Orchester und ihre Selbstwahrnehmung. Der ewige Tunnelblick der Grabenasseln. Ein besonderes Lehrstück ist gerade wieder einmal an der Komischen Oper zu erleben. Da hatte das Orchester, selten der beste Teil dieses sehr besonderen Gesamtkunstwerkes, vor einiger Zeit große Glück, drei Dirigenten zu haben, die von dort zu Weltspitze aufgestiegen sind: der leider viel zu früh verstorbene Yakov Kreizberg, Kirill Petrenko, der ab 2019 zu den Berliner Philharmonikern an die Spree zurückkehren wird, und Vladimir Jurowski, der als Nachfolger von Marek Janowski zum Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin gehen wird. Danach musste man mit dem farblosen Carl St. Clair und dem Grobmotoriker Hendik Nánási kleine Musikbrötchen backen. Keiner blieb lange, noch hinterlässt er pädagogische Spuren. Seit über einem Jahr wird nun gesucht. Man hat mindestens sechs Kandidaten in der engeren Wahl gehabt, darunter durchaus renommierte Namen wie Kevin John Edusei oder Constantin Trinks. Keiner passte. Am Ende waren Trinks und Antonello Manacorda übrig. Letzerer hat am Sonntag eine musikalisch brillante, begeistert bei Publikum und Presse aufgenommene „Barbier von Sevilla“-Premiere hingelegt, bei der sich so mancher sogar an die besten Zeiten unter Petrenko erinnert fühlte. Der ideale Mann also, weil er auch szenisch mitdenkt, um Barrie Kosky etwas Kontra zu geben. Und nun das: das Orchester hat gegen Manacorda abgestimmt.
Was erwarten sich die Musiker – auch an diesem Haus, die am besten bezahlte, mit den größten Privilegien ausgestattete Arbeitnehmergruppe? Manacorda ist 46, war Konzertmeister unter Abbado beim von ihm mitgegründeten Mahler Chamber Orchestra, hat bei Jorma Panula studiert, sich ruhig, klug, stetig einen Namen als Dirigenten gemacht. Er steht erfolgreich der Kammerakademie Potsdam vor, mit der er einen weltweit beifällig aufgenommenen Zyklus der Schubert-Sinfonien aufgenommen hat, gerade spielt man alle Mendelssohn-Sinfonien ein – und Sony Classical hat weitere Pläne. Manacorda ist zudem Chef des Het Gelders Orkest in Arnhem, wo er sich sein sinfonisches Repertoire erarbeitet. Er hat an der Komischen Oper „Eugen Onegin“ und als Barcelona-Gastspiel eben die „Zauberflöte“ dirigiert. Alle in Haus wollen ihn, besonders die künstlerische Leitung, ganz besonders Barrie Kosky – aber nur nicht das Orchester. Man warte auf Besseres, so die überheblich dünkende Antwort. Schließlich wollte man allen Ernstes auch schon bei Simon Rattle anfragen….
Lieber Orchestermusiker, was wollt Ihr? Wo glaubt Ihr, wo Ihr steht? Würdet Ihr nicht in der Hauptstadt spielen, keiner würde von Euch reden. Antonello Manacorda hat Euch nicht nötig, sondern Ihr ihn. Er wird in Kürze an der Bayerischen Staatsoper debütieren, er hat La Fenice, Glyndebourne, das Theater an der Wien hinter sich, die Metropolitan Opera, London Covent Garden werden folgen, auch Frankfurt und die Berliner Staatsoper. Für ihn wäre die Komische Oper praktisch gewesen, weil er zu Hause in Berlin hätte arbeiten können. Mit Manacorda hätte das Haus wieder ein auch musikalisches Profil gewinnen können, es hätte von seiner wachsenden Reputation profitiert, nicht umgekehrt. Doch wer das wieder nicht gemerkt hat, es in seiner selbstreferenziellen Arroganz nicht bemerkt wollte – natürlich das Orchester. Dumm gelaufen – für die Musik.
Will man an der Komischen Oper wirklich Constantin Trinks? Zumindest im Orchester. Er hat dort vor zwei Wochen „Meistersinger“ dirigiert. Der Karlsruher ist fünf Jahre jünger als Manacorda. Er hat auch mehr Opernerfahrung, gewiss. Er hat in Dresden einen hinreißenden „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ herausgebracht, kürzlich in Straßburg ein temperamentvolle „Liebesverbot“, das er 2013 auch in der Bayreuther Stadthalle schmissig über die Bühne gebracht hat. An der Deutschen Oper Berlin hat er im Repertoire „Tannhäuser“ dirigiert, in München musste er sich mit seinem „Rosenkavalier“ nicht verstecken. Alles solide und ehrlich, so wie auch seine jüngste Einspielung der 1. Sinfonie von Hans Rott mit dem Salzburger Mozarteum Orchester. Aber reicht das als Vision für dieses außergewöhnliche Haus?
Trinks hat seinen Weg ganz brav durch die deutschen Institutionen gemacht: Korrepetitor und Kapellmeister in Karlsruhe, Hospitant bei Thielemann in Bayreuth, Kapellmeister in Saarbrücken, GMD in Darmstadt, wo er 2012 im Gerichtsstreit mit dem Intendanten John Dew schied. Seitdem sucht er, eine feste Stelle gab es bisher nicht, nur edle Repertoiredirigate, meist deutsches Fach, Mozart, Wagner, Strauss. Wobei man auch aus Bayreuth und Berlin hörte, dass Orchester mit ihm nicht klar kamen. Was bei Manacorda bisher nie der Fall war. Und sein Repertoire ist bunter, mutiger, er war internationaler unterwegs.
Trinks und die Komische Oper? Man bekommt das nicht wirklich zusammen. Vom Repertoire her nicht, und auch nicht von der Persönlichkeit. Gerade weil Barry Kosky, weil die Szene dort so dominant ist, braucht es einen Musikchef, der sich einerseits auf Abenteuer einlässt, wie Manacorda es im „Barbiere“ getan hat, wo die ganze Ouvertüre über das Optische das Sagen hat, wo dauern die Hauptaktion hinter seinem Kopf auf der Passerelle abgeht und er trotzdem alles zusammenhalten muss. Man hat Trinks bisher nichts als Partner der Regisseure auf Augenhöhe erlebt. Gerade danach aber verlangt auch die Komische Oper. Aber nicht nach einen eher altmodischen Dirigenten, mit dem das Orchester (nach nur einer Vorstellung!) seine sich hoffentlich nie mehr verwirklichenden Pläne von noch mehr Wagner und Strauss weiterträumen möchte. Dafür sind in Berlin andere Klangkörper zuständig. Und das soll bitte so bleiben. Es reicht schon, wenn Barenboim und Runnicles um ihre „Ringe“ streiten…
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