorgte, was auch andere tun – aber verträglicher. Das Repertoire wird schrumpfen, und es zieht eine neue stalinistische Klassikereiszeit ein, die gleich mit Yuri Grigorovichs Sowjet-Spektakel „Spartakus“ startet. Heftig kritisiert wird aber auch Zelenskys sonstige PR-Politik. Bis heute ist die Zusammensetzung der Kompanie nicht bekannt, nicht einmal ein Pressekonferenztermin, bei dem endlich die neuen Solisten vorgestellt werden. Auf der Webseite steht bei allen Besetzungen nicht nur für die uralte „Giselle“ nur N.N. Wer also soll da Karten kaufen wollen?
Und nach wie vor nur fürs Ärgern gut, obwohl sich hier immerhin die längst auch beim Royal Ballet glänzende Solistin Iana Salenko erfreulich entwickelt hat: das von Nacho Duato künstlerisch lahmgelegte Berliner Staatsballett. Erstaunlich, dass es überhaupt noch für Aufreger-relevant befunden wird. In der Hauptstadt hat es sich längt aus dem öffentlichen Diskurs verabschiedet. Jetzt kann man nur hoffen, dass da wohlmöglich nach der Abgeordnetenhauswahl Ende September ein paar Weichen kulturpolitisch neugestellt werden…
Ansonsten bei der Saisonumfrage unter 42 Kritikern, darunter knapp über die Hälfte aus Deutschland, nichts Überraschendes – schon weil die meisten Wertungen mit denen des Schreibers dieser Zeilen konform gehen: Produktion des Jahres ist Akram Khans dunkel-leidenschaftliches „Until the Lions“, wo man sich auch in internationaler Gesellschaft befindet. Tänzerin des Jahres ist die hinreißende Sylvie Guillem, die sich auf der Höhe ihres Könnens weltweit von der Bühne verabschiedet hat. Der grandios vielseitige Steven McRae vom Royal Ballet ist Tänzer des Jahres. Anna Teresa de Keersmaeker wurde wieder mal Choreografin des Jahres, Alexei Ratmansky für seine Klassikerrestaurationen in Mailand und Zürich zu ihrem männlichen Konterpart. Hier also keine Experimente.
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