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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Elena Bashkirovas wunderfeines Jerusalem Chamber Music Festival im 19. Jahr

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Jerusalem International Chamber Music Festival 2016 DanPorges1348Ajpg Credit: Dan Porges Von links: Menahem Prressler, Elena Bashkirova

Foto: Dan Porges

Kann ein Festival ein Baby sein? Bei Elena Bashkirova muss man eigentlich keine Angst vor psychologisch zweifelhaften Übersprunghaltungen haben. Die russische Pianistin hat zwei wohlgeratene Söhne (Michael und Daniel Barenboim), nicht unbedingt zu erwarten, bei deren Übervater. Eben ist sie auch zum zweiten Mal Großmutter geworden; was man dieser so reserviert, doch schnell fröhlich blühenden Person mit keiner Zelle ansieht. Und irgendwie abgedreht ist sie trotz strengem Klavierprofessorvater und ständigem Kontakt mit den Klassikgrößen der Welt so gar nicht geworden. Davor schützte sie wohl schon ihre eigene, auf feine Art funkelnden Pianistinnenbegabung.

Also darf Elena Bashkirova ihr sehr lebendiges, aber gar nicht menschliches Baby um so hingebungsvoller pflegen: das Jerusalem Chamber Music Festival, kulturelle Labsal für die immer orthodoxer versteinernde Stadt. Das ist natürlich kein Baby mehr, nächstes Jahr wird es schon 20. Und geklont wurde es auch schon, zumindest ein wenig, denn in Berlin gib es, immer im Frühjahr, den Ableger im Jüdischen Museum, Intonations. Aber die Hauptsache, immer zum Sommerende, zwei Wochenenden und die Tage dazwischen lang, wenn in Europa die Festivalzeit zum Schluss kommt, aber in Israel die Festtagezeit noch nicht begonnen hat, sie ist einfach unvergleichlich.

Wenn in Jerusalem die tiefe Sonne über die weißen Kalksteine streichelt, aus denen hier Altes und auch Neues (strikte Bebauungsvorschrift!) entstanden ist. Wenn man das Glück hat, eine politisch einigermaßen entspannte Zeit zu treffen, mit lockeren Grenzbeamten am Ben Gurion Flughafen in Tel Aviv, einem geschäftigen Völker- und Religionsgemisch hinter dem Jaffa Tor, von nicht zu vielen bewaffneten Militärs beobachtet, mit verträumt poetischer Stimmung im äthiopischen Kloster auf dem Dach der Grabeskirche, Falafel und Granatapfelsaft bei Abu Shukri, einer echt Wiener Melange im herrlichen Oleandergarten des Österreichischen Hospiz, Handelsrochaden mit den Armeniern und mit jeden Abend noch schönerer Musik im orientalistisch leuchtenden Konzertkuppelsaal des YMCA.

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Auch das ist eine Enklave in einer zerrissenen Stadt, Anfang der Dreißiger von der Architekturfirma des Empire State Building erbaut. Eine Dreiflügelanlage mit 50 Meter hohem Turm, von dem herab jeden Festivalabend das in einem Stübchen manuell gespielte Carillon die wartenden Gäste vor dem Konzert beklingelt. Gegenüber liegt festungsgleich das King David Hotel, rechts davon das Mishkenot Sha’anim-Viertel, die erste Besiedelung außerhalb der Altstadt, samt Park, Künstlerhaus und Montefiore-Windmühle. Dahinter Davidsturm, Zitadelle, Altstadtmauerkranz, in der Tiefe erahnbar der Sultan’s Pool, aus dem eines Abends beim Essen die letzten Open-Air-Konzert-Klänge des Dire Straits Experience emporschallen.

Ein sehr spezieller Platz, ein sehr besonderes, aufmerksam lauschendes, diese Tage erwartendes Publikum, und inzwischen ein einzigartiges Festival. Mit überlangen, nie langweiligen Konzerten, die neugierige Hörer und willige Künstler ermöglich haben. So wie das Jerusalem Chamber Music Festival sich inhaltlich entwickelt und sich alle immer weiter mitnehmen lassen auf musikalische Reisen, seien sie zeitgenössisch wie im fast alljährlichen Auftragswerk oder einfach nur abseits der üblichen Repertoirewege, so hat sich auch die Organisation unter der lächelnd disziplinierten Leitung der rotlockigen Hana Manch perfektioniert.

Jerusalem International Chamber Music Festival 2016 DanPorges117Ajpg Credit: Dan Porges Von links: Robert Holl, Pablo FŽrnandez, Daniel Austrich, Tim Park, Elena Bashkirova, Hartmut Rhode, Denis Kozukhin, Rainer Honneck

Foto: Dan Porges

Und über der wirkt wiederum als Mama und Freundin, Klavierpartnerin und Gesicht, vor allem aber als Gastgeberin – Elena Bashkirova. Die ließ sich schon nicht durch verdunkelte Septembertage wie 9/11 oder die Bombenanschläge 2002 aus der Ruhe bringen, hier regiert Musik. Und sie selbst reagiert einfach nur gelassen, wenn etwa Matthias Goerne eine Angina ankündigt: „Bleib zu Hause! Dann habe ich Schwanengesang eben schon mal für nächstes Jahr geübt, und wir alle können einen Abend mal früh essen gehen“, flötet sie ins Telefon. Es gibt wahrlich Schlimmeres. Gesunder Chefinpragmatismus.

Es scheint dieser entspannte Charme zu sein, mit dem Bashkirova hier als Menschenfängerin wirkt, in den Zuschauerreihen, wie auch hinter und auf der Bühne, etwa in einer temperamentvoll-lyrisch ausgehorchten Interpretation von Schuberts Arpeggione-Sonate mit Emmanuel Pahud. Denn nach wie vor kommen alle Künstler für lau, tanken noch einmal beim Spielen Energie für die neue Saison. „Wir machen immer Clubsandwich-Programme, verpacken schwerer zu Schluckendes, Unbekanntes zwischen leckere Bekannte“, so simpel erklärt Elena Bashkirova ihr Konzept.

Jerusalem International Chamber Music Festival 2016 DanPorges2156A Credit: Dan Porges Von links: Elena Bashkorova, Emmanuel Pahud

Foto: Dan Porges

Drei Sonderkonzerte am Sabbat gibt es zudem, da dürfen Künstler solistisch und monoman glänzen, ansonsten reagiert die Gemeinschaft. Dieses Jahr programmatisch locker gestrickt, mit ungewöhnlich in Beziehung gesetzten Komponisten, mit den zwei Jubilaren Ferruccio Busoni (150. Geburtstag) und Max Reger (100.Todestag) und dazwischen gestreutem Schostakowitsch. Da gibt es Kurtág, Dutilleux und Ligeti, aber dieses Jahr auch viel Mozart, Beethoven, Brahms Schubert, Schumann, Russen, Franzosen. Drei Konzerte überträgt Arte live, danach sind sie in der Mediathek zu finden.

Dabei sind sehr enge, zum Teil auch jedes Jahr in Bashkirovas nahem Appartement als Mädels-WG wohnende Freundinnen wie die Geigerin Madeleine Carruzzo. Die war bei den Berliner Philharmonikern die erste Frau – und in Jerusalem ist sie die Power-Viola, ganz wichtig als Kontinuum für die verschiedenen Streicherbesetzungen. So wie auch regelmäßig Rainer Honeck, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, vorbeischaut, der sich stilistisch machtvoll und effektiv etwa um Tschaikowskys Souvenir de Florence-Sextett kümmert.

Jerusalem International Chamber Music Festival 2016 JCMF 070916 con 006 Credit: Monika Rittershaus Von links: Rainer Honneck, Benny Peled, Adrein La Marca, Madeleine Carruzzo, Marie-Elisabeth Hecker, Edgar Moreau spielen Peter Tschaikovsky “Souvenir de Florence”


Foto: Monika Rittershaus

Starflötist Emmanuel Pahud ist eine Festival-Säule, dieses Jahr endlich einmal komplett da mit den auch als einzelne hier gastierenden Bläserformation Le Vents Français. Herrlich perfekt spielen Pahud, François Leleux, Paul Meyer, Radovan Vlatcovic, Gilbert Audin und Eric Le Sage das Sextett von François Poulenc. In Beethovens Quintett für Klavier und Bläser muss sich Elena Bashkirova „nur einklinken, das läuft perfekt“. Man kann ihr nur zustimmen.

Die erdige Mezzosopranistin Marina Prudenskaya begeistert mit feinherben Liedern von Mieczysław Weinberg, wie überhaupt Vokalmusik einen immerwährenden Platz hier hat. Als Geiger sind so eminente Solisten wie Baiba Skride und Kolja Blacher, als Cellisten Julian Steckel, Edgar Moreau und Marie-Elisabeth Hecker aufgeboten. An Pianisten sind gleichzeitig Louis Lortie, Martin Helmchen und Denis Kozhukhin, Kirill Gerstein und András Schiff da, jeder stilistisch anders, mit unterschiedliche Repertoirestärken, alles Freunde, wirklich in gemeinschaftlichem Geist musizierend.

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Und erstmals Festivalgast ist auch der 92-jährige Menahem Pressler, dem inzwischen Lord Weidenfelds Witwe Annabelle im Wortsinn unter die Arme greift. Zutiefst berührend in seiner zärtlichen Langsamkeit reiht er sich in Dvořáks 2. Klavierquintett. „Spielt den langsamen Satz, als ob ihr einen vor zwanzig Jahren erhaltenen Liebesbrief erneut lesen würdet“, hat Pressler seinen Jahrzehnten jüngeren Mitspielern geraten. Und so geschah es. Vom Zauber des Ortes wurde er sofort gefangen. Und sprach auch schon den magischen Satz: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Zum großen Festivaljubiläum.

Der Beitrag Elena Bashkirovas wunderfeines Jerusalem Chamber Music Festival im 19. Jahr erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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