Der 1991 geborene, in Moskau und Cleveland ausgebildete Russe Daniil Trifonov hat in den letzten vier Jahre eine außergewöhnliche Klavierkarriere gemacht. Doch die in den Jahren 2010 und 2011 gewonnenen Preise beim Chopin-Wettbewerb in Warschau, beim Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv und beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau offenbarten nicht nur ein grandioses technisches Talent, sondern auch einen ungewöhnlich sensiblen und originellen Interpreten. Nach diversen Live-Mitschnitten ist nun Daniil Trifonovs erste, ganz den drei großen Variations-Zyklen von Sergej Rachmaninow gewidmete Studio-CD erschienen. Die Werke über Themen von Chopin, Corelli und Paganini werden komplettiert durch Trifonovs eigene Rachmaniana-Suite. Eine Kritik findet sich auf Welt.de. Ich traf diesen Ausnahmepianisten zum Interview in Berlin
Manuel Brug: Ist das Ihr CD-Debüt als Komponist?
Daniil Trifinov: Ja, ich habe aber schon mit vier Jahren angefangen. Und natürlich spielt man da nicht nur Noten, sondern improvisiert ein wenig herum. Das Klavier wurde sehr schnell das Objekt, mit dem ich am besten meine Gefühle ausdrücken konnte, und ich wolle das natürlich nicht nur mit den Noten und Kompositionen von Chopin oder Bach tun, sondern sehr schnell auch mit eigenen Klanggebilden. Und irgendwann habe ich auch begonnen, das methodischer zu tun und es zu fixieren. Es gab aber immer wieder auch Perioden, wo ich gar nicht komponiert habe, zum Beispiel als ich mit meiner Familie nach Moskau gezogen bin, um die Gnessin-Musikschule zu besuchen. Da wohnten wir in einem Vorort, und ich habe jeden Tag drei Stunden nur in Bus und Bahn verbracht. Da hatte ich einfach keine Zeit dafür. Die Klavierstunden wurden auch sehr intensiv.
Brug: Wann haben Sie wieder angefangen?
Trifonov: Etwa mit 14 Jahren. Und als ich dann später nach ans Cleveland Institure of Music kam, merkte ich auch, wie sich meine eigene Klangsprache veränderte, ich war damals sehr mit den Werken von Rachmaninow beschäftigt und das hat mich stark beeinflusst. Ich hatte natürlich auch Heimweh. Und die Musik von Rachmaninow war so etwas wie eine sentimentale Brücke, die mich mit Russland verbunden hat. So wie es auch schon bei ihm selbst war, der viele Werke im Ausland komponiert hat und darin seine verlorene Heimat in Klängen sucht. Ich habe das freilich immer nur gehört und verarbeitet. Mein erstes Rachmaninow-Stück habe ich erst mit zwanzig gespielt, nach dem Tschaikowsky-Wettbewerb, es ist also noch gar noch so lange her.
Brug: Wie kam das?
Trifonov: Das geht auf den Einfluss meines Lehrers Sergei Babayan in Cleveland zurück, der meinte, jetzt sei ich auch geistig reif dafür, damit es nicht zu sentimental würde. Und man soll diese Stücke auch erst spielen, wenn man wirklich die technischen Fähigkeiten dafür besitzt. An der Gnessin-Schule habe ich hingegen vor allem Chopin, Schumann und Skrjabin zu spielen gelernt, auch Beethoven, Mozart, Prokofiew und Tschaikowsky. Ich hatte damals in Cleveland dann ja auch systematischen Kompositionsunterricht. Und immer nach Babayans Stunden, besonders wenn wir uns mit Rachmaninow beschäftigt hatten, ging ich an mein Klavier und übte das nicht noch einmal, sondern versuchte, aus dieser Stimmung heraus selbst etwas zu schreiben.
Brug: Wurde deshalb Ihre erste Studio-CD jetzt eine mit Rachmaninow-Stücken?
Trifonov: Ja, aber auch, weil ich unbedingt zeigen wollte, wie wichtig für Rachmaninow das Genre der Variationen war. Es ist wirklich sehr zentral für sein Werk, zieht sich durch alle Schaffensperioden, das wollte ich vorstellen. Er hat schon vor den frühen Chopin-Variationen in seinem Trio elégiaque den zweiten Satz in Variationen angelegt. Variationen zeigen wie in einer Nussschale sein kompositorisches Genie, eine Methodik wird hier ausgestellt, und natürlich kann man auch seine unglaublichen manuellen Fähigkeiten als Pianist nachvollziehen.
Brug: Dominieren die nicht bisweilen zu sehr die Kompositionen?
Trifonov: Nicht in diesen Variationswerken. Virtuosität hat hier immer eine dienende Funktion, die Veränderungen in der Musik unterstreichen und herausheben soll. Sie wird zum Träger der Imagination, die sich in feinsten Schattierungen und Charakterwechseln der Musik wiederspiegelt. Besonders ist das in der Paganini-Rhapsodie zu beobachten, seinem reifsten Werk in diesem Bereich. Auch weil hier natürlich noch die Klangpalette des Orchesters hinzutritt. So gibt es wirklich unglaublich feine Abstufungen und Möglichkeiten, mit Farben zu spielen. Das habe ich sehr genossen.
Brug: Welche Rolle spielten da gerade dieses Orchester und dieser Dirigent?
Trifonov: Eine sehr glückhafte! Yannick Nézet-Séguin und ich haben schon bei diesem unserem ersten künstlerischen Zusammentreffen gespürt, dass wir vortrefflich harmonieren, dass wir ähnlich fühlen und atmen. Die Kommunikation zwischen uns ist sehr einfach, wir reagieren fast impulsiv aufeinander. Ich habe Ähnliches zwischen ihm und der Geigerin Lisa Batiashvili erlebt. Und es war natürlich ein Glücksfall, dass Yannick mit seinem Orchester Zeit und Lust hatte. Schließlich ist das Philadelphia Orchestra ein echtes Rachmaninow-Orchester, wo er selbst aufgetreten ist, wo Stokowski und Ormandy immer seine Werke gepflegt und klassische Einspielungen vorgelegt haben. Die Musiker sind mit dieser Klangwelt also über Generationen bestens vertraut und sie lieben sie. Der Rachmaninow-Klang von Philadelphia mit seiner klaren Phrasierung und seinen durchsichtigen Strukturen, der ist eine ihre tönende Visitenkarten, und da bemühen sie sich natürlich besonders. Und gerade die Paganini-Rhapsodie ist ein sehr sinfonisches Stück, wo das Klavier stark mit dem Klangkörper verwoben ist. Da war mir die Begleitung natürlich besonders wichtig. Auch im 4. Konzert ist das Klavier eigentlich Teil des Orchestersatzes. Doch auch in den frühen Variationen findet sich oft ein sehr komplexes, polyphones Element mit Kanons und Kontrapunkten. Interessanterweise sind seine Finali immer in Des-Dur…offenbar mochte er diese Tonart besonders, so wie Chopin sein Es-Dur!
Brug: Sie leben heute in Moskau und bei Ihrer Freundin in New York. Fühlen Sie sich ein wenig wie Rachmaninow?
Trifonov: Ich denke viel an ihn und über ihn nach. Er konnte nach der Revolution nie wieder zurück nach Russland. Ich habe die Möglichkeit beider Welten. Rachmaninow wurde als Komponist geformt durch die russische Musik und durch unsere orthodoxe Chortradition. Doch später lernte er die Eleganz und Weitläufigkeit des Westens zu schätzen. Und er wurde eigentlich erst im Exil zu dem glänzenden Pianisten, der uns so viele brillante Aufnahmen hinterlassen hat, weil er Geld verdienen musste.
Brug: Hängt dieses Interesse auch mit Ihrer Leidenschaft für historische Aufnahmen, überhaupt für die Interpretationsgeschichte des Klavierspiels zusammen?
Trifonov: Natürlich. Rachmaninow ist – nicht nur als Interpret eigener Werke – für mich einer der unglaublichsten Pianisten überhaupt. Ich bewundere seine kreative Fantasie, aber ich klebe nicht daran. Er inspiriert mich, vor allem durch seine Freiheit. Es gibt zwei Aufnahmen seines 2. Klavierkonzerts, jede ist total anders – und total anders, als was in den Noten steht! Das ist ein freies Denken, das aber sehr präzise den Raum auslotet, rhythmisch ist er ein Genie. Rachmaninow spielt langsam und trotzdem scheint er sehr schnell voranzukommen, das ist einfach großartig. Solches sind etwa Momente, die ich auf historischen Aufnahmen suche – und dann bei Horowitz, Ignaz Friedman, Vladimir Sofronizki, Alfred Cortot, Josef Hoffmann oder Dinu Lipatti wiederfinde.
Brug: Es gibt die Künstler, die das Publikum zu ihrem Auftritt brauchen und jene, die es als notwendiges Übel empfinden. Wo würden Sie sich einordnen?
Trifonov: Unter ersteren! Eine Zuhörerschaft spielt für mich eine enorme Rolle, auch weil ich sofort ein Feedback spüre. Ich brauch das während des Spiels, weil es eine ganz andere Atmosphäre erzeugt als beim Üben in einem Zimmer. Eine große Halle mit einer guten Akustik und einem aufmerksamen, responsiven Publikum ist durch nichts zu ersetzen. Ich habe das jetzt bei meiner ersten Studioarbeit gemerkt, man organisiert sich ganz anders, muss sich das Publikum vorstellen. Das war auch eine interessante Erfahrung, aber das Livekonzert mit seiner Intensität möchte ich nicht missen. Im Studio muss man sich erst mal warm spielen, auf volle Funktion hochlaufen und ist durch die Wiederholungen mitunter schon geistig müde, wenn es technisch perfekt läuft. Diese Balance musste ich lernen. Im Konzert hingegen muss ich gleich da sein. Das Adrenalin sprudelt nur so, ich mag das.
Brug: Schätzen Sie jetzt also Studioaufnahmen?
Trifinov: Es ist eine sehr spezielle Kunst für sich, mit sehr unterschiedlichen Elementen: Ich habe gerade gelernt, Respekt davon zur haben. Etwa, dass man für unterschiedliches Repertoire im Studio auch ganz unterschiedliche Klaviere wählen muss, weil die Mikros einfach näher dran sind, mehr offenbaren. Ich habe zum Beispiel in New York für die Soloeinspielungen ein amerikanisches Steinway-Piano gefunden, das einen schönen, dunklen, samtigen Klang hatte, es klang mehr nach Moll, das war fein. Und ich habe bei der Orchesteraufnahme in Philadelphia gestaunt, wie sehr doch die Mikrofoneinstellung den Klang beeinflussen kann. In der Rhapsodie, will Rachmaninow jedes Soloinstrument hervorleuchten lassen, das ließ sich so famos realisieren. In den Konzerten hingegen ist das mehr verblendet und undeutlicher, was eine andere Klangästhetik ergibt.
Brug: Ihre Karriere hat sich seit 2011 rasant nach oben entwickelt. Wo sehen Sie sich selbst in zehn Jahren?
Trifonov: Puh, das ist eine lange Zeit, noch sehr weit weg….
Brug: Und in fünf?
Trifonov: Ich werde neue Stücke einüben. Eine der Strategien meine Lehrers Sergei Babayan ist immer das Abgeschlossene mit einer neuen, sich organisch entwickelnden Schwierigkeit fortzusetzen. Auf Chopin folgte Liszt, dann Rachmaninow mit allen Konzerten. Als nächstes werden ich mir die beiden Brahms-Konzerte vornehmen. Dann werden wir sehen.
Brug: Sind Ihre eigenen Kompositionen alle in einem spätromantischen Stil gehalten, oder gibt es darin auch zeitgenössischere Momente?
Trifonov: Er hängt immer davon ab. Rachmaniana ist natürlich eine Hommage und lässt auch den Impressionismus anklingen. Meine Klaviersonate ist eher dem frühen 20. Jahrhundert verpflichtet, während mein 1. Klavierkonzert ganz anders klingt. Gerade sitze ich an einem zweiten Konzert, das wird wieder anders sein. Aber es stimmt, meine Werke sind oft dadurch beeinflusst, was ich selbst gerade auf dem Notenständer zu liegen habe. Generell kann ich aber sagen, ich mag sowohl den stählernen Modernismus eines Sergei Prokofiew wie auch den brillanten, bisweilen elegischen Orchesterklang von Richard Strauss. Doch mein stärkstes Klangerlebnis ist und bleibt die Orchestermusik von Alexander Skrjabin – seit ich mit 11 Jahren sein Poème de l’Exstase hörte, das war wie eine Explosion für mich. Der war lange mein Held auf einem Podest. Heute hingegen achte ich durchaus darauf, dass ich meine Musik nicht nur fürs Kammerlein schreibe. Eben habe ich wieder das Klavierkonzert in Pittsburgh gespielt und es kommt auch nächsten Sommer bei einem europäischen Festival.
Brug: Sie mussten Anfang des Jahres längere Zeit pausieren. Waren Sie zu erschöpft?
Trifonov: Es geht vermutlich jedem Künstler ähnlich. Plötzlich ist man sehr gefragt, die Angebote sind alle wunderbar. Nach den Wettbewerbssiegen wurde es bisweilen schon hektisch. Und dann lernt man, wie man einen Kalender ausbalancieren muss. Ich mache jetzt auch nicht weniger als vorher, aber es ist besser strukturiert, mehr blockartig. Freizeit als Qualitätszeit hat einen höheren Stellenwert bekommen. In kürzeren, aber häufigeren Abständen, das tut mir gut. Ich kann mich in einer Woche, die wirklich ohne Verpflichtungen ist, sehr gut wieder aufladen, wenn die nächste derartige Woche dann nicht zu weit weg ist. Und es muss ausgewiesene Perioden geben zum Konzertieren, Spielen, Komponieren, Neues lernen oder einfach nur zum das Leben Genießen. Ich habe jetzt zum Beispiel im November und Dezember eine sehr intensive Phase mit fast allen Rachmaninow-Konzerten in New York, Stockholm, München und Wien. Dann ist aber auch wieder Pause.
Brug: Wer sind die für Sie wichtige Dirigenten?
Trifonov: Da muss ich natürlich als ersten Valery Gergiev nennen, nicht nur weil er seit dem Tschaikowsky-Wettbewerb ein Mentor ist, mit dem ich das b-moll-Konzert auch aufgenommen habe. Er hat mich auch immer wieder an ungewöhnliches Repertoire herangeführt, etwa Strawinskys Klavierkonzert mit Bläsern, das Skrjabin-Konzert oder das 2. Glasunow-Konzert. Und mit Yannick wird es sicher weiter gehen und intensiver werden. Mit hat auch Spaß gemacht, endlich einmal mit dem Cleveland Orchestra zu arbeiten, nachdem ich es so lange nur gehört habe. Und mit Franz Welser-Möst werde ich erstmals beim Nobelpreis-Konzert am 8. Dezember in Stockholm zusammentreffen.
Brug: Wie analysieren Sie selbst Ihr Spiel?
Trifonov: Zu erst einmal ist natürlich ein guter Flügel wichtig. Und das war toll in Cleveland, da bekam man als Exzellenzstudent zu Hause ein Instrument zur Verfügung gestellt. Denn ich nehme mich oft beim Üben auf. Aber nicht nur akustisch, auch mit der Videokamera. Ich finde das sehr effektiv, man sieht besser, wie man etwa einen Anschlag anlegen soll. Denn bei den großen spätromantischen Konzerten ist die Schulterhaltung sehr wichtig, damit man nicht Schmerzen bekommt. Ich habe auch schon in einem Swimmingpool geübt. Durch die Wasserverdrängung braucht man mehr Energie, das zahlt sich dann im Trockenen durchaus aus. Denn die Anstrengung muss aus dem Rücken, nicht so sehr von den Armen kommen. Man hat dann mehr Freiheit im Schulterbereich. Und schaue nicht nur gern Fußball, ich bin auch als Wanderer aktiv. Cleveland hatte wunderbare Nationalparks in der Umgebung.
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