Berlin muss auch künftig auf einen lockenköpfigen Engländer als Chefdirigenten nicht verzichten: Denn wenn im Sommer 2018 Simon Rattle zumindest seinen Dienst bei den Philharmonikern quittiert, um sich dem London Symphony Orchestra zu widmen, dann wird Robin Ticcati schon eine Spielzeit als Chef am Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters verbracht haben. Und dazu kann sich Berlin nur beglückwünschen. Denn der 32-jährige Brite mit italienischen Wurzeln ist einer der heißesten Kandidaten seiner Generation für viele spannende Chefposten. Dass er, der sich rar macht, in Deutschland aber schon gute Erfahrungen als Gastdirigent der Bamberger Symphoniker gesammelt hat, mit so kurzem Vorlauf das DSO übernimmt, spricht nur für die Qualität und das Standing dieses sehr besonderen, flexiblen, immer wieder überraschenden Klangkörpers – und für die Attraktivität des Orchesterstandortes Berlin.
Tugan Sokiev, der mit 38 Jahren ebenfalls noch sehr junge gegenwärtige Chef des DSO, hinterlässt dieses in allerbestem Zustand und Einvernehmen. Der in St. Petersburg ausgebildete Osete, der von Valery Gergiev entscheidend gefördert wurde, will sich freilich (nach leider nur vier Jahren in Berlin) auf sein anderes Orchester in Toulouse und vor allem auf den Musikdirektorenposten des nicht unkomplizierten Moskauer Bolschoi Theater konzentrieren, den er sicher auch aus patriotischen Gründen Anfang 2014 übernommen hat.
Robin Ticciati wurde 1983 in London geboren und zunächst als Violinist, Pianist und Schlagzeuger ausgebildet. Er spielte im National Youth Orchestra of Great Britain, bis er sich im Alter von 15 Jahren dem Dirigieren zuwandte. Zu seinen Mentoren und Förderern gehören Sir Colin Davis und Sir Simon Rattle. Zwischen Ticcati und dem DSO war es offenbar Liebe auf den ersten Taktschlag, denn er hat das Orchester erst einmal im September 2014 dirigiert – gleichzeitig sein Berlin-Debüt: „Es ist mir eine große Ehre und Freude, ab September 2017 hier die künstlerische Verantwortung zu übernehmen“, kommentiert der künftige Chef. „Als ich erstmals mit den Musikerinnen und Musikern dieses Spitzenensembles arbeiten durfte, war ich unmittelbar fasziniert von der Flexibilität und dem reichen Klang ihres Spiels und von der hohen Einsatzbereitschaft jedes Einzelnen. Das ist es, nach dem ich immer suche, hier habe ich es gefunden.“
Robin Ticciati startet ab der Saison 2017/2018 mit einem Fünf-Jahres-Vertrag, er will nach Berlin ziehen, sich ganz auf die Stadt und sein neues Orchester einlassen. Darüber ist die Freude beim DSO natürlich groß. Moglicherweise wird er das Scottish Chamber Orchestra, dem er seit 2009 vorsteht, aufgeben, er möchte sich auf Berlin und seit zweites Amt als Musikdirektor des sommerlichen Glyndebourne Festivals konzentrieren. Der Opernnarr hat auch gute Beziehungen zum Royal Opera House Covent Garden in London.
In Glyndebourne folgte Ticciati 2014 übrigens auf den in Berlin beheimaten Russen Vladimir Jurowski. Der 43-Jährige, der kürzlich einen Riesenerfolg mit Schönbergs „Moses und Aron“ an der Komischen Oper (wo er von 1996-2001 als Kapellmeister wirkte) hatte, wird nach einer gleichzeitig mit der Ticciati-Berufung bestätigten Medlung den im Sommer 2016 scheidenden Marek Janowski beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin beerben. Daneben hält der noch Posten beim London Philharmonic Orchestra, beim Orchestra of the Age of Enlightenment und beim Staatlichen Akademischen Sinfonieorchester Russland. Klar scheint, dass die geldgebende Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin, somit beide Orchester auch weiterhin erhalten will.
Robin Ticciati wird sich am 12. November in Berlin im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellen. Doch auch jetzt formuliert er schon Absichten: „Als Musiker ist es unser Ziel, eine positive Veränderung – ganz gleich wie groß oder klein – in den Leben derer zu bewirken, die zuhören und Anteil nehmen. Daher begeistert mich die Perspektive, Teil des aufregenden und vielgestaltigen Berliner Kulturlebens zu werden, nicht nur mit unseren Sinfoniekonzerten, sondern ebenso durch die Education-Projekte mit dem DSO.“ Sein nächsten Konzert in Berlin gibt er am 28. Februar mit Werken von Widmann, Korngold, Ravel und Debussy.
Orchestervorstand Matthias Kühnle fügt hinzu: „Zwischen Robin Ticciati und unserem Orchester stimmte die Chemie von der ersten Begegnung an. Die gemeinsame Probenphase und die Aufführung von Bruckners Vierter Sinfonie blieben uns nachhaltig in Erinnerung und geben uns heute die Gewissheit, in ihm den richtigen Nachfolger für Tugan Sokhiev gefunden zu haben.“
Eine Bestätigung des Vertrags von Robin Ticciati durch das Kuratorium der roc berlin ist in die Wege geleitet. Robin Ticciati ist nach Ferenc Fricsay, Lorin Maazel, Riccardo Chailly, Vladimir Ashkenazy, Kent Nagano, Ingo Metzmacher und Tugan Sokhiev der achte Künstlerische Leiter in der Geschichte des ehemaligen Berliner RIAS- und Radio-Symphonie-Orchesters. Mit Daniel Barenboim weiterhin bei der Staatskapelle und der Staatsoper, Kirill Petrenko zu einem noch nicht definierten Zeitpunkt bei den Philharmonikern, Ticcati beim DSO, Jurowksi beim RSB, Donald Runnicles an der Deutschen Oper und einem baldigen neuen Chefdirigenten an der Komischen Oper wird das Berliner Orchesterleben also weiterhin spannend, gut aufgestellt und repertoiremäßig ausbalanciert bleiben.
In dieser und der kommenden Spielzeit kehrt Robin Ticcati nicht nur zum DSO, sondern ebenfalls zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Gewandhausorchester Leipzig, der Sächsischen Staatskapelle Dresden, den Wiener Symphonikern, dem Swedish Radio Symphony Orchestra, dem Budapest Festival Orchestra, dem London Philharmonic Orchestra, dem London Symphony Orchestra, dem Orchestre National de France, den Rotterdamer Philharmonikern sowie dem Philadelphia Orchestra zurück und debütiert u. a. bei den Tschechischen Philharmonikern, dem Chamber Orchestra of Europe und dem NDR Sinfonieorchester in Hamburg.
Von 2010 bis 2013 war er Erster Gastdirigent der Bamberger Symphoniker. In seiner zweiten Spielzeit als Musikdirektor des Glyndebourne Festival dirigierte Robin Ticciati Neuproduktionen von Strauss“ „Der Rosenkavalier“ (eben auf DVD erschienen) und Mozarts „La finta giardiniera“ und „Die Entführung aus dem Serail“ sowie eine Wiederaufnahme des Ravel-Doppelabends mit „L’heure espagnole“ und „L’enfant et les sortilèges“. Neben Glyndebourne dirigierte Robin Ticciati in der jüngsten Vergangenheit Produktionen von Brittens „Peter Grimes“ an der Mailänder Scala, Mozarts „Le nozze di Figaro“ bei den Salzburger Festspielen, Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Royal Opera House in London und sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York mit Humperdincks „Hänsel und Gretel“. 2017 wird er an die Met zurückkehren.
In seiner mittlerweile siebten Spielzeit als Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra legt Robin Ticciati Schwerpunkte auf Brahms und auf die Zweite Wiener Schule. Gastspielreisen mit seinem Kammerorchester führten ihn durch Europa und nach Asien sowie zu regelmäßigen Auftritten im Rahmen des Edinburgh Festival. Die eben veröffentlichte gemeinsame Einspielung mit Haydn-Sinfonien für Linn Records wurde von der Presse begeistert aufgenommen. Die drei Vorgängeralben, ebenfalls bei Linn Records erschienen, – zwei Berlioz-CDs und eine Gesamteinspielung der Schumann-Sinfonien – wurden von der Kritik gleichermaßen hochgelobt.
Robin Ticciatis Diskographie umfasst außerdem Berlioz’ „L’Enfance du Christ“ mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra (Linn Records), Dvořáks Neunte Sinfonie, Bruckners Messe Nr. 3 und eine Brahms-Einspielung mit den Bamberger Symphonikern und dem Chor des Bayerischen Rundfunks (Tudor) sowie eine Vielzahl von Opern-Aufnahmen für Opus Arte und dem Hauslabel des Glyndebourne Festivals.
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