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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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CD: Countertenor Franco Fagioli als Orfeo

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gluck-orfeo-dg-fagioli-300x300Andreas Scholl, der erste Vertragscountertenor der Decca, hat das Universal-Sublabel bereits wieder verlassen. Mit 47 Jahren ist die Stimme wohl schon über ihren Zenit hinaus, denn die Vokalinstrumente der Falsettsänger altern früher. Doch darüber muss sich Franco Fagioli, den eben das schwesterlicher Universal-Label Deutsche Grammophon verpflichtet hat, noch keine Gedanken machen. Der Argentinier ist erst 33 und schon ein alter Plattenhase. Arte nova, Carus, sogar die Decca, Erato und naïve waren bisher seine CD-Stationen. Und weil die französische Firma gegenwärtig etwas schwächelt, hat man bei der Grammophon als erste klingende Visitenkarte, einfach ein naive-Band mit Glucks „Orfeo ed Euridice“ für die wiederbelebte Archiv-Produktion übernommen.

Zu den von naïve mit dem Theater von Poissy (wo mitgeschnitten wurde) ausgehandelten Bedingungen gehörte auch eine Highlights-CD für pädagogische Zwecke. So wird jetzt die auf weitere zwei CDs verteilte Wiener Altus-Urfassung von 1762 durch einige Ballettmusiken aus der französischen Version von 1774 ergänzt, und auch die dafür neukomponierte Tenorbravourarie ist übersetzt und bearbeitet als „addio, o miei sospiri!“ inkludiert. Gut für Fagioli. Denn hier kann er wirklich tirilieren und mit seinen brillanten Spitzentönen glänzen. Kein Countertenor gibt sich gegenwärtig extrovertierter, er wagt sich mit seiner blendenden Höhe sogar an Mozarts Kastratenpartien in allergrößten Häusern heran.

Porpora_01Freilich ist Fagiolis gegenwärtiges Nahziel Rossini mit seinen koloraturlockenden Hosenrollen für Mezzo-Damen. Und so ist der Trauerkloß Orfeo – vor allem in seinem Reformoperngewand – eigentlich vokale Verkleidung. Die er bestens absolviert. Auch ohne Schnörkel und Schmachter besticht die Stimme durch ihr seidigweiches Timbre, ihren klaren Ansatz, die schlackenlose Intonation und sämige Geläufigkeit. Die nötige Beseeltheit, die sogar die Furien der Unterwelt rührt, ihm seine Euridice wiederzugeben, die bringt Fagioli ebenfalls auf. Von dem, der so ausgeglichen Register verblendet und mit unaffektierter Einfachheit zu gestalten vermag, würden wir uns auch gern aus dämmrigen Grüften retten lassen.

Hier wiederfährt das Marlin Hartelius , bei der die Gattin Eurydice kein unbeschriebenes Sopranblatt mehr ist. Sie klingt wie eine erfahrene Partnerin, sie insistiert und macht das große Duett des dritten Aktes fast zum immer verzweifelteren Ehestreit, der Orfeo zum Umsehen förmlich zwingt. Hier steht er, kann nicht anders, bricht zusammen, aber beglückt uns mit „Che farò senza Euridice“, drängend, wohllautend, schön. Bis Amore in Gestalt der zwitschernden Emmanuelle de Negri neuerlich einschreitet und alles zum Lieto fine wendet, welches der theresianische Kaiserhof natürlich erwartete.

Laurence Equilbey am Pult des historisch informierten Insula Orchestra ist immer am besten, wenn ihr Accentus-Chor mit im Operntragödienspiel ist. In den rein instrumentalen Teilen fehlt es ein wenig an Farbwechseln und dramatische Wucht, da werden die Bögen mitunter etwas flach. Franco Fagioli hingegen, der mit seiner zwischen Contralto und hohen Soprantönen einzigartig oszillierenden Stimme bewiesen hat, dass er auch ein selten empfindsamer Sänger und Charaktergestalter ist, wird für seine nächste Rossini-Veröffentlichung nach den ausgeschmückten, aber eben auch mit Singsinn ausgestalteten Köstlichkeiten der früheren Barockoper in die architektonische Struktur des Klassizismus wie die Farbenfülle der Frühromantik eintauchen.

Gluck: Orfeo ed Euridice (Deutsche Grammophon/Archiv Produktion)

Der Beitrag CD: Countertenor Franco Fagioli als Orfeo erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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