Seine Name hat Gewicht. Auf Bitten der Tänzer des Berliner Staatsballetts meldet sich John Neumeier, dienstältester und berühmtester Ballettchef Deutschlands, zu Wort. Und wer Neumeier kennt, der weiß, dass er eigentlich die Diplomatie in Person ist. In dem Antwortschreiben als offenem Brief, das er zudem in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „tanz“ veröffentlicht, stellt er seine Sicht auf die künstlerische Perspektive der Kompanie dar. Und wenn er auch am Ende versucht, versöhnlich zu sein, und darlegt, wie schwer er selbst, obwohl als klassisch geschulter Choreograf vom Stuttgarter Ballett und aus Frankfurt nach Hamburg kommend, es dort zunächst hatte, so wird doch aus seinen Eingangssätzen sehr deutlich, dass er der Berliner Personalentscheidung doch sehr befremdet gegenübersteht:
Liebe Vertreter der Tänzer des Staatsballetts Berlin,
vielen Dank für Ihre Nachricht, die mich am Tag vor der Wiederaufnahme meines Balletts „Nijinsky“ in Hamburg erreichte. Selbstverständlich habe ich – in der Presse – die Neuigkeiten und Diskussionen verfolgt, die Sie nach der Bekanntgabe einer neuen Intendanz für Ihre Compagnie begleitet haben.
Ihre Situation zu kommentieren, bringt mich aber in eine heikle und äußerst schwierige Lage. Ohne diese politische Entscheidung zu kritisieren, möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass diese Entscheidung für mich äußerst überraschend kommt. Obwohl eine Doppelintendanz angekündigt ist, legt der weitaus bekanntere Name des Direktoren-Teams, Sasha Waltz, es nahe, dass die Ausrichtung und der prägende kreative Schwerpunkt der Leitung im Bereich des Tanztheaters liegen werden, während das klassische Ballett, in Waltz‘ Worten, in die Abteilung „Alte Meister“ eingeordnet wird.
Johannes Öhman ist weniger bekannt, und das gilt auch für seine Absichten. Soweit ich weiß, setzt er in seiner Arbeit beim Königlich-Schwedischen Ballett vorzugsweise auf zeitgenössische Interpretationen des klassischen Repertoires – wie zum Beispiel bei der international erfolgreichen Kreation des Balletts „Julia und Romeo“ von Mats Ek und der Wiederaufnahme von dessen „Schwanensee“.
In jedem Fall ist es mir nicht möglich, ein Urteil über die Auswirkungen einer geteilten Intendanz zu fällen, die noch kein Programm präsentiert hat und deren Amtszeit in der Praxis noch nicht begonnen hat.
Darüber hinaus wäre es für mich besonders schwierig, eine derart fragwürdige oder zumindest stark umstrittene Entscheidung zu kritisieren, weil die Vorbereitung meiner ersten Spielzeit als designierter Ballettdirektor in Hamburg von extrem negativen Presseberichten und ernsten Zweifeln auf Seiten des Ballettensembles getrübt war. Die Ereignisse dieser ersten Spielzeit bewirkten freilich einen unmittelbaren Stimmungsumschwung: Sie führten zu einer breiten Akzeptanz meiner Vision und neuen Zukunftsperspektiven für das Hamburg Ballett.
John Neumeier, Intendant und Chefchoreograf des Hamburg Ballett
Gleichzeit pocht man aber bei Sasha Waltz & Guests auf auf ihren Marktwert. In eine aktuellen Pressemitteilung, die darüber informiert, dass mit Lottomitteln, dass heißt ziemlich überteuert und für hohe Miete, wieder einmal ihr gut abgehangenes Stück „Körper“ im Haus der Berliner Festspiele zu sehen ist, wird dieses gleich zum „Klassiker“ geadelt, der zudem einem „legendären choreographischer Zyklus über den Menschen und seinen Körper“ entstamme. Ja, so bastelt jeder an seinem Mythos. Als ob nicht jedes zweite Tanzstück, zeitgenösisch zumal, mit dem Menschen und seinem Körper zu tun hat…
Sasha, die Verklärte, lässt also die Stadt huldvoll noch einmal an ihren guten Taten von 2000 teilhaben. Die zufälligerweise auch 2016 im von Johanns Öhman geleiteten, und kräftig auf Moderne getrimmten Königlich Schwedischen Ballett ins Repertoire genommen wurden. Wovon dort dem Vernehmen nach nicht jeder so begeistert war wie ihre Berliner Pressestelle. Aber das hat Tradition: So manche Berliner Legende reichte nicht weiter als bis Wilmersdorf.
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