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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Bolschoi Ballett: Der angebliche Säure-Attentäter steht dort wieder an der Tanzstange

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pavel-dmitrichenkoEin Angestellter ist mit den Entscheidungen seines Chefs nicht zufrieden und lässt ihm deshalb Säure ins Gesicht schütten; worauf dieser fast erblindet. Der Angestellte wird zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt und nach der Hälfte wegen guter Führung entlassen. Kurze Zeit später taucht er, mit einem Hausausweis ausgestattet, bei der gleichen Firma wieder auf, wo der Chef inzwischen degradiert wurde, um sich nach dem Gefängnis in seinem Beruf wieder upzudaten und zu optimieren. Und unter den Mitarbeitern findet keiner was dabei. Bei uns sicher ungewöhnlich, in Russland, dessen Mühlen der Justiz und Gerechtigkeit immer noch aus westeuropäischem Blickwinkel seltsam mahlen, durchaus möglich. So wie jetzt eben am Moskauer Bolschoi Theater geschehen. Das macht seit längerem schon eher selten wegen seiner künstlerischen Höhenflüge von sich reden. Aber es hatte im Januar 2013 einen weltweit Schlagzeilen machenden Skandal zu verkraften, als auf den damaligen Ballettdirektor Sergej Filin beim Betreten seines Hausflurs ein Säureattentat verübt wurde. Verhaftet wurde damals rasch als vermutlicher Urheber der Solotänzer Pavel Dmitritchenko.

Angeblich habe er sich an Filin rächen wollen, weil dieser seiner Freundin Anzhelina Vorontsova keine Rollen gegeben habe. Viele im Bolschoi sahen den blonden, blassen, im Gerichtssaal apathisch wirkenden Dmitritchenko schon damals als Bauernopfer, als Drahtzieher wurde unter anderem der streitsüchtige, Putin-nahe georgische Primaballerino Nikolaj Ziskaridze vermutet, der schon lange scharf auf den Filin-Posten war. Den hat er nicht bekommen, dafür wurde er zur Entrüstung vieler ohne jede pädagogische Eignung als Direktor der Vaganova Akademie in St. Petersburg weggelobt, aus der sich der Nachwuchs des dortigen Mariinsky Balletts speist.

Und am Bolschoi wurde der Generalintendant durch Vladmir Urin vom kleineren Moskauer Stanislawski Theater ersetzt, der hart durchgriff, Filin absägte, in eine hintere Pädagogenreihe steckte und den einstigen Mariinsky- und zuletzt Mailänder Scala-Ballettchef Makhar Vaziev als Nachfolger berief. Friede herrscht in der intrigensüchtigen Truppe, wo viel zu viele Solisten um die wenigen Auftritte in Hauptrollen konkurrieren, immer noch nicht.

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Und nun steht, mit Einwilligung Vazievs und einem Hausausweis von Urin ausgestattet, plötzlich wieder der im Mai entlassene Pavel Dmitritchenko beim Morgentraining an der Bolschoi-Stange. Das hat er auch bitter nötig, denn die Haftjahre haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Der 32-Jährige ist nicht mehr in Form und auch kein offizielles Mitglied des Bolschoi Balletts mehr. Aber er glaubt offenbar, sich hier hier wohlmöglich noch einmal bewerben zu können. „Ich fühle mich wie ein Reisender, der nach einer langen Weltumrundung wieder nach Hause zurückgekehrt ist. Ich fühle Glück und Ruhe“, so lässt sich Dmitrichenko allen Ernstes zitieren. Ja, und auch Filin, der nach Dmitrichenkos Entlassung gesagt hatte, er fürchte sich vor ihm, den hätte er schon wiedergesehen, das sei doch schließlich nichts Besonderes: „Filin hat mich nie wirklich interessiert, also kann ich über ihn gar nichts sagen.“

Oberboss Vladimir Urin hat mittlerweile er ausrichten lassen, Dmitrichenko könne sich jederzeit wieder bei einem Vortanzen auf eine offene Stelle bewerben. Dessen Spezialität auf der Bühne waren übrigens vor allem Schurkenrollen. Und bald beginnen die Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag von Yuri Grigorovich, des bis heute dort die Strippen mitziehenden legendären Sowjet-Ballettchefs. Dann spielt man sicher auch wieder dessen „Ivan der Schreckliche“ von 1975. So mancher vermutet, wohlmöglich werde sich Dmitrichenko für seine alte Starrolle bewerben – und diese vielleicht sogar tanzen. In Russland würde das wohl nicht verwundern. Und für den Westen gilt: Auch schlechten PR ist PR.

 

 

 

 

 

 

 

 

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