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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Auf Tour: Die Tschechische Philharmonie glänzt wieder

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26836_prag_tschechische_philharmonieEinem schlechten Orchester kann man irgendwie wieder technisch auf die Beine helfen. Was aber macht man mit einem faulen, undisziplinierten, vor allem aber fremdenfeindlichen Klangkörper? Schwieriger Fall, vor allem wenn man das Problemkind sehr gut von innen kennt und schon einmal wegen genau dieser Vorkommnisse resigniert, sein Glück in der Fremde gesucht und gefunden hat. Genauso hat er sich Anfang der Neunzigerjahre in Prag zugetragen, wo Jiří Bělohlávek als Nachfolger des längst legendenreich verklärten Václav Neumann die Tschechische Philharmonie geleitet hatte.

Die galt und gilt als eines der traditionsreichsten, schönklanggesättigten nationalen Orchester Europas, ein Schmuckstück seiner selbst, 1896 unter diesem Namen erstmals von Antonín Dvořák mit eigenen Stücken geleitet. Und seitdem liebgewonnen vor Ort, im weltberühmten, einst von einer Sparkasse als vaterländischer Klangschrein am Moldauufer gestifteten Rudolphinum für seinen weichen, musikantischen, eben klischeegeladenen, aber echten böhmischen Klang – aber auch ausgezeichnet durch zahllose Reverenzaufnahmen nicht nur der Musik Dvořáks, Smetanas, Fibichs, Janáčeks, Suks, Martinus – und was dieses kleine Land sonst noch der Klangweltkarte beigesteuert hatte.

Ein Schmuckstück also, aber eines mit blinden Flecken, dem man nicht mehr richtig froh wurde. Und sogar der erfahrene, damit vertraute Bělohlávek wusste das nicht zu richten. Worauf der nach nur zwei Spielzeiten 1992 frustriert gen England zog, wo er mit dem BBC Symphony Orchestra in London Außerordentliches vollbrachte; und zu Hause mit dem neugegründeten Philharmonia Orchestra Prag nachhaltig wirkte – auch ein wenig als Stachel im philharmonischen Fleisch…

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Auf Bělohlávek folgte bei der Tschechischen Philharmonie für drei Jahre Gerd Albrecht. Der hatte kühne Repertoirepläne, machte mit seiner rüden Art aber alles noch schlimmer. Nach seinem hässlichen Abgang 1996 standen die Xenophobie-Vorwürfe im internationalen Raum. Vladimir Ashkenazy, Zdeněk Mácal, Eliahu Inbal veränderten in den Folgejahren nicht viel, man verdiente auf immer weniger Touren kaum noch Geld, die Reputation begann zu leiden. Auftritt 2012: Jiří Bělohlávek! Der wollte es noch einmal wissen, aber nur, weil von der Philharmonie in Brünn zwei fähige Manager seines Vertrauens, David Mareček und Robert Hanč, abgeworben werden konnten.

Und die Trias schritt beherzt voran. Die größten Störenfriede unter den Musikern konnten entfernt werden. Man handelte einen erstaunlichen Plattenvertrag mit der Decca aus und legte gleich zu Anfang mit einer Acht-CD-Box ein Herzstück des Repertoires in neuer, klangfeiner, packender, beifällig aufgenommener, natürlich im schimmernd klingenden Rudolphinum produzierter Interpretation vor: alle neun Dvořák-Sinfonien plus die Konzerte mit Garrick Ohlsson (Klavier) Alisa Weilerstein
(Cello) und Frank-Peter Zimmermann (Violine). Das war mutig, aber erfolgreich. Plötzlich war die Tschechische Philharminie wieder ein Schmuckstück. Und wie!

„Ich finde es wichtig, diese Tradition zu pflegen und hochzuhalten“, erzählt der inzwischen 70-jährige Jiří Bělohlávek in einem der schönen Foyerräume des Orchesterdomzils: „Wir sind ein kleines Land, da sind Identitäten bedeutend, das habe ich insbesondere im Ausland immer wieder erlebt. Aber man muss sie lebendig halten, darf sich nicht den Blick verengen. Natürlich müssen wir auch das Repertoire ausweiten, aber die reichhaltige Komponistenpalette möchte ich frisch erhalten, auch, das ist nun mal eine Besonderheit, weil in diesem Orchester eigentlich nur heimische Musiker sind. Wir haben eine DNA und Erziehung, wir verstehen, was wir spielen. Das ist so ähnlich wie bei den Wiener Philharmonikern.“

Und so ist es für den neuen alten, sich in seiner Rolle sehr wohl fühlenden Chef einfach, gemeinsam mit seinem ruhigen, sympathischen Führungsduo Strategien zu entwickeln. Man tourt wieder verstärkt, regional, national, international. Natürlich sind besonders das nahe Deutschland und Österreich als alte Nachbarn im Fokus. In Wien hat man eine Residenz im Musikverein, inzwischen spielt man auch wieder in der New Yorker Carnegie Hall. Und besonders in England liebt man die Tschechische Philharmonie.

14056_1Nach dem Instrumentalwerk folgt nun als nächste Aufnahmeaufgabe das Vokalwerk Dvořáks, eben wurde ein hinreißendes, zartes und doch auch voll tönendes Stabat Mater eingespielt. Jiří Bělohlávek hat zudem Pläne mit Josef-Suk-Tondichtungen und DVD-Projekte mit Mahler-Sinfonien sowie ausgewählten Werken Bohuslav Martinus, der gegenwärtig nicht nur in der Oper erstaunliches Interesse findet. Als spezieller Gast wurde Semyon Bychkov verpflichtet, der mit dem Orchester einen Tschaikowsky-Zyklus aufnimmt, von dem kürzlich als erstes eine packend-dichte Pathètique erschienen ist. Enge Beziehungen pflegt man außerdem zum Bělohlávek-Zögling Jakub Hrůša, der zudem ab diesem Herbst die Bamberger Symphoniker übernommen hat.

0028947894582Es scheint also so, als ob die Tschechische Philharmonie im Jahr ihres 120. Bestehens wieder an den nie verblassten Glanz der großen, das Orchester prägenden Namen von Karel Ančerl, Rafael Kubelík und Václav Talich wird anknüpfen können. Gerade ist eine schwungvoll-feinsinnige CD mit Dvořáks Slawischen Tänzen herausgekommen. Passend zur aktuellen Deutschlandtour ab 27. November bis 1. Dezember in Köln, München, Hamburg, Düsseldorf und Hannover.

 

Der Beitrag Auf Tour: Die Tschechische Philharmonie glänzt wieder erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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