Sein Italienisch ist sehr trocken. Er spricht sanft, denkt lange nach, antwortet sehr ehrlich. Nicht unbedingt der typische Maestro aus dem Süden. Michele Mariotti, 37 Jahre alt, ist der Sohn des langjährigen Intendanten des Rossini Opera Festivals in Pesaro, wo er natürlich geboren wurde, aufgewachsen ist und studiert hat. Danach machte er national und international Karriere. 2012 heiratete er die russische Sopranistin Olga Peretyatko, die er zwei Jahre vorher bei den Proben für „Sigismondo“, ebenfalls in Pesaro, kennengelernt hatte. Seit 2014 amtiert Mariotti als Musikchef des Teatro Communale di Bologna, dessen Orchester jedes Jahr in Pesaro spielt. Heute Abend aber dirigiert er an der Deutschen Oper Berlin mit dem ihm ebenfalls aus Pesaro bestens bekannten Juan Diego Flórez seine erste deutsche Premiere: „Les Huguenots“ von Giacomo Meyerbeer.
Haben Sie eine Beziehung zu Berlin?
Ich bin gern hier. Und ja, noch ist es persönlich, denn ich wohne in Olgas Appartement, sie hat ja hier studiert, verkauft es aber hinterher. Unser Lebensmittelpunkt verlagert sich. Ich liebe Berlin, denn alles funktioniert, wenn ich es mit Italien vergleiche! Es gibt so vieles, was wir nicht haben die Regeln vor allem. Auch und ganz besonders mit dem Orchester, sie sind motiviert, sie sind nett, ruhig, professionell. Und das Beste: Die Musiker sind wirklich still, wenn man abbricht und reden nicht weiter, so wie in Italien. Ich bin jedes Mal so überrascht, wenn sie ruhig sind, dass ich vergesse, was ich eigentlich sagen wollte.
Aber haben sie auch Verständnis für diesem speziellen Meyerbeer-Klang?
Es ist ein eleganter Klang, das haben sie von Enrique Mazzola behalten, das habe ich schon öfters erlebt, der ist sehr gut. Und er hat hier zweimal Meyerbeer dirigiert. Aber ich muss auch dem GMD der Deutschen Oper, Donald Runnicles, danken, das Orchester ist sehr motiviert.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur David Alden?
Er kennt das Stück! Ob eine Produktion traditionell oder modern wird, ist mir egal, aber ich will auf Professionalität treffen, nicht nur auf Originalität. Und das war hier der Fall.
Wir das Werk ungekürzt gegeben?
Wir machen ganz kleine Schnitte, Mini-Sektionen. Ich möchte die Sänger nicht überfordern. Das Ballett ist um ein paar Wiederholungen gekürzt, die zweite, nachkomponierte Pagen-Arie fehlt. Aber die Tableaux müssen bleiben und immer größer werden, damit man diese Ästhetik versteht. Wir wollen die Exposition und die weitere Entwicklung verstehen – und es nicht kaputthauen. Auch Raouls zweites Couplet ist drin, das ist wichtig für die Handlung. Das Ganze ist groß und schwer, aber wenn man es machen möchte, soll man es respektieren und es nicht kleinhauen. Dann ist es sofort zweitklassig. Das habe ich auch in Pesaro gelernt. Ich kämpfe gerade mit München. Dort dirigiere im bald „Semiramide“, es ist eine Koproduktion mit der Met, also wichtig und bedeutend, aber und sie wollen es unter drei Stunden drücken. Ich aber kann es nicht töten, gerade ich muss doch Rossini respektieren! „Semiramide“ ist wie eine Belcanto-Kathedrale, die muss mit allen Verzierungen errichtet werden.
Konnten Sie eigentlich jemals Rossini entkommen?
Ehrlich gesagt mache ich inzwischen mehr Verdi! Und das ist auch gut so. Einmal Rossini, immer Rossini, aber ich will zeigen, dass ich noch anderes kann. In Bologna habe ich mit Ausnahme von dem aus Pesaro übernommenen „Guillaume Tell“ im Jahr 2010 meinen letzten Rossini gemacht. Sehr wichtig war für mich dieses Jahr „I due Foscari“ in Mailand, das war auch dort mein Debüt und es wird wohl weitergehen mit „I Masnadieri“. Ich liebe frühe Verdi, habe auch kürzlich „Attila“ in Bologna gemacht. Da ist noch so viel Rossini-Stil drin. Und man kann da viel entdecken, Das ist nicht einfach nur öde Dreiertakt-Begleitung. Das Kunststück ist es, dem Orchester die Bedeutung dieser Stücke, ihre manchmal wirklich treffsichere Einfachheit klar zu machen.
Wollten Sie eigentlich auch mal was anderes als ein Dirigent werden?
Ja natürlich, wenn man in Pesaro aufwächst und schon als Kind in der Adriatic Arena sitzt, wo eben nicht nur im Sommer Oper gespielt wird, sondern die meiste Zeit Basketball von einer der wichtigsten Mannschaften Italiens, dann träumt man eher von Korbwürfen als Stabschwüngen. Aber ich bin Realist – sehen Sie meine Körpergröße. Also war selbst Dirigent realistischer. Und wenn es dazu nicht gelangt hätte, dann wäre ich gern ein Handwerker geworden, ich liebe alles individuell Angefertigte. Ein wenig davon habe ich mir ja auch jetzt bewahrt. Ich radele gern, und mochte immer den Gummigeruch in der Werkstadt beim Fahrradhändler. Ein Büro, eine Werkstatt, das ist wie eine zweite Welt, ein Refugium, wo man sich zurückziehen kann.
War ihr Karriereweg leicht?
Natürlich nicht. Mein Name war schon ein Hindernis, da waren immer Zweifel. Beim Orchester in Bologna stand ich beim ersten Mal vor Leuten, die ich alle seit Kindheit beim Namen kannte, puh. Aber irgendwie kam ich über diesen Moment, als sie vergaßen, dass ich der Sohn des Intendanten bin, dann hat es funktioniert. Und nach dieser Premiere haben sie mir gleich die nächste Saisoneröffnung angeboten. Ich wollte immer nach meiner Leistung beurteilt werden, das aber war schwerer als für andere.
Und in Pesaro?
Da ganz besonders. Seit ich in Bologna dirigiere, wollte das Orchester natürlich im Sommer mit mir nach Pesaro, aber habe ich habe mich erst 2010 getraut. Darum habe ich mir ein besonders unpopuläres Stück vorgenommen, „Sigismondo“, da musste ich wirklich arbeiten. Und es hat mir dann ja trotzdem Glück gebracht. Denn dort habe ich meine Frau kennengelernt. Und wir haben zwei Jahre später in dem Künstlerlokal Don’Amalia in Pesaro geheiratet, wo alle hingehen. Wir wollen nicht Abgehobenes, usn immer dort an diesen Moment erinnern können. Auch an der Scala, da habe ich als erstes den berühmten Abbado-„Barbiere“ dirigiert. Und sie haben mich gleich wieder eingeladen. Ich wollte aber erst noch mehr internationale Erfahrung machen. Und bin erst 2016 wiedergekommen. Ich bin stolz darauf, ich habe die richtigen Schritte unternommen. Ich wollte nichts übereilen.
Ist es nicht eine Art Typecasting, wenn italienische Dirigenten international immer für italienische Opern eingeladen werden, gerade im Belcanto-Repertoire?
Schon. Und wir können Belcanto gar nicht besser, den so viel davon wird bei uns auch nicht gemacht. Einer der besten Dirigenten für das italienische Fach ist für mich übrigens Yannik Nézet-Séguin – und der ist Kanadier. Aber so musikalisch! Und gerade Belcanto ist gar nicht leicht. Man darf nie nur das spielen, was geschrieben steht. Und man muss sehr flexibel mit dem Tempo sein, muss Dynamik und Farben verstehen. Und man muss Sänger mögen. Wen man sich vertraut, dann kann man wirklich bis in feinsten Pianissimo gehen. Das ist magisch. Lärm zu machen, das ist einfach. Schon Gavazzeni hat gesagt: „Zu begleiten, das meint nicht, zu beherrschen, sondern zu folgen, zu beflügeln. Mach den Sänger zu seinem Freund!“ Ich kreiere gern Klänge mit dem Orchester, aber in der Oper muss man mit den Sängern instrumental singen. Wer das nicht kann oder mag, der soll eben Sinfonien dirigieren.
Was würden Sie am liebsten dirigieren?
Mehr Mozart natürlich. Seine Musik ist da so natürlich, alles ist organisch strukturiert, für mich kommen die Verzierungen auch ganz leicht. Man darf aber nicht zu viele machen. Diese Musik spricht so direkt. Die Koloraturen sind auch nie Choreografie, sondern Teil der Struktur. Und die liegt nackt da. Nirgendwo sind alle Beteiligten so verletzlich wie bei Mozart. Das muss ich weinen, ganz ehrlich, das berührt mich so sehr. Wenn Cherubinos „Voi che sapete“ beginnt, das ist für mich immer wie beim ersten Mal….
In Italien denkt man ja gern dynastisch, Gibt es Bestrebung, Sie Ihrem nun nicht mehr ganz jungen Vater als Intendant in Pesaro nachfolgen zu lassen?
Um Gottes Willen, nein! Das ist nicht mein Job. Ich bin Dirigent und das reicht mir. Ich liebe den Ort, werde ihn immer im Herzen tragen. Da stand meine musikalische Wiege. Aber ich mache mich da rar. 2010, 2013, 2016 war ich professionell dort, vielleicht wieder 2019?
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Schon wieder, zum Glück, mit Juan Diego Flórez – sein erster szenischer „Werther“ in Bologna mit Isabelle Leonard. Ich freue mich drauf, er ist so musikalisch, nicht einfach, aber immer spannend. Ihm folge ich sehr gern, weil es so natürlich zu verstehen ist, was er möchte. Seit die Stimme etwas dunkler geworden ist, breiter in der Mittellage, mag ich sein Timbre noch viel mehr. Und seine Phrasierung ist immer großartig. Ich sage stets den Musikern, nehmt euch an ihm ein Beispiel. Er macht Musik und singt nicht nur die Noten.
Wie entscheiden Sie bei Auftritten mit ihrer Frau?
Ganz strikt! Wir sind kein Paar – im Musikgeschäft. Die Theater würden uns natürlich immer gern zusammen engagieren, aber das war von Anfang an eine Entscheidung. Wir haben bisher in sechs Jahren nur dreimal zusammengearbeitet. Bei „Sigismondo“ waren wir noch nicht zusammen, dann in Pesaro „Mathilde di Shabran“ und zweimal „I Puritani“, an der Metropolitan Opera und in Turin. Das ist besser so. Wir haben auch unterschiedliche Agenten. In den Theatern machen Paare immer nur Ärger. Wir müssen uns eben immer hinterherfliegen, das ist viel Planung und das ist eben der Preis, den wir für unsere Karrieren zahlen müssen. Und wir haben unsere gemeinsamen Auszeiten, Weihnachten und im Sommer. Da klinken wir uns komplett aus. Schwierig ist es eigentlich nur, wenn einer von uns in Amerika ist. Ich lebe mit einer glücklichen Frau. Das ist mir wichtig.
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