Irgendwie sieht Krisenmanagement anders aus. Und wenn Sasha Waltz und Johannes Öhman, die designierten Leiter des Berliner Staatballetts ab 2019, so der Wille des wohlmöglich Nur-Noch-Kulturstaatssekretärs Tim Renner, jetzt schon so ins Schleudern geraten, wie wollen sie dann eigentlich die mit 90 Tänzern größte und an gleich drei verschiedenen Häusern beheimatete Klassikkompanie Deutschlands führen? Wir halten fest: Die Tänzer wurden vor bald zwei Wochen als letzte informiert, das neue Führungsduo hielt es offenbar auch nicht für nötig, persönlich bei der Kompanie vorbeizuschauen. Die Medien, vor allem die lokalen, zeigten sich geteilter vorwiegend abwartend positiver Meinung. So wie man mehrheitlich auch brav bei der Berufung von Nacho Duato vor vier Jahren stillgehalten hat. Auch deshalb, weil größtenteils die Kompetenz fehlt. Und weil hier anfangs alle gern kuscheln wollen. Man kommt selten heraus aus dem Berliner Mustopf, und interessiert sich vornehmlich für Zeitgenössisches. Klassisches Ballett ist für die meisten Berliner Kritikerinnen ungeliebtes, auch unbekanntes Terrain.
Dafür wird aber ihre Sasha Waltz, die sich PR-strategisch immer gut platziert hat, gleich zur – mit Verlaub! – in einem Atemzug mit Pina Bausch und William Forsythe genannten Tanzikone hinstilisiert. Und Renner, der mit keinem Wort den gegenwärtig prekären Zustand des Staatsballetts vor allem als Politikversäumnis zu sehen bereit ist, orakelt was davon, er hätte sich Rat bei der Leitung der Pariser Oper wie des Sadler’s Wells Theatre in London eingeholt sowie bei deutschen Experten. Da würde man doch gern mal die Namen wissen…
Am Sadler’s Wells, das das Vorbild für ein dringend im Schiller Theater zu installierendes Berliner Tanzhaus sein könnte, hat Sasha Waltz zweimal gastiert. In Paris hat sie vor neun Jahren eine einzige Arbeit kreiert (bei der es hinter den Kulissen angeblich auch nicht nur freudvoll zugegangen sein soll), einmal hat sie am Mariinsky Theater in St. Petersburg gearbeitet, soweit ihre Berührung mit klassischen Kompanien. Keine dieser Truppen würden jemals eine wie sie als Chefin engagieren. In Paris hat man sich bereits mit dem klassischen, aber eben ohne Stallgeruch antretenden Benjamin Millepied blutige Füße geholt.
In Berlin aber meinte Sasha Waltz, erst morgen bei ihrer neuen Kompagnie erscheinen zu müssen, die sich bereits geschlossen gegen sie gestellt hat. Letzte Woche hatte sie Öhman zu einem Sondierungsgespräch mit den bockigen Tänzern vorgeschickt, das nicht sonderlich effektiv ausging. Sie selbst weilte in Rom, wo ihre eigene Truppe mit „Dido & Aeneas“ gastierte. War ihre Anwesenheit da wirklich die ganze Zeit vonnöten? Wäre da nicht Berlin wichtiger gewesen?
Zum morgigen Treffen hatte sich die Kulturverwaltung plötzlich ausbedungen, dass die Fragen der Tänzer 24 Stunden vorher eingereicht werden sollten. Auf Frage der Tänzer, ob sie dann im Gegenzug das Konzept für ein neues Staatsballett sehen könnten, um ihre Fragen darauf abzustimmen, hieß es, es gäbe noch keines! Was wurde denn dann angeblich seit einem Jahr verhandelt? Hat man da nur über Personen oder auch über Strategien und Konzepte geredet? Zumal noch im Juni die Kulturverwaltung auch mit anderen potenziellen Kandidaten im Gespräch war.
Dem „Spiegel“ immerhin standen Waltz und Öhman kurz Rede und Antwort. Die Querelen um ihre Berufung seien „vielleicht ganz gesund“, wurde da orakelt. „So eine Veränderung schürt Ängste.“ Sie sei allerdings überzeugt, dass diese Ängste ausgeräumt würden, wenn sich die Tänzer mit den Programm beschäftigten. „Vieles von dem, was sich jetzt entlädt, ist auch Frust, der sich in den letzten Jahren im Ensemble angestaut hat“, sagt Sasha Waltz. Ein Ensemble in der Größe des Berliner Staatsballetts habe die Aufgabe, „den Tanz in seiner ganzen Bandbreite abzudecken“.
Das hat das Staatsballett getan, bevor es sich der vorhersehbaren Magerquarkkur von Nacho Duato unterziehen musste. Man hat Uraufführungen von Itzik Galili, Mauro Bigonzetti und Marco Goecke getanzt, hatte William Forsythe und Kylián, Jerome Robbins und Ashton, Bournonville und Petipa, MacMillan und Cranko, Radmansky, Béjart, Balanchine und Spoerli im Repertoire. Und sogar ein kurzes, von Sasha Waltz für Vladimir Malakhov kreiertes Solo. Diese Tänzer müssen sich nicht vorwerfen lassen, nur einseitig auf einen Stil fixiert gewesen zu sein, Und man will keineswegs immer nur Klassiker tanzen. Aber eben auch nicht immer nur Sasha Waltz.
Das morgige Gespräch wurde abgesagt, die Tänzer sahen keinen Sinn darin, zum gegenwärtigen Zeitpunkt – zumal auch unklar ist, ob es einen neuen Kultursenator geben wird. Daraufhin verschickte die Kulturverwaltung am Nachmittag eine Mail, in der Waltz und Öhman noch einmal ihr Sprüchlein herunterbeten: sie seien die „Zukunftsvision“. „Als neue Intendanz des Staatsballetts Berlin ab 2019 werden wir das klassische Erbe pflegen und gleichzeitig Neukreationen der besten heutigen Choreografen erarbeiten, sowohl klassische als auch zeitgenössische.
Unter unserer Leitung werden 50 Prozent der Produktionen in der Form von klassischen Balletten (wie Schneewittchen, Schwanensee, Giselle, Nussknacker u.a.) programmiert werden. Außerdem wird das Staatsballett neoklassische und zeitgenössische Werke international führender Choreografen zeigen. Darüber hinaus wird Sasha Waltz neue Stücke für das Staatsballett Berlin erarbeiten. Im Zeitraum von fünf Jahren wird eine Arbeit pro Spielzeit an die Company übergeben, inklusive Neukreationen.“
Wenn dem so ist, wofür muss Sasha Waltz dann in der Leitung vertreten sein? Dann hätte sie auch gleich als assoziierte Choreografin oder anderes antreten können, so wie etwa Wayne McGregor beim Royal Ballet. Der auch nebenbei noch seine eigenen Company hat. Für die der Senat bisher auch nicht wenig Geld in die Hand nimmt, um ihre nicht eben billigen Stücke regelmäßig in der Stadt zeigen zu können. Und wer eigentlich kennt den Ballettklassiker „Schneewittchen“?
Geklärt wurde also nichts, es bleibt bei den schon vor zwei Wochen formulierten Lippenbekenntnissen. Die Moral in der angeschlagenen Truppe sinkt natürlich weiter. Nacho Duato ist kaum noch da, lässt seinen überflüssigen „Nussknacker“ von anderen einstudieren, bei seiner Kodirektorin Christiane Theobald ist immer die Türe zu. Das wird am 7. Oktober sicher eine feine Premiere….
Und von Waltz und Öhman müssen sich die Tänzer, die mit ihren Forderungen sicherlich etwas aus dem Ruder laufen, aber sich eben nicht alles gefallen lassen wollen, auch noch anpampen lassen: „Wir finden es bedauernswert, dass der aktuelle Ton, der aggressive Diskurs und die Verbreitung von Desinformation das Ansehen der Institution Staatsballett schädigt.“ Ja hätte Leitung in Spe doch mal vorher über die Auswirkung dieser Berufung nachgedacht.
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