Hurra! Es tut sich nach fast einem Jahr des Stillschweigens und Konzert-Business-as-usual wieder was bei den Berliner Philharmonikern. Im Juni 2015 wurde Kirill Petrenko zum neuen Chefdirigenten gewählt, beruflich vor dem Orchester stand er seither (noch) nicht, das folgt – zum erst vierten Mal überhaupt! – ab dem 22. März mit Werken von Mozart, dem gegenwärtigen Composer-in-Residence John Adams und Tschaikowsky. Vorher wird er aber am 6. Oktober um halb drei Uhr nachmittags seinen Vertrag endlich unterschreiben. Das ist offiziell. Exklusiv zu lesen ist aber hier, dass wohl noch eine weitere Unterschrift geleistet werden wird: die der neue Intendantin. Es ist Andrea Zietzschmann.
Über Petrenkos Berufung ist vorerst alles gesagt. Über die der neuen Intendantin, die laut der üblich gut unterrichteten Kreise den im Sommer 2017 ausscheidenden Martin Hoffmann beerben wird, noch lange nicht. Aber Berlin kann sich freuen: Denn es bekommt nicht nur nach Pamela Rosenberg wieder eine Frau, sondern die genau richtige Frau auf dem richtigen Platz! Andrea Zietzschmann vereint Kompetenz, Klarheit, Fingerspitzengefühl, Wagemut und eine nicht unwichtige Portion Herzenswärme, um für diesen heiklen Posten gerüstet zu sein.
Freilich ist ihre Berufung ein Schlag ins Gesicht für die Hamburger und die im Januar eröffnende Elbphilharmonie! Denn dort ist beliebte Managerin seit dem 1. November 2013 für die Klangkörper des NDR, also den Chor, die Bigband, die Radiophilharmonie in Hannover (wo seit 2014 Andrew Manze wirkt) und vor allem für das noch von ihrem Vorgänger mit Millionen für die Namensrechte umfirmierte NDR Elbphilharmonie Orchester zuständig. Dort hat sie in kurzer Zeit (ihre Planungen greifen eigentlich erst ab dieser Saison) gemeinsam mit dem Chefdirigenten Thomas Hengelbrock schon viel bewirkt, unter anderem die Berufung des nicht unumstrittenen, aber spannenden Polen Krzysztof Urbański als Erstem Gastdirigenten. Doch die schwierige, schöne und prestigeträchtigere Position in Berlin an der Seite Petrenkos war eben doch verlockender.
Andrea Zietzschmann, 1970 geboren in Schwenningen am Neckar, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und VWL in Freiburg, Wien und Hamburg. Parallel dazu wirkte sie beim WDR, der Staatsoper Stuttgart, der Staatsoper Hamburg und beim Gustav Mahler Jugendorchester. Nach Beendigung ihres Studiums gründete sie 1997 das ohne Subventionen auskommende Mahler Chamber Orchestra gemeinsam mit Claudio Abbado, mit dem sie auch das Lucerne Festival Orchestra ins Leben rief. 2003 kam sie als Orchestermanagerin zum Hessischen Rundfunk. Dort übernahm sie 2008-2013 das Amt der Musikchefin und damit die Verantwortung für alle Orchester des Senders sowie für die Bigband, das Festival für zeitgenössische Musik „Klangbiennale“ und das hauseigene CD-Label „hr-musik.de“. Ihr Mann ist Geiger, sie hat eine neunjährige Tochter.
Bei den Berliner Philharmonikern wird sie freilich jetzt die komplexe, aber für sie sicher meisterbare Aufgabe übernehmen müssen, das Gesicht und ein wenig auch der Mund von Kirill Petrenko sein zu müssen. Denn während Simon Rattle in den letzten 14 Jahren (und auch noch die nächsten zwei) wunderbar als Aushängeschild des Orchesters nicht nur musikalisch funktionierte, wird sich der scheue Interviewverweigerer Petrenko auch hier ganz auf die Musik konzentrieren wollen. Und so braucht es zwischen den starken, autonomen Orchestermusikern und ihrem nur intern kommunizierenden neuen Chef eine Figur, die als (charmanter) Prellbock wirkt, die ausgleicht, Kanäle offenhält, aber sich auch selbst programmatisch einbringt.
Dafür ist Andrea Zietzschmann bestens gewappnet und vorbereitet. Sie hat mit dem hypersensiblen Abbado gut gekonnt, ebenso das Abenteuer Mahler Chamber Orchestra aus seinen Kinderschuhen wachsen lassen. Sie hat dort intensiv mit Daniel Harding zusammengearbeitet, beim HR mit Paavo Järvi, den die Berliner Philharmoniker inzwischen auch wieder regelmäßig an ihr Pult einladen.
Ihr Vorgänger Martin Hoffmann, der vom Musikbetrieb unbeleckt vom Privatfernsehen kam, hat klugerweise in Berlin alle inhaltlichen Initiativen Rattle und seinen Musikern überlassen, ein paar Spielplan-Lücken mit populären Köpfen (wie seinem unlängst verstorbenen Freund Roger Willemsen) und Themen gefüllt – und damit bestmöglich als sympathischer Moderator in der zweiten Reihe hinter Sir Simon gewirkt. Da wird Andrea Zietzschmann neben Petrenko mehr machen müssen, ohne die misstrauischen Musiker übertrumpfen zu wollen.
An deren Geltungsbewusstsein sind schon andere Intendanten vor Hoffmann regelmäßig gescheitert oder haben sich mit subalternen Rollen zufriedengegeben. Andrea Zietzschmann aber steht für Zurückhaltung wie Durchsetzungsvermögen. Beides Fähigkeiten, die bei den Berliner Philharmoniker unbedingt von Nöten sein werden. Doch mit diesem Duo ist das Orchester wirkungsvoll und ausstrahlungskräftig für die nächsten Jahre aufgestellt. Gratulation!
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