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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Staatsballett Berlin: Gepöbel und Duatos dürftiger „Nussknacker“

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14595784_1066984050082886_3413016118348970497_nDas letzte Mal dürfte in einer Ballettpremiere vor dem Ende vermutlich Anno 1913 vor herumgepöbelt worden sein – bei der als inszenierte Saalschlacht legendär chaotischen Uraufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ in Paris. Jetzt wiederholte es sich in Berlin, und der dortige, nicht gerade durch sein Kunstwollen aufgefallene Staatsballettchef Nacho Duato, darf sich durchaus als der Auslöser verstehen. War er es doch, der noch bevor sich der Vorhang über seinem aus St. Petersburg und Mailand importierten „Nussknacker“ hob, an die Rampe trat, um scheinheilig den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, zu begrüßen. Wohl wissend, was sich daraufhin für ein Pfeif- und Buhkonzert im Saal erheben würde gegen den, der angeblich das Staatsballett zerstörten will – durch die Personalie Sasha Waltz als neuer Co-Direktorin ab 2019. Gegen ihre Berufung haben bei einer Internetpetition inzwischen 18.000 Personen unterschrieben.

14563384_1066984716749486_4543874425622637649_nWaltz hatte wohlweislich mittags bereits ihre Anwesenheit zurückgezogen, auch Kulturstaatssekretär Tim Renner, inzwischen wohl im politischen Koalitionsschacher nicht mehr satisfaktionsfähig, hatte gekniffen. Also ließ Michael Müller im Ersten Rang den Unmut vornehmlich aus dem Parkett ergeben zu sich heraufschallen. Hatten doch so wildgewordene wie fehlgeleitete Mütter und Schülerinnen der Staatlichen Ballettschule schon vor der Deutschen Oper gegen diese Personalentscheidung plärren und mit Trillerpfeifen protestiert.

Als eine Art Berliner Madres di danza del Plaza Mayo hielten sie ihre Plakate hoch. „Sasha weg, Malakhov back“, war da zu lesen. „Renner, du Penner“, skandierte eine Göre, und ähnliches wurde dann auch im Auditorium herumgeschrien. Albern und unerzogen war das, und der Sache der übergangenen Tänzer, die sich deutlich von dem Fan-Rabatz distanzierten, nützt es nichts, die verblassten Mythen von Gestern wieder einzufordern, die zudem gar nicht gefragt worden waren.

Nacho Dutao hingegen passt der Krawall auf dem Nebenkriegsschauplatz, den er und seine unsichtbare Kodirektorin mitanheizen, natürlich bestens, weil er von der eigenen schwachen Leistung ablenkt, die zu solch einer seltsamen und angreifbaren, im Zug der Berliner Neuwahlen nun längst nicht mehr sicheren Entscheidung für die Zukunft des Staatsballetts geführt haben. Währen der folgenden zwei „Nussknacker“-Stunden konnte man sich in seiner Skepsis gegenüber der aktuellen Direktion freilich wieder voll bestätigt fühlen.

Vor drei Jahren gab es im gleichen Haus den letzten neuen „Nussknacker“ als freie Rekonstruktion der Uraufführung von 1892, märchenglitzernd, kinderprall, ausstattungsaufwändig, sehr erfolgreich – und millionenteuer. Den, wenigstens auf DVD aufgzeichnet, glaubte Duato durch seine selbstredend tantiemenpflichtige Version bereits wieder ersetzen zu müssen: eine schandbare, durch nichts zu rechtfertigende, von der Politik nicht verhinderte Verschleuderung von Steuergeldern, wie jetzt zu sehen war.

Denn Duarto bietet in einen ästhetischen Nirwana aus Jugendstil und Gummikleidchen, Marionettengehampel, Elektrosternchen und sinnleeren Varietéeinlagen (Ausstattung: Jérôme Kaplan) eine flache, uninspirierte, visionslose Liebesgeschichte mit austauschbaren Erwachsenen, einem zum harmlos mimischen Schatten verkommenen Onkel Drosselmeier (Rishat Yulbarisov) und wie mutierte Monsterhamster aussehenden sportiven Ratten. Eine entbeinte und entzauberte, choreografisch fade Magerversion, der jede Erzählhaltung fehlt und die keinerlei Deutungsversuch etabliert.

Müde werden da Handlungsreste buchstabiert, routiniert die Tschaikowsky-Tanzfolgen absolviert. Die Ensemblenummern, Gesellschaftsreigen, Schneeflöckchen- und Blumenwalzer (vor einem rosa Cupcake), sind simpel gestrickt, ohne Charme und Raffinesse. Einzig der hübsche orientalische Tanz einer Odaliske (Julia Golitsina) samt Gliederriesenschlange bricht mit Seeerwartungen. Weder wird die Beziehung zwischen Drosselmeier und Clara, noch deren Annäherung zum spät eingeführten Nussknacker plausibel. Da wächst kein Tannenbaum ins Bedrohliche, da hat auch das kaum vorhandene Zuckerland nichts von Kalorien-Überfülle, gar Überdruss.

imagesDas ist Weihnachts-Diät vom Schlimmsten, ölig grinsend, glatt, seelenlos. Und leider auch so exekutiert. Denn während Robert Reimer am Pult des Orchester der Deutschen Oper durchaus bemüht ist, Heimeligkeit, Grazie und Fülle auch Abgründigkeit und Düsternis durch die farbenreich schillernde Musik zu zeichnen, auf der Bühne wird nur dauergrinsend anderswo abgepaustes Bewegungsmaterial abgespult. Ganz besonders im Pas de Deux zweier Pantomimen im ersten Akt, im Französischen Tanz des Süßigkeiten-Divertissements und leider auch im wie eine Schlittschuhläuferkür mechanisierten Grand Pas. Wie schon vor drei Jahren tanzen den – es fehlt der Kompanie schmerzlich an individuell charakterisierenden Solisten – das Ehepaar Iana Salenko und Marian Walter. Technik superb, sie auch mit puppig-zerbrechlicher Attitüde; er wie stets weitgehend darstellerisch auf Autopilot.

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Nein, Vladimir Malakhov wollen wir in dieser verfahrenen Berliner Ballettsituation nicht wiederhaben. Aber zumindest statt dieses aseptischen Industrieprodukts den von ihm initiierten, um Klassen besseren, kinderbegeisternden, wenigstens in seinem strikten Historismus einzigartigen „Nussknacker“.

 

Der Beitrag Staatsballett Berlin: Gepöbel und Duatos dürftiger „Nussknacker“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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